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Stephan von Dassel (Grüne), Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte.

© imago images / Bernd Friedel

Berliner Bezirksbürgermeister in Corona-Quarantäne: „Das politische Spitzenpersonal sollte auf Teile des Gehalts verzichten“

Seit Wochen leitet Stephan von Dassel den Bezirk Mitte aus der Quarantäne. Ein Interview über Kreativität in der Krise, schnelle Buße und drohende Einsparungen.

Herr von Dassel, Sie sind mit dem Coronavirus infiziert und jetzt seit fast fünf Wochen unter Quarantäne. Warum dauert das bei Ihnen so lange?
Richtig krank fühlte ich mich nur drei oder vier Tage. Nach zwei Wochen Quarantäne wollte ich aber erst ins Bezirksamt zurückkehren, wenn durch einen Test bestätigt ist, dass ich gesund und für alle anderen nicht mehr ansteckend bin. Jetzt bekomme ich regelmäßig Besuch vom Gesundheitsamt in voller Mondmontur. Mal ist das Ergebnis positiv, dann negativ, dann wieder positiv.

Das heißt, Sie sind noch ansteckend?
Es ist unwahrscheinlich, aber ausschließen können es die Ärzte nicht. Noch kann nicht unterschieden werden, ob der Test bei mir auf aktive Viren im Rachen anschlägt oder auf das Genom von bereits abgestorbenen Viren.

Ist dieses Phänomen den Ärzten schon öfter untergekommen?
Ja, ich bin längst kein Einzelfall mehr. Mal werden die Menschen positiv getestet, dann wieder negativ, dann wieder positiv…

Die meisten Corona-Infizierten ziehen ohne Test wieder los, wenn sie nach zwei Wochen keine Symptome mehr haben.
Das ist natürlich gefährlich, wenn jemand fälschlicherweise glaubt, nicht mehr ansteckend zu sein. Aus meiner Erfahrung wäre es wichtig, dass alle, die krank waren, erst gesund getestet werden müssen, bevor sie die Quarantäne verlassen dürfen.

Aber bis dahin leben wir mit der Unsicherheit?
Fälle wie der meine zeigen, wie wichtig es ist, kein Risiko einzugehen, also im öffentlichen Raum wie Bussen und Bahnen, Supermärkten, Rathäusern etc. eine Maske zu tragen. Wer weiß schon sicher, ob er nicht gerade andere anstecken kann.

Was halten Sie von einem weiteren Kontaktverbot?
Wir müssen schrittweise zum normalen Leben zurückkehren und lernen, uns langfristig infektionsarm zu verhalten. Dafür müssen wir Schutzmaßnahmen deutlich verstärken.

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Was meinen Sie außer Maskenpflicht?
Ich schaue mir ja die Berichte unseres Ordnungsamtes an, das die Eindämmungsverordnung kontrolliert. Viele halten sich an die Regeln, aber ich lese immer wieder von größeren Gruppen, die auf der Straße zusammenstehen, und erst nach Aufforderung auseinandergehen. Aber fünf Minuten später stehen sie wieder zusammen.

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Hier reicht freundliche Ansprache offensichtlich nicht. Bei solch Uneinsichtigen werden wir jetzt Verwarngelder in Höhe von mindestens 55 Euro erheben, die anders als Bußgelder sofort bezahlt werden müssen.

Kann die Berliner Politik Krise?
Ja, nach den Anfangsschwierigkeiten funktionieren die staatlichen Strukturen gut angesichts der Tatsache, dass so ein Szenario noch nie jemand wirklich durchdacht hatte.

Und die Berliner?
Die können auch Krise. Es macht Mut zu sehen, dass sich die Menschen so schnell so weitreichend einschränken können. Ich sehe es ja auch bei den 3000 Beschäftigten im Bezirksamt Mitte, wie flexibel und kreativ gearbeitet wird. Es klappen Dinge, die ich nicht für möglich gehalten hätte.

Zum Beispiel?
Wir rufen bislang täglich alle an, die sich in Quarantäne befinden, und fragen, wie es ihnen gesundheitlich geht, ob ihre Versorgung gesichert ist und geben Hinweise zum Verhalten in der Quarantäne. Das sind jeden Tag fast 3000 Telefongespräche.

Wie halten Sie diese Motivation hoch?
Mit Obst zum Beispiel. Unsere Beschäftigten, die sich gerade jeden Tag verausgaben, um die Krise zu bewältigen, bekommen regelmäßig Obstkörbe ins Büro geliefert. Wenn Sie sehen, dass ein geschenkter Apfel die Stimmung so aufhellen kann, verstehen Sie, warum diese Art der Wertschätzung in vielen Unternehmen der freien Wirtschaft gang und gäbe ist.

Sie sind der Bürgermeister von rund 400.000 Berlinern. Mitte führt die Tabelle mit mehr als 720 gemeldeten Fällen mit Abstand an. Das sind deutlich mehr Infizierte als in ganz Mecklenburg-Vorpommern und Bremen. Wie erklären Sie sich das?
Wir haben in Mitte besonders viele junge, mobile, mit vielen Kontakten ausgestattete Menschen, die sich infiziert haben. Die waren beim Skifahren, gehen regelmäßig in Clubs, arbeiten in Großraumbüros oder Co-Working-Spaces. Wer so lebt, steckt sich leichter an als ein Rentner in der Gartenlaube in den Außenbezirken.

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Es heißt, nur vier Prozent Ihrer Verwaltung können mit getunnelten Laptops im Homeoffice arbeiten. Wie lange kann eine mittlere Stadt wie Mitte ohne funktionierende Verwaltung überleben?
Mit Ausnahme der existenziellen Hilfen kann man auf viele Dienstleistungen im Bezirksamt ein paar Wochen lang verzichten. Aber es ist völlig klar, dass der Antragsstau wächst und die verschobenen Behördengänge nachgeholt werden. Wenn dann eine von der Coronabekämpfung erschöpfte Verwaltung ein Vielfaches an Vorgängen bearbeiten muss, droht der Kollaps. Wir können es uns nicht mehr lange leisten, nur 30 Prozent der Verwaltung vor Ort zu haben.

Wie viel Zeit bleibt Ihnen?
In manchen Bereichen ist sie schon abgelaufen. Jeden Tag schwieriger wird es bei allen Vorhaben, wo es ohne Genehmigung des Bezirksamtes nicht losgehen kann wie z.B. Bauvorhaben, von der Baugenehmigung über das Baugerüst bis zur Verlegung von Internetleitungen.

Sie kämpfen seit Jahren mit der Raumnot im Bezirksamt. Wie können Sie die Prävention am Arbeitsplatz gewährleisten?
Auch da ist Flexibilität gefragt. Jeder Raum, der wegen Teilzeit, Urlaub, Krankheit oder Homeoffice leer ist, muss genutzt werden – egal in welchem Amt, egal von welcher Arbeitsgruppe, lieber auf unterschiedlichen Etagen als zu eng sitzen. Wenn einer lieber morgens, der andere lieber nachmittags im Dienst ist und man den restlichen Teil der Arbeitszeit im Homeoffice verbringt, kann aus einem engen Doppelbüro ein Einzelbüro werden.

Wo wünschten Sie sich mehr Mut für vielleicht umstrittene Entscheidungen?
Bei der Diskussion um die Spielplätze beispielsweise. Ich bin überzeugt, dass wir sie auf intelligente Weise wieder öffnen könnten. Wir könnten ja zum Beispiel einen Abenteuerspielplatz unter der Maßgabe öffnen, dass nicht mehr 50, sondern nur 20 Kinder und die mit Maske gleichzeitig spielen dürfen. Kinder mögen sich schwer mit Masken tun. Aber wenn Kinder etwas wollen, sind sie auch zu vielem bereit.

Es heißt ja, jede Krise gebiert auch etwas Gutes. Gilt das auch für Mitte?
Die E-Scooter sind verschwunden und verursachen keine Probleme mehr. Aber im Ernst: Schauen Sie sich die massiv verringerte Belastung der Umwelt an. Es hätte wohl ganz Australien vom steigenden Meeresspiegel überschwemmt werden können und wir wären nicht bereit gewesen, auf so viel Flugverkehr zu verzichten. Und ich hoffe sehr, dass wir uns auch weiter darauf besinnen, wie wichtig der lokale Einzelhandel ist. Als Verwaltung hat uns die Krise gezeigt, wie gut es sich über Ämter- und Zuständigkeitsgrenzen hinweg zusammenarbeiten lässt, wenn man will.

Überall entstehen ja gerade diese Pop-up-Fahrradwege. Eröffnet die Krise auch Chancen für die Verkehrswende?
Die provisorischen Radwege wollen wir überall da anlegen, wo sie auch langfristig sinnvoll sind. Aber wir lernen gerade, wie es das Verfahren beschleunigt, wenn sich alle beteiligten Behörden – am besten noch mit der ausführenden Firma - vor Ort treffen, um gemeinsam zu entscheiden, was wie machbar ist – anstatt sich seitenlange Stellungnahmen hin- und herzuschicken. Vielleicht hat der ein oder andere ja auch in den letzten Wochen gemerkt, dass das Rad das ideale Verkehrsmittel für Berlin ist.

Eines ist jetzt schon klar: Nach dem Krieg gegen das Virus beginnt der Kampf um die Finanzen. Gibt es erste Signale vom Senat?
Wir Bezirksbürgermeister hatten einen ersten Austausch mit dem Finanzsenator. Er befürchtet, dass bis zu 20 Prozent des Landeshaushalts wegbrechen und deshalb auch bei den Bezirken „rabiate“ Einsparungen notwendig werden dürften.

Berlin hat ja nun gerade die Erfahrung gemacht, was passiert, wenn die Verwaltung tot gespart wird. Was würden Sie also vorschlagen?
Wichtig ist, dass wir als Bezirke entscheiden, wie und wo gespart wird und nicht der Senat pauschal vorgibt, dass zehn Prozent des Personal eingespart oder jede Ausgabe um zehn Prozent vermindert werden muss. Wir müssen punktuell da sparen, wo man es vertreten oder durch andere Maßnahmen ausgleichen kann. Aber wir werden erhebliche Einschränkungen haben. Alle Ämter im Bezirksamt durchforsten gerade ihren gesamten Haushalt, um noch irgendwie vertretbare Einsparmöglichkeiten zu finden.

In Neuseeland verzichtet die Ministerpräsidentin samt dem politischen Spitzenpersonal auf 20 Prozent ihres Einkommens. Was würden Sie dazu sagen?
Ich fände es richtig und wichtig, dass auch in Berlin das politische Spitzenpersonal seinen Beitrag leistet. Ich würde es sehr begrüßen, wenn alle Spitzenverdiener im öffentlichen Dienst für mehrere Monate freiwillig auf zum Beispiel zehn Prozent ihres Gehaltes verzichten. Ich wäre dazu bereit.

[Was verdienen Bezirksbürgermeister und Stadträte eigentlich? Steht im Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel, wo Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank, SPD, eine andere Idee äußert.]

Seit fünf Wochen werden Sie wegen Ihrer Infektion zwischen Sorge, Hoffnung und Enttäuschung immer wieder hin- und hergeworfen? Wie verkraften Sie das?
Erstaunlich gut. Ich habe wirklich gut zu tun, das ganze berufliche Leben findet ja fast nur noch virtuell statt. Es gibt Telefonkonferenzen, bei denen es unerheblich ist, ob ich daran im Büro oder von zu Hause teilnehme. Nur bei den morgendlichen Lagebesprechungen des Gesundheitsamts kann ich nicht dabei sein. Zu allen Sitzungen des Krisenstabes und Bezirksamtes bin ich dazugeschaltet und kann mich einbringen.

Wie schalten Sie ab?
Am besten beim Tischtennis. Mit Büchern als Netzersatz wurde unser großer Küchentisch zu einer prima Tischtennisplatte. Quarantäne macht erstaunlich kreativ.

Stephan von Dassel, 53, ist seit 2016 Bezirksbürgermeister von Mitte. Der Grünen-Politiker hatte sich Mitte März mit dem Virus infiziert.

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