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Die Subgroßbassblockflöten sind ein echter Hingucker.

© Sven Darmer

Berliner Blockflötenorchester: Die Pfeifenputzer

Schiefe Töne in der Musikschule, Lärm unterm Weihnachtsbaum? Von wegen. Das Berliner Blockflötenorchester poliert das Image des Instruments auf.

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Es sollte ein Spaß sein. Ein Pfeifkonzert unter dem Weihnachtsbaum, quietschend und ohrenbetäubend, vorgetragen auf dem Instrument aus Kindertagen, mit dem keine von ihnen seit der Schule je wieder in Berührung gekommen war: der Blockflöte. Zehn Jahre ist es jetzt her, dass Änne Troester und ihre Schwester an Heiligabend Aufstellung nahmen, um ihre Familien ein bisschen zu verulken.

Ihr Mann, ein Berufsmusiker, attestierte Änne Troester damals Talent, sie bewege die Finger aus dem Stand ganz gut. Heute spielt die 52-Jährige Bassflöte im Berliner Blockflötenorchester. Am 25. Mai tritt das Ensemble beim Berliner Orchestertreff an. Fünfzig Gruppen mit etwa 1400 Amateurmusikern kommen zwei Tage lang im Familienzentrum FEZ in Oberschöneweide zusammen.

Die besten von ihnen reisen im kommenden Jahr zum Deutschen Orchesterwettbewerb. Der Landesmusikrat Berlin organisiert die Veranstaltung, der Tagesspiegel ist Medienpartner. Zuhörer bezahlen keinen Eintritt und lauschen auf vier Bühnen Orchestern, Bigbands, Jugendgruppen, Blasmusikern, Zupfinstrumenten, Akkordeonspielern – und eben den 37 Pfeifen des Blockflötenorchesters.

Was für Eltern und Traumatisierte aus Schulzeiten eine klangliche Höchststrafe verheißt, entpuppt sich bei einer Probe als erstaunlich ohrenschmeichelnd. In der Musikschule Neukölln sitzen an diesem Abend Änne Troester und ihre Mitstreiter in Halbkreisen hintereinander.

Vorn haben sich die Sopranisten mit ihren Schulflöten platziert, dahinter Alt und Tenor, dann die Bassspieler, deren Instrumente mit ihrem Knick an Heizungsrohre erinnern. In der letzten Reihe stehen Musiker mit mannshohen Holzkästen, die mehr nach Baumarkt als nach Konzerthaus aussehen: die Subgroßbassblockflöten.

„Flötisten müssen Atem, Finger und Zunge koordinieren"

Zusammen klingen sie mal samtweich wie eine Orgel, mal strahlendhell wie ein Spielmannszug. Sie spielen Händel, Mozart und Rossini, aber auch zeitgenössische Stücke: immer harmonisch, manchmal orientalisch interpretiert, nie schrill oder aufdringlich.

„Mit Blockflöten lässt sich ein Tonumfang von sechs Oktaven wie in einem Symphonieorchester erzeugen“, sagt Simon Borutzki, der die Musiker dirigiert und ihr künstlerischer Leiter ist. Der schlechte Ruf des Instruments rührt seiner Meinung nach auch daher, dass es unglaublich schwer zu spielen ist.

Atemübung. Das Blockflötenorchester probt im Haus der Bildung in Berlin, hier: die Bassflöten.
Atemübung. Das Blockflötenorchester probt im Haus der Bildung in Berlin, hier: die Bassflöten.

© Sven Darmer

„Flötisten müssen Atem, Finger und Zunge koordinieren. Der Atem variiert den Klang, dafür braucht es Gefühl, die Finger bestimmen die Tonhöhe.“ Das Umgreifen funktioniert nicht logisch, teils müssen Spieler mehr Löcher zuhalten, um höhere Töne zu erzeugen. Die Zunge gliedert die Melodie, etwa in Staccatopassagen und miteinander verbundene Laute.

Kann eine größere Gruppe von Spielern reine Töne erzeugen?

Simon Borutzki hat Blockflöte studiert, Kenner bezeichnen ihn als einen der besten Soloblockflötisten in Deutschland. Vor sieben Jahren hat er das traditionsreiche Laienorchester übernommen, das Dirigent Rudolf Barthel 1947 an der Neuköllner Musikschule gründete.

Damals glich der neue Chor aus Pfeifen einer Sensation, war doch die Flöte bloß als Soloinstrument und meist für Kinder bekannt. Dass eine größere Gruppe von Spielern reine Töne erzeugen könnte, hielten Experten für ausgeschlossen. Umso gefragter war das – je nach Quellenlage weltweit erste – Blockflötenorchester. In den 1960er und 1970er Jahren gaben die Neuköllner etwa Konzerte in England, Frankreich, Schweden und Jugoslawien, namhafte Komponisten schrieben Stücke für dieses Ensemble.

Änne Troester ging damals noch zur Schule – und plagte sich mit dem Instrument. „Dass hordenweise Kinder früher von wenig qualifizierten Lehrern dazu gezwungen wurden, Flöte zu lernen anstatt etwa Klavier oder Gitarre, trägt noch immer zum Negativ-Image bei“, sagt sie. Heute hat sie ihre Bassflöte gern in der Hand, sie mag den Klang und wie sich das Holz anfühlt.

Die Flötisten sind zwischen 20 und 70 Jahre alt

Fast jeden Tag übt sie, mal fünf Minuten, mal eine Stunde. Als Dialogschreiberin für Filme kann sie sich ihre Zeit einteilen, viele ihrer Mitmusiker kommen dagegen direkt aus dem Lehrerzimmer, der Arztpraxis, der Gärtnerei, der Kita oder der Werbeagentur zur Probe. „Das Tolle ist, dass hier so unterschiedliche Menschen zusammenkommen“, sagt Änne Troester. Zwischen 20 und 70 Jahre alt sind die Flötisten, das letzte Gründungsmitglied schied erst kürzlich mit 83 Jahren aus.

Eine Nummer kleiner: Die Blockflöten im Berliner Blockflötenorchester.
Eine Nummer kleiner: Die Blockflöten im Berliner Blockflötenorchester.

© Sven Darmer

Auffällig ist der Frauenüberschuss im Orchester: Nur zwei Männer mischen sich unter die Musiker. Laut Simon Borutzki ist das einer falsch verstandenen Tradition geschuldet. „Auch etwa Querflöte spielen mehr Frauen als Männer, in vielen Köpfen ist das Instrument weiblich besetzt.“ Borutzki hofft, künftig noch mehr Männer, aber auch generell Spieler, für sein Orchester gewinnen zu können. „Wer die Blöckflöte solide beherrscht, ist bei uns willkommen. Berlin hat eine riesige Amateurmusikszene.“

450.000 Menschen in Berlin spielen ein Instrument

Verschiedene Untersuchungen ergeben, dass in Deutschland etwa 13 Prozent aller Erwachsenen in ihrer Freizeit ein Instrument spielen. Auf Berlin heruntergerechnet wären das mehr als 450.000 Menschen. Alle vier Jahre kommen beim Orchestertreff zumindest einige von ihnen zusammen, um voneinander zu lernen und sich gegenseitig zuzuhören.

Das gesamte Blockflötenorchester tritt beim Orchestertreffen am 25. und 26. Mai im FEZ auf.
Das gesamte Blockflötenorchester tritt beim Orchestertreffen am 25. und 26. Mai im FEZ auf.

© Sven Darmer

Drei Stücke wird das Berliner Blöckflötenorchester in diesem Jahr auf der Bühne zum besten geben, etwa 20 Minuten dauert ihr Konzert. Simon Borutzki hofft auf ein Publikum, in dem viele Zuhörer zum ersten Mal einem Flötenchor lauschen. „Das ist immer toll: Sie betreten den Saal in quälender Erwartung und am Ende stehen ihnen vor Begeisterung die Münder offen.“

Berliner Orchestertreff, 25. und 26. Mai im FEZ an der Wuhlheide, Samstag 10-21 Uhr. Der Auftritt des Berliner Blockflötenorchester ist am ersten Tag um 11.45 Uhr. Eintritt frei. Infos und Programm unter www.landesmusikrat-berlin.de

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