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Vergangene Zeiten: Als es noch besser lief beim Gemeinschaftshaus "Morus 14", kochten Prominente wie Alfred Biolek und Klaus Wowereit schonmal ein Benefiz-Essen.

© Archivfoto von 2005: Marcus Brandt / dpa

Berliner Integrationsprojekt: Nachbarschaftshaus "Morus 14" hat ausgedient

Der Nachbarschaftstreff sollte einen „nachhaltigen Beitrag zur sozialen Integration“ in Neukölln leisten. Doch gelungen ist das nur bedingt.

Das Nachbarschaftshaus Morus 14 ist beim vorletzten gemeinsamen Mittagessen „Der Rollberg tafelt“ gut besucht. Es gibt Grünkohl, das Traditionsgericht, wenn die Grünen-Politikerinnen Anja Kofbinger und Susanna Kahlefeld bei Morus kochen – an diesem Tag mit einer Portion Wehmut. Denn der gemeinnützige Verein, der als Vorzeigeprojekt in Nord-Neukölln gilt, gibt zum Jahresende das Gemeinschaftshaus im Rollbergviertel an die Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ zurück.

Warum? Ein Grund dafür ist deutlich zu erkennen, wenn man den Blick durch den Raum schweifen lässt. Überproportional vertreten ist vor allem eine Bevölkerungsgruppe aus der Nachbarschaft: Rentner und Senioren. So ganz passt das Szenario nicht zum Leitbild des Vereins, den Gilles Duhem 2003 gegründet hat. Damals noch Quartiersmanager, wollte Duhem vor allem eines: „Dass der Kiez von den Medien nicht mehr öffentlich in den Dreck gezogen wird.“

Gilles Duhem (Archiv)
Gilles Duhem (Archiv)

© Claudia Keller

Als er im Quartiersmanagement anfing, galt das Rollbergviertel als sozialer Brennpunkt: Menschen verschiedener Nationalitäten, die größtenteils abgeschottet voneinander leben, Armut, Arbeitslosigkeit und das in Neukölln bis heute bekannte Müllproblem. Morus 14 sollte die Segregation im Viertel auflockern und die Mittelschicht in den Kiez holen mit dem „Prinzip der gelebten Vielfalt und der alltäglichen Begegnungen“, wie es auf der Homepage des Vereins heißt.

Angesprochen werden sollten „alle Bevölkerungsgruppen“, um einen „nachhaltigen Beitrag zur sozialen Integration der Bewohner“ zu leisten. Darum hat Duhem, der kürzlich mit der Ehrennadel des Bezirks ausgezeichnet wurde, den Ruf als einer, der durchgreift. Auch in der Tafelrunde ist er unter dem Seniorenstammklientel beliebt: „Gilles ist ganz toll, so einen gibt’s nicht mehr“, schwärmt Hajo Hassemer. Er kommt seit zwölf Jahren regelmäßig ins Gemeinschaftshaus in der Morusstraße 14.

Doch heute, fünfzehn Jahre später, muss Duhem nüchtern feststellen, dass sich der Ansatz nur bedingt bewährt hat. Was sich bewährt hat, sind die Projekte Netzwerk Schülerhilfe, Shalom Rollberg, „Fit und schlau – von Anfang an“ oder die begleitete Vorbereitung der Oberstufenprüfungen. Sie werden fortgesetzt, Freiwillige werden laufend gesucht. Wegen der Mischung aus Patenvermittlung und Nachhilfe gilt der Verein als „Leuchtturmprojekt“.

Mit der Schülerhilfe wird Morus dem Anspruch, Integrationsarbeit zu leisten, gerecht. Denn viele der Kinder aus dem Rollbergviertel wachsen in arabisch- und türkischstämmigen Familien auf. „Diese Bevölkerungsteile erreicht man über den Nachwuchs“, sagt der Franzose Duhem. Doch das sei auch der Haken: „Erwachsenenprojekte funktionieren nicht.“

Sie hätten oft Großfamilien und damit ein großes, festes Umfeld: „Sie haben keinen Grund, herzukommen“, analysiert Duhem. Was dazukommt: Seit es die Ganztagsschule gibt, kämen auch die Kinder seltener zum gemeinsamen Essen ins Nachbarschaftshaus.

„Orte der Begegnung sterben aus“

„Die Welt hat sich verändert. Orte als Orte der Begegnung sterben aus. Das Konzept Nachbarschaftstreff ist ohne erhebliche Finanzierung mit regelmäßigen Fördergeldern nicht aufrechtzuerhalten. Und ich bin gegen eine künstliche Beatmung.“ Politiker fänden das Projekt toll, „aber es macht keinen Sinn, Begegnungen krampfhaft zu inszenieren.“

An diesem Tag, wie sonst wohl auch, ist der Mittagstisch fest in der Hand deutscher Rentner. Zudem kommuniziere die moderne Welt zunehmend über soziale Medien, man miete für einzelne, große Veranstaltungen Räume an. Da sei ein fester Ort, wie der Nachbarschaftstreff in der Morusstraße 14, wenig attraktiv.

Das führt zum nächsten Problem: Der Finanzierung. Der Verein lebt von Spendengeldern, zeitlich begrenzten, projektbezogenen Förderprogrammen der Vermietung des Gemeinschaftshauses. Doch die ständige Bewerbung um neue Budgets und die Verwaltung seien ein Kraftakt. Was Duhem vermisst, ist eine dauerhafte Finanzierung, auf die man sich verlassen kann.

Das Gemeinschaftshaus habe sich jahrelang finanziell rentiert, doch nun sei das Haus mit den fixen Personal- und Sachkosten zu teuer für den Verein geworden: „Jammerschade, aber es erfüllt nur bedingt das Ziel, das man sich mit diesem Ort gesetzt hatte. Glücklicherweise haben die Bildungsprojekte räumlich mit dem Gemeinschaftshaus nichts zu tun.“

Der Verein muss nächstes Jahr ohne sein Gemeindehaus ausgekommen. Wie jenes künftig genutzt wird, steht noch nicht fest. Der Bezirk befindet sich mit der Eigentümerin „Stadt und Land“ darüber noch in Gesprächen. Fest stehe jedoch, dass weiterhin Angebote für die Bewohner des Rollbergviertels stattfinden müssen, findet der Baustadtrat des Bezirks, Jochen Biedermann (Grüne). Er ist beim Thema Begegnungsorte nicht so pessimistisch wie Gilles Duhem. Es gebe bereits viele Interessenten, man spiele mit dem Gedanken, das Haus verschiedenen Akteuren zu überlassen.

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