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Schlimm! Oder doch nicht so schlimm? Auch Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) wartet auf die neue Steuerschätzung.

© dpa / Christoph Söder

Berliner Finanzen in der Coronakrise: Kommt die Hauptstadt glimpflich davon?

Höhere Steuereinnahmen und geringere Ausgaben als gedacht, und es hilft der Bund. Vielleicht kommt Berlin ohne hohe Neuverschuldung durch die Krise.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Finanzlage Berlins ist ernst, aber lange nicht so dramatisch, wie zu Beginn der Corona-Pandemie befürchtet. Ein gutes Zeichen ist, dass Berlin bis Ende August noch keine neuen Schulden machen musste.

Die Ermächtigung im ersten Nachtragshaushalt, aufgrund einer „außergewöhnlichen Notsituation" in diesem Jahr bis zu sechs Milliarden Euro Kredite aufzunehmen, wurde bisher nicht in Anspruch genommen. Das bestätigte die Finanzverwaltung des Senats dem Tagesspiegel.

Ein anderes gutes Zeichen ist, dass die Steuereinnahmen, die im Frühjahr auf Grund des Lockdown und dessen wirtschaftlichen Auswirkungen drastisch geschrumpft sind, wieder in Schwung kommen. Im Vergleich zum Haushaltsplan, der vor Corona beschlossen wurde, sind bis Ende Juli zwar schmerzhafte Defizite bei der Umsatzsteuer, der Lohn- und Einkommensteuer, der Gewerbesteuer und der Grunderwerbsteuer zu beklagen.

Aber wenn sich die Wirtschaftslage weiter normalisiert, könnten die Steuerausfälle am Jahresende "nur" zwei Milliarden Euro betragen.

Berlin könnte mehr Steuergelder einnehmen als befürchtet

Das ist immer noch viel Geld. Aber die bundesweite Steuerschätzung ging im Mai für Berlin von fehlenden Steuereinnahmen von drei Milliarden Euro aus. In der nächsten Woche wird das Bundesfinanzministerium eine neue Schätzung vorlegen. Die jüngste Konjunkturprognose der Bundesregierung, die von einer beschleunigten Erholung der Wirtschaft ausgeht, spricht für eine optimistische Einschätzung bei den Steuereinnahmen.

Ein drittes gutes Zeichen ist, dass die öffentlichen Ausgaben „zur Bekämpfung der Pandemie und Abmilderung ihrer Folgen" in der Hauptstadt moderat ausfallen. Laut dem „Kameralen Monitoring Covid-19", das die Finanzverwaltung monatlich erarbeitet, wurden bis Ende Juli für diese Zwecke nur 152,6 Millionen Euro aus Landesmitteln ausgegeben.

Davon 100 Millionen Euro Zuschüsse für Kleinunternehmen, Soloselbstständige und Freiberufler (Soforthilfe II), weitere 34,5 Millionen Euro für den Bau einer Corona-Notfallklinik auf dem Messegelände, 17,6 Millionen Euro für die Beschaffung medizinischen Materials sowie 500.000 Euro Entschädigungsleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz.

Die meisten Corona-Kosten übernimmt der Bund

Die meisten Kosten der Coronakrise trägt aber auch in Berlin der Bund. Das gilt für knapp 1,6 Milliarden Euro für die Soforthilfe II und 305 Millionen Euro Ausgleichsmittel für die Berliner Krankenhäuser. Gewaltige Summen, die aber als Durchlaufposten den Landeshaushalt nicht belasten. Für Berlin hilfreich ist auch das Konjunkturprogramm des Bundes, das Anfang Juni mit einem Volumen von 130 Milliarden Euro aufgelegt wurde.

Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) hat alle Senats- und Bezirksverwaltungen aufgefordert, passende Projekte dafür zu benennen, die zügig umzusetzen sind. Die den Ländern zur Verfügung stehenden Bundesmittel sollten „umfassend genutzt" werden. Eine Ko-Finanzierung aus Landesmitteln will der von Berufs wegen sparsame Finanzsenator nur in !begründeten Ausnahmefällen" zulassen.

Zusätzliche Entlastung bringt das Konjunkturpaket des Bundes durch einen teilweisen Ausgleich der Gewerbesteuer, zusätzliche Mittel für den öffentlichen Personennahverkehr und höhere Leistungen für die Unterkunftskosten für Hartz IV-Empfänger, um nur einige Beispiele zu nennen. Andererseits muss Berlin, wie alle Bundesländer, steuerliche Erleichterungen für die Bürger mittragen. Im Saldo bleibt trotzdem im laufenden Jahr ein Plus von 178 Millionen Euro.

Zwei Nachtragshaushalte mit großen Hilfspaketen

Zusätzliche Belastungen sind noch auf Landesebene zu erwarten. Im ersten Nachtragshaushalt wurden bereits Hilfsprogramme für Berlin (zugunsten der Wirtschaft, der Familien und für gemeinnützige Vereine und Verbände) in Höhe von 525 Millionen Euro eingepreist. Der zweite Nachtragshaushalt, der voraussichtlich erst im Oktober vom Abgeordnetenhaus beschlossen wird, sieht für dieses Jahr weitere Ausgaben in Höhe von 807 Millionen Euro vor.

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Verwendet werden soll dieses Geld etwa für Schutzausrüstungen und -Materialien zur Pandemiebekämpfung sowie für die Digitalisierung der Verwaltung, der Schulen und Universitäten. Zusätzliche Hilfen für den Sport, die Kultur und soziale Einrichtungen, für Start-ups und Studierende ergänzen das Programm. Auch Finanzspritzen an landeseigene Unternehmen, die in der Coronakrise starke Verluste einfahren, gehören dazu.

Der Senat und die Koalitionsfraktionen werden diese Ausgabeliste, die noch vom Mai 2020 stammt, im Zuge der Haushaltsberatung korrigieren und ergänzen. Ob die Gelder aus beiden großen Hilfspaketen der Nachtragsetats (525 plus 807 Millionen Euro) bis Ende Dezember tatsächlich ausgegeben werden, darf bezweifelt werden. Maximal 50 Prozent sind realistisch.

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Rechnet man nun alles zusammen, von den Steuerausfällen über die Landesausgaben in Sachen Corona bis zu den Bundesgeldern, könnte der Landeshaushalt 2020 mit einem Minus von etwa 2,5 Milliarden Euro abschließen. Dieses Finanzloch müsste durch eine entsprechende Nettokreditaufnahme gestopft werden.

Doch halt, es gilt noch zu berücksichtigen, dass im Haushalt eingeplante Ausgaben in Berlin nie vollständig ausgegeben werden. Ein großer Batzen bleibt regelmäßig liegen. Das verhalf dem Finanzsenator in den vergangenen Jahren zu beträchtlichen Jahresüberschüssen.

Kreditrahmen wird vielleicht nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft

Für 2020 rechnen die Haushaltsexperten der Koalition bisher damit, dass besonders viele öffentliche Mittel infolge der Pandemie übrig bleiben. Die Rede ist von einer bis zwei Milliarden Euro. Sollte das stimmen, könnte Berlin in diesem Jahr, ganz grob gerechnet und unter günstigsten Umständen, mit einem Haushaltsdefizit von 1 bis 1,5 Milliarden Euro auskommen. Die Kreditermächtigung von sechs Milliarden Euro müsste dann nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft werden.

Die vermutlich vorsichtigere Prognose der Finanzverwaltung wird dem Abgeordnetenhaus nach der Steuerschätzung des Bundes im September in Form eines „Statusberichts“ vorgelegt. In jedem Fall will Finanzsenator Kollatz den Kreditrahmen nur in Höhe des tatsächlichen Haushaltsdefizits ausschöpfen. „Es geht um die Deckungslücke, die sich aus der Performance der Einnahmen und Ausgaben ergibt", teilte seine Behörde dem Tagesspiegel auf Anfrage mit.

Damit folgt er der Forderung des Landesrechnungshofes, dass neue Schulden nur zum Ausgleich der realen Steuerausfälle und „pandemiebedingten Ausgaben" erfolgen darf.

Neue Konflikte mit den Regierungsfraktionen drohen

Dies könnte zu einem neuen Konflikt zwischen Finanzsenator und den Regierungsfraktionen SPD, Linke und Grüne führen. Sie wollen den Kreditrahmen von sechs Milliarden Euro für das laufende Jahr möglichst weit ausschöpfen, um überschüssige Gelder in einer Rücklage „zur Bewältigung der Notlage, ihrer Folgen und zur Beseitigung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auch über 2021 hinaus" zu parken.

Quasi als Sparschwein für die Zeit, in der die Schuldenbremse wieder greift. Ein rechtlich und politisch umstrittenes Vorhaben. Zur Erinnerung: Der Schuldenstand Berlins lag Ende 2019 nach einem Jahrzehnt des wirtschaftlichen Aufschwungs und sprudelnder Steuerquellen immer noch bei 57,6 Milliarden Euro.

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