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Der Berliner Express-Lieferdienst Gorillas expandiert gerade in mehrere europäische Märkte. 

© Tobias Schwarz / AFP

Berliner Express-Lieferdienst in der Krise: Kündigungen bei Gorillas lösen neue Proteste aus

Das Start-up hat offenbar mehrere Rider aus Nicht-EU-Ländern entlassen. Sie hatten befristete Arbeitsgenehmigungen.

Juan Santillan möchte seinen Job nicht verlieren. Der 27-jährige Argentinier arbeitet als Rider, also Fahrradkurier, beim Berliner Start-up Gorillas. Am Donnerstagabend protestierte er gemeinsam mit etwa 50 weiteren Personen vor einem Lagerhaus des umstrittenen Unternehmens in der Torstraße. Die Kundgebung richtete sich gegen Kündigungen, die Gorillas kurz zuvor ausgesprochen hatte. 

"Zwei meiner Freunde sind entlassen worden", sagt Santillan, "ohne jede Vorwarnung". Beide hätten ein sogenanntes Working-Holiday-Visum gehabt, eine zeitlich befristete Arbeitserlaubnis für junge Menschen. 

Das Management habe die Kollegen zu einer Zoom-Konferenz eingeladen, und ihnen dann mitgeteilt, dass ihr Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet sei. Und das, obwohl sie nicht mehr in der Probezeit gewesen seien. Auch Juan Santillan hat eine solche Einladung von seinen Chefs erhalten, er zeigt die E-Mail auf seinem Handy. Das Gespräch soll in der kommenden Woche stattfinden. 

Allerdings hat er auch von der Ausländerbehörde eine Mail bekommen. Darin heißt es: Sein Aufenthaltsstatus werde überprüft, er dürfe aber bis zum Ergebnis weiterhin arbeiten. Doch Santillan sagt: Die anderen Rider hätten diese Mail ebenfalls der Geschäftsführung vorgelegt, sie seien dennoch entlassen worden. 

Juan Santillan möchte weiter als Rider bei Gorillas arbeiten.
Juan Santillan möchte weiter als Rider bei Gorillas arbeiten.

© Christoph M. Kluge

Juan Santillan arbeitet gern bei Gorillas. "Der Job ist hart, aber die Rider bilden eine starke Gemeinschaft." Im Alltag gebe es viel Abwechslung und die Arbeit mache Spaß, das wiege für ihn persönlich die körperliche Belastung auf. Eigentlich habe er Medizin studiert, sagt er. Doch seine Deutschkenntnisse reichten noch nicht aus, daher könne er hierzulande nicht in seinem Beruf arbeiten.   

Gorillas bezeichnet Kündigungen als rechtmäßig

Ein Gorillas-Sprecher widerspricht: "Als Unternehmen stehen wir in der Pflicht sicherzustellen, dass immer eine gültige Arbeitserlaubnis vorliegt." Mitarbeiter:innen seien verpflichtet, eine Verlängerung der Erlaubnis nachzuweisen. 

"Sofern uns keine Verlängerung angezeigt wird, sind wir dazu verpflichtet, das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der Arbeitserlaubnis zu beenden." Das sei nun "in sehr wenigen Fällen am letzten Tag der Gültigkeit der Arbeitserlaubnis geschehen", teilt der Sprecher mit. 

[Lesen Sie mehr: Warum das Berliner Milliarden-Start-up jetzt unter besonders starkem Druck steht. (T+)]

Fristlose Kündigungen bedürften grundsätzlich eines triftigen Grundes, sagt Maren Ulbrich, Gewerkschaftssekretärin bei Verdi. Ob es sich in diesen Fällen um gerechtfertigte Entlassungen handle, ließe sich nicht pauschal beurteilen: "Jeder Fall muss individualrechtlich geprüft werden." 

Betriebsrat wird gegründet

Bislang gibt es keinen Betriebsrat bei Gorillas, der sich mit diesem Problem befassen könnte. Anfang Juni haben Beschäftigte eine Versammlung abgehalten und dabei einen Wahlvorstand gewählt. Dieses Gremium bereitet die Wahl eines Betriebsrates vor. "Das ist bei jeder Betriebsratswahl so", sagt Maren Ulbrich.  

Für den Ablauf der Wahl hab die Gewerkschaft ihre Unterstützung angeboten. Verdi sei zuständig, weil es sich bei Gorillas um ein Einzelhandelsgewerbe handelt, sagt Ulbrich. Die Schwestergewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die einen Teil der Beschäftigten bisher beraten hatte, kümmere sich schwerpunktmäßig um Firmen aus der Gastronomiebranche. Verdi und NGG stünden jedoch im engen Austausch miteinander. 

Seit Wochen demonstriert ein Teil der Gorillas-Beschäftigten in Berlin für pünktliche Zahlungen, besseren Arbeitsschutz und betriebliche Mitbestimmung.
Seit Wochen demonstriert ein Teil der Gorillas-Beschäftigten in Berlin für pünktliche Zahlungen, besseren Arbeitsschutz und betriebliche Mitbestimmung.

© Christoph M. Kluge

Unterdessen hat Gorillas in einer internen Rundmail an die Beschäftigten angekündigt, das Deutschlandgeschäft auf zwei Betriebe zu verteilen. Ein Unternehmensteil soll demnach ab sofort ausschließlich für Logistikaufgaben zuständig sein, ein anderer für Finanzen und Verwaltung. Einige User:innen spekulierten daraufhin in den sozialen Netzwerken, ob die Geschäftsführung damit dem Betriebsrat Steine in den Weg legen wolle.

Der Unternehmenssprecher teilt dem Tagesspiegel dazu mit: “Mit dieser Maßnahme grenzen wir die verschiedenen Aufgabenbereiche innerhalb des Unternehmens besser voneinander ab und schaffen so klare Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten.” 

Nicht alle Fahrer sind Festangestellte

Für die Beschäftigten habe die Veränderung aber keinerlei Auswirkungen. “Auch die Gründung eines Betriebsrats durch unsere Rider wird durch diese Maßnahme weder verhindert noch verzögert”, betont der Sprecher.  

Gorillas hat in früheren Statements darauf hingewiesen, dass die Rider sozialversicherungspflichtig beschäftigt seien und keine Solo-Selbständigen, wie bei anderen Lieferdiensten. Allerdings sind auch nicht alle Gorillas-Rider fest beim Unternehmen angestellt. Einen Teil der Belegschaft bucht es über die Berliner Leiharbeitsagentur Zenjob, die Studierende vermittelt

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Um wie viele Beschäftigte es sich dabei handelt, wollten weder Gorillas noch Zenjob dem Tagesspiegel verraten. Die Leiharbeitskräfte würden “vor allem in der Anfangsphase” in einer neuen Stadt genutzt und um “Nachfragespitzen, wie zum Beispiel während Fußballspielen” abzudecken. Mehrere Beschäftigte sagten hingegen dieser Zeitung, dass Zenjob-Kräfte in Berlin im regulären Betrieb zum Einsatz kämen.

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