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Um die 200 000 Zuschauer kamen zum Umzug, die Polizei war mit 600 Beamten vor Ort.

© REUTERS

Berliner Karnevalsumzug: Zwischen Tröten und Trauer

Beim Karnevalsumzug in der City West war das Vermummungsverbot außer Kraft gesetzt: Von bewaffneten Polizisten bewacht zogen die Narren über den Ku’damm – und um die 200 000 sahen zu.

Um halb zehn Uhr morgens liegt der Ku’damm noch da wie ausgestorben. Nur wenige Fußgänger, die Straße gähnend leer. Bloß vor einem Hotel an der Schlüterstraße lärmt es schon, eine Karnevalskapelle stimmt sich vor dem Haupteingang ein. Einmal Humba-humba, einmal täterä, dreimal Hei-Jo. Gleich danach wird’s ernst. Die Kapellmeisterin, die in ihrem glitzernden Kegelkleid ein wenig aussieht wie ein außerirdischer Vogel, wendet sich an die Musiker. Noch einmal zur Erinnerung: Zwischen Gedächtniskirche und Europacenter bitte nicht spielen, nicht hüpfen, nicht rufen. "Also einfach gar nicht lustig sein", ruft eine andere. Die Musiker lachen kurz und marschieren los in Richtung Adenauerplatz. Um 11.11 Uhr startet der Zug, dann sollen am Ku’damm gefälligst die Löcher aus dem Käse fliegen. Trotz allem.

In Berlin hat der Karnevalsumzug seit jeher einen schweren Stand. Karnevalisten sehen ihn als unverzichtbar, andere würden ihn am liebsten ersatzlos streichen. Dieses Jahr, so scheint es, ist das unwichtig. Berlin feiert wieder öffentlich, zum ersten Mal seit dem Anschlag am Breitscheidplatz. Der Festzug führt auch dort vorbei und die Frage, die wirklich interessiert, ist nicht, ob man "Kamelle" gut findet, sondern, ob man am Ort eines Terroranschlags nach nur zwei Monaten wieder karnevalistisch fröhlich sein kann.

Unten am Adenauerplatz steht Lutz Moser in grünem Anorak und Narrenkappe und hängt Luftballons an die Ladefläche eines Kleintransporters, während sich daneben Gardemädchen in kurzen, grünen Röcken und weißen Anoraks mit Sekt in Plastikbechern aufwärmen. Moser ist Präsident der Narrengilde Berlin und mit 14 anderen Karnevalisten beim Festzug dabei, ganz hinten, kurz vor dem Mannschaftswagen der Polizei, der die Jeckentruppe nach hinten absichert. Das liege auch daran, erklärt der Präsident, dass die Vereinsmitglieder der Gilde in diesem Jahr lang und kontrovers darüber diskutiert hatten, ob man mitfahren soll. Erst sehr spät hätten sie sich angemeldet.

2016 war der Verein nicht beim Zug dabei. Der Anschlag in Frankreich war nur wenige Tage her, und auch die Ereignisse auf der Kölner Domplatte bereiteten den Vereinsmitgliedern Sorgen. "In den letzten Jahren gab es schon immer wieder Sorgen, weil ja die Welt unruhiger geworden ist." Das sei zwar auch schon früher so gewesen, aber man habe sich eben keine Gedanken darüber gemacht. Der Terror in der Welt sei weiter weg gewesen. In diesem Jahr sind die Wittenauer Karnevalisten wieder dabei, Wagen, Bonbons, das ganze Programm. "Gerade jetzt", sagt Moser. Und dass das Leben ja trotz allem eigentlich sehr sicher sei.

Der Preis für diese Sicherheit zeigt sich am Ku’damm während des Umzugs ganz klar. Polizeibusse stehen quer in den Seitenstraßen, davor vermummte Polizisten mit Maschinenpistolen. Wegen des Anschlags wurde für den Karnevalsumzug das Sicherheitskonzept verstärkt.

Um 11.11 Uhr setzt sich der Zug langsam in Bewegung. "Komm hol das Lasso raus", schallt es aus den Boxen auf dem Kleintransporter und gleich danach ein Lied von einem, der irgendwo allein in Mexiko eine Frau namens Anita trifft. Auf einmal ist der Ku’damm voll, in mehreren Reihen drängen sich verkleidete und Zivile an der Straße, die Mädchen werfen Kamelle und rufen Hei-Jo. Heiterkeit und Jokus im Schleichtempo.

An der Joachimsthaler Straße wird es leise. Ein Wagen nach dem anderen schaltet seine Musikanlage ab, der Präsident des Festkomitees schießt noch schnell die letzte Konfettikanone aus seinem Cabrio. Auf einmal ist da nur noch das Kindergeschrei über dem Motorenbrummen der Lastwagen. Der Platz selbst, wo bis 2015 jedes Jahr traditionell die "Afterzugparty" stattfand, ist leer, nur einige Polizeiautos sind vor der Gedächtniskirche geparkt. Das Festkomitee hatte bereits vor Tagen angekündigt, dass man aus Respekt für die Opfer vom 19. Dezember beim Vorbeifahren am Breitscheidplatz die Musik abschalten wolle. Die Abschlussparty findet dieses Jahr am Wittenbergplatz statt.

Langsam bewegt sich der Zug am Breitscheidplatz vorbei, 500 Meter Stille, die im Vergleich zur vorherigen Schunkelkulisse wie ein Vakuum wirken.

600 Polizisten schützten den Umzug.
600 Polizisten schützten den Umzug.

© Georg Moritz

Am Turm des Europa-Centers geben zwei Ordner vom Festkomitee ein Signal. Der Fahrer des grün-weißen Kleintransporters der Narrengilde schaltet die Anlage ein, so abrupt, dass einer der Karnevalisten, die neben dem Wagen herlaufen, fast stolpert. Deutscher Schlager tönt wieder aus den Boxen, und als auch die Blaskapelle hinter der Narrengilde die Schweigemeile passiert hat, ist alles wieder ganz Fröhlichkeit und Narretei, alles wie vorher.

Lutz Moser von der Narrengilde hat mit der Stille am Breitscheidplatz kein Problem. Angemessen sei das, sagt er, weil, was geschehen ist, einem noch so nah sei. Ein anderer Karnevalist hätte kurz nach dem Anschlag sogar eine andere Route befürwortet – also, für dieses Jahr eben. Wenn man auf Berliner Boden gehe, bewege man sich ja ständig über Plätze, an denen irgendwann in der Geschichte der Stadt einmal etwas Schreckliches passiert sei. "Da könnten wir ja gar nirgends mehr feiern." Deshalb, und das betont er: "Nächstes Jahr wieder volle Kanne."

Um kurz nach ein Uhr kommt der Kleintransporter der Narrengilde am Wittenbergplatz an. Gegenüber dem KaDeWe spaßen sich schon zwei als holde Maid und Wolf verkleidete Moderatoren durch das Festprogramm, der Präsident des Festkomitees verkündet, man habe dieses Jahr 150.000 bis 200.000 Zuschauer. Am Rand standen 600 Beamte.

Als der Wagen der Narrengilde sich am U-Bahnhof Wittenbergplatz vorbei in die Kleiststraße schiebt, verabschiedet sich Lutz Moser per Mikrofon. "Vielen Dank, liebe Berliner, dass ihr mit uns gefeiert habt." Und dann ruft er noch: "Berlin ist eine Karnevalshochburg!" Es klingt ein bisschen trotzig, aber auch ein bisschen stolz.

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