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Von Kreuzberg ins Parlament: Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion Antje Kapek in ihrem Büro im Abgeordnetenhaus in der Niederkirchner Straße

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek: „Wir Grünen sind die Ungeduldigsten von allen“

Antje Kapek über neue Radwege, zu niedrige Parkgebühren – und das gespaltene Verhältnis der Grünen zum Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“.

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Frau Kapek, die Grünen haben mit 22 Prozent gute Umfragewerte in Berlin. Die Werte im Bund dagegen gehen runter. Schaden die Fehler von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock Ihnen in Berlin?
Nein. Die 22 Prozent zeigen doch, dass wir nicht so stark vom Bundestrend abhängig sind. Seit drei Jahren sind wir mit Ausnahme einer Umfrage auf Platz eins in Berlin. Das ist kein temporärer Effekt. Wir werden als stabile und wichtige politische Kraft wahrgenommen. Aber auch im Bund ist zweieinhalb Monate vor der Wahl noch alles drin.

Jetzt übt Baerbock Selbstkritik, sie hätte in ihrem Buch doch mit einem Quellenverzeichnis arbeiten sollen. Reicht das, um das Vertrauen in die Grünen wiederherzustellen?
Ihr Buch ist das Resultat einer jahrelangen Auseinandersetzung mit den zentralen politischen Themen unserer Zeit. Es wäre sicherlich besser gewesen, mit einem Quellenverzeichnis zu arbeiten, das wird in der nächsten Ausgabe nachgeholt. 

Ich denke aber, dass sich die Menschen, die am 26. September wählen gehen, die Frage stellen, was sie die nächsten vier Jahre in Deutschland für wichtig erachten. Bei zwei Kandidaten weiß ich nicht, wofür sie stehen: Von Olaf Scholz höre ich so gut wie keine Positionierung. Und Armin Laschet hat als Ministerpräsident gerade der Windkraft in NRW den Todesstoß versetzt, ausgerechnet an dem Tag, an dem in Kanada Temperaturen bis zu 50 Grad Celsius gemessen wurden. 

Dabei brauchen wir das Gegenteil: Einen kräftigen Ausbau der erneuerbaren Energien, um die Klimakrise zu bekämpfen. Laschet schiebt auch den rechten Äußerungen von Hans-Georg Maaßen keinen Riegel vor, der jüngst die Pressefreiheit in Frage gestellt hat. 

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Die Frage ist also: Wähle ich einen Laschet, weil mir der Lebenslauf von Annalena Baerbock nicht passt, oder wähle ich die- oder denjenigen, der am geeignetsten ist, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern? Setze ich auf ein „Weiter so“, werden zentrale Fragen wie Pflegepolitik, Klimakrise oder Wohnungspolitik nicht gelöst.

Was raten Sie Ihren Parteigenossen im Bund?
Ruhe bewahren und sich nicht von Gegenkampagnen verrückt machen lassen. Jetzt fängt der Wahlkampf erst an. Wir müssen die Konkurrenz dort stellen, wo sie blank ist, nämlich bei den Zukunftsfragen: Wie bekommen wir die sozial-ökologische Transformation unserer Wirtschaft hin, um klimaneutral zu werden und unseren Wohlstand zu bewahren? Wie bekämpfen wir die soziale Ungleichheit im Land? Für all das haben wir Grüne einen Plan, die Union nicht.

Wäre Robert Habeck die bessere Wahl gewesen?
Definitiv nein. Es war und bleibt die richtige Entscheidung, auf Annalena Baerbock zu setzen. Ich bin nicht nur Landtagspolitikerin, sondern auch Vorsitzende der Grünen-Fraktionsvorsitzendenkonferenz und habe mit der Bundesspitze viel Kontakt. Wahlkampf ist ein Marathon und kein Sprint, wo man wie ein Häschen Haken schlägt. Man muss Strecke halten. Und das kann Annalena Baerbock.

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Die Debatte um Baerbock lenkt wenigstens von Ihrer Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ab, die man in Berlin kaum kennt. Wie wollen Sie das bis zur Wahl ändern?
Die öffentlichen Diskussionen mit den Berlinerinnen und Berlinern starten erst jetzt. In den letzten Monaten gab es wegen der Pandemie wenig Live-Debatten. Das ändert sich gerade. Die Landespolitik wird stärker in den Fokus rücken. Als Klaus Wowereit angetreten war, kannte ihn kein Mensch. Und nach kürzester Zeit war er der halben Welt bekannt

Das lag an seinem Satz vor 20 Jahren: Ich bin schwul, und das ist auch gut so.
Wer weiß, was Bettina Jarasch noch in petto hat.

Die Berliner halten die Mieten- und Wohnpolitik für eines der wichtigsten Themen. Was muss jetzt passieren, nachdem der Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hatte?
Wir brauchen eine Öffnungsklausel für Länder. Das heißt, der Bund muss den Ländern und Kommunen erlauben, strenger regulativ in den Mietmarkt einzugreifen. Das ist momentan nicht möglich. Diese Bundestagswahl entscheidet also auch darüber, ob Wohnen endlich für alle Menschen bezahlbar wird, auch in den Großstädten.

Es gibt die Mietpreisbremse auf Bundesebene. Reicht die nicht?
Nein, sie muss nachgeschärft werden, zum Beispiel bei den Regelungslücken für Neubau, Neuvermietungen oder möblierte Wohnungen. Auf Landesebene arbeiten wir außerdem an einem Wohnungs- und Mietenkataster, um Transparenz herzustellen und die Mieten zielgenau zu begrenzen.

Sie fordern seit langem ein Bündnis mit privaten Investoren. Konnten Sie sich damit in der Koalition und im linken Parteiflügel nicht durchsetzen?
Das hat mit Flügeln nichts zu tun. Meine Partei unterstützt die Forderung. Wir führen Gespräche mit Investoren, aber wir haben nicht die Ressortzuständigkeit wie die Linken. Das erschwert vieles. Es gibt bei einigen in der Koalition eine grundsätzliche Skepsis gegenüber jeglichem privaten Engagement, auch dem von Genossenschaften. Fast 80 Prozent des Wohnungsmarktes ist in Berlin aber in privaten Händen. Deshalb können wir die Probleme für alle Mieterinnen und Mieter nur dann lösen, wenn wir es gemeinsam tun.

Die Grünen haben ein gespaltenes Verhältnis zum Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Sollte der Entscheid am 26. September erfolgreich sein: Was machen die Grünen dann, so sie weiter in der Regierung sind?
Wir haben Gespräche mit der Initiative geführt. Das Begehren hat ja keinen Gesetzestext zur Abstimmung, sondern einen appellativen Charakter. Die Bevölkerung muss nun entscheiden, ob die Politik prüfen soll, ob und wie Vergesellschaftungen funktionieren oder nicht. Das muss dann auch juristisch geklärt werden. Klar ist für uns schon jetzt: Wenn ein Eigentümer seinen Pflichten nicht nachkommt oder spekulativen Leerstand betreibt, muss es Eingriffsmöglichkeiten geben.

[Lesen Sie weiter bei Tagesspiegel Plus: Wird in Berlin bald enteignet? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Volksentscheid im September]

Die Vonovia bietet dem Land 20 000 Wohnungen für mindestens 2,1 Milliarden Euro. Die SPD findet das gut. Und die Grünen?
Ich kenne weder Zahlen, noch Wohnungsbestände oder den Zustand der zum Verkauf stehenden Wohnungen. Bisher ist das vor allem ein Deal des Finanzsenators Matthias Kollatz, der für mich ein Buch mit sieben Siegeln ist. Ich weiß nur, dass es verdammt teuer und ein enormes Risiko für das Land ist.

Im Haushalt klaffen schon jetzt pauschale Minderausgaben von zwei Milliarden Euro. Wo wollen Sie den Rotstift ansetzen?
Wir müssen weiter stark investieren in Infrastruktur und Schulbau. Aber der Senat scheint wie vor zwei Jahren einen zu großen Schluck aus der Pulle genommen zu haben. Damals hatten die Fraktionen massiv korrigiert. Die Haushaltsberatungen werden erst Anfang 2022 beginnen. 

Wir können keine neuen Versprechungen machen. Aber an die Zuwendungen für die Bezirke dürfen wir nicht ran. Und natürlich werden die Maßnahmen im Bereich Stadtnatur und Klimaschutz mit uns nicht gekürzt. Auch die Verkehrsfinanzierung muss stehen.

Sie fordern eine neue Finanzierung von Bussen und Bahnen. Wieso ist das nötig?
Alle wollen mehr öffentlichen Nahverkehr, aber dann muss man ihn auch finanzieren. Wir sind jetzt schon bei drei Euro für ein Einzelticket. Das ist an der Grenze dessen, was sich viele Leute leisten können. Wenn wir aus diesem Problem herauskommen wollen, bleibt also nur, dass wir eine dritte Säule zur Finanzierung schaffen.

Was soll das sein?
Es wird wahrscheinlich nicht nur ein Instrument sein, sondern eine Kombination. Die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung ist ein gutes Element. Auch eine sozial-ökologisch ausgestaltete City-Maut ist vorstellbar. Das ist ein einfaches marktwirtschaftliches Instrument, das ich etwa nach der Größe des Pkw aussteuern kann. 

[Der Verkehr in der Metropole: Das ist regelmäßig auch ein Thema in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Zudem kann ich bestimmte Gruppen wie Menschen im Schichtdienst ganz ausnehmen. Daneben finde ich auch das Touristenticket spannend, wenn es mit einer Welcome-Card verbunden wird. Es wird am Ende in jedem Fall eine Mischung sein, die so ausgestaltet ist, dass niemand das als Zwang empfindet.

Das verpflichtende Nahverkehrs-Ticket für alle erwähnen Sie nicht mehr, dabei haben Sie es vergangenes Jahr selbst gefordert.
Klar ist, dass es eine Kosten-Nutzen-Überlegung geben muss. Aber da sind wir noch nicht. Wir werden auf jeden Fall niemanden zu etwas zwingen, sondern Anreize schaffen, von denen alle profitieren.

Seit die Grünen das Verkehrsressort übernommen haben, hat sich die Stimmung zwischen Autofahrer:innen und Radfahrer:innen aufgeheizt. Müssten Sie diese Grabenkämpfe nicht überwinden?
Natürlich. Aber es ist doch die Opposition, die versucht, aus der Verkehrswende einen Kulturkampf zu machen, so als sei das der Niedergang des Abendlandes. Dabei geht es im besten Sinne um eine Neuaufteilung des Straßenraums, die für mehr Sicherheit für alle sorgt. 

Ich war vergangene Woche in den Niederlanden. Die Debatten, die wir hier führen, kann dort niemand nachvollziehen. Die setzen auf eine Trennung der Infrastruktur für Fußgänger, Rad- und Autofahrer. Das führt dazu, dass Menschen sich unbeschwerter bewegen können und es zu weniger Unfällen kommt. Das muss doch das Ziel sein.

Das seit drei Jahren bestehende Mobilitätsgesetz wird nur schleppend umgesetzt. Das kann Sie kaum zufrieden stellen.
Wer mit offenen Augen durch die Stadt fährt, sieht, das schon ganz viel passiert ist. Wir haben viele Radwege neu gebaut, Kreuzungen sicherer gemacht, Busse auf sauberen E-Antrieb umgestellt, um nur einige Beispiele zu nennen. Im nächsten Jahr kommen neue U-Bahnwagen auf die Schiene, in diesem Herbst wächst Berlins Tramnetz nach sechs Jahren endlich weiter, mit der neuen Straßenbahn zwischen Adlershof und Schöneweide. Und es gibt einen riesigen Stapel von Plänen, der in den nächsten Jahren umgesetzt wird. Wir Grünen sind die Ungeduldigsten von allen. Deshalb befassen wir uns intensiv mit der Frage, wie wir effizienter werden können.

Neue "Rad"wege: Der Pop-up Radweg auf der Kantstraße wird zum Parken genutzt, Radfahrende müssen ausweichen.
Neue "Rad"wege: Der Pop-up Radweg auf der Kantstraße wird zum Parken genutzt, Radfahrende müssen ausweichen.

© imago images/Sabine Gudath

Was ist Ihr Plan?
Einer der Schlüssel ist die Verwaltung und die Frage, ob wir Kompetenzen auf der Landesebene zusammenziehen. Die Rahmenbedingungen sind für die Bezirke teilweise sehr schwer. Deshalb macht eine Bündelung auf der Landesebene Sinn, mit Taskforces für den Ausbau von Radwegen, Fußwegen und Tramstrecken.

CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner hält Schwarz-Grün mit Berlins Grünen für sehr schwierig. Könnten Sie sich umgekehrt eine Koalition mit der CDU vorstellen?
Unser Ziel ist, dass Bettina Jarasch Regierende Bürgermeisterin wird und die Grünen Platz eins erreichen. Wir haben große Pläne und sind überzeugt davon, dass diese Ideen nötig sind, um Berlin fit für die Zukunft zu machen. Es verbietet sich, im Vorhinein Koalitionen mit demokratischen Parteien auszuschließen, das hat Thüringen gezeigt. Aber natürlich setzen wir dann auf Gespräche mit den Parteien, mit denen wir die Stadt sozial und ökologisch umbauen können.

Sie wollen lieber die rot-rot-grüne Koalition fortsetzen?
Ich glaube, dass Rot-Rot-Grün gezeigt hat, dass wir für Transformation und Anpacken stehen. In jeder anderen Zusammensetzung wären Reformen schwieriger. Wir sind sehr streitlustig, aber auch sehr handlungsfähig. Das zeichnet diese Koalition aus. Das weiterzuführen, können wir uns vorstellen – aber dann gerne unter grüner Führung.

Franziska Giffey schlägt in der SPD nun einen deutlich konservativeren Ton an. Können die linken Berliner Grünen mit Ihr gut zusammenarbeiten?
Wir sitzen jetzt schon im Koalitionsausschuss zusammen mit Frau Giffey und das funktioniert gut. Deshalb hätte ich da keine Zweifel.

Nach der Wahl wird der Senat neu zusammengesetzt. Stehen Sie bereit, um Senatorin zu werden?
Ich bin ziemlich gerne Fraktionsvorsitzende und könnte mir auch vorstellen, dies zu bleiben.

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