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Die Affäre um schadstoffbelastete Schießstände bei der Polizei ist erneut Thema im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.

© Rainer Jensen/dpa

Berliner Beamte waren Schadstoffen ausgesetzt: Neue Urteile in Schießstandaffäre – aber die Polizisten leiden weiter

Berliner Beamte warten seit Jahren auf Gerechtigkeit. Nun gibt es ein neues Urteil - und die Grünen kritisieren den Innensenator.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden, dass die Entschädigungszahlungen an Opfer der Schießstandaffäre bei der Polizei doch gerichtlich überprüfbar sind. 2019 waren 3,3 Millionen Euro an knapp 500 Schießtrainer und Polizisten ausgezahlt worden. Für die Betroffenen ist der Fall noch lange nicht erledigt.

Der RBB hatte die Zustände in den Schießständen 2015 aufgedeckt - die Gebäude waren schadstoffbelastet, Beamte wurden krank, nachdem sie dort im Einsatz waren.

In der Polizeiführung und teils bei den Gewerkschaften waren die Gesundheitsrisiken bekannt. Doch niemand schritt ein. Um das Problem zu lösen, hatte Innensenator Andreas Geisel (SPD) einen Ausgleich für die Belastungen vorgesehen.

Die meisten Beamten bekamen 3000 und 10.000 Euro, wenige Male gab es 30.000, 50.000 und 80.000 Euro. Zahlreiche weitere Beamte, die in den giftigen Schießständen tätig waren, gingen leer aus. Andere fanden, der Ausgleich sei zu gering.

Innensenator Geisel hatte den Rechtsweg für Entscheidungen der von ihm einberufenen Ausgleichskommission ausgeschlossen. Auch ein medizinscher zwischen der Arbeit in schadstoffbelasteten Schießständen und späteren Erkrankungen wurde nicht anerkannt.

Ein SEK-Beamter, der jahrelang in gesundheitsschädlichen Schießständen geübt hatte und der trotz Antrag bei der Kommission leer ausging, bekam nun recht. Das Verwaltungsgericht hält Entscheidungen der Kommission – wie alle Bescheide von Behörden – für überprüfbar. Über den Fall muss neu entschieden werden.

Wegen der bereits Ende 2019 eingereichten Klage haben Gewerkschaften und Innenverwaltung kürzlich die Gespräche über weitere Zahlungen und die Überprüfung der Kommissionsentscheidungen ausgesetzt. Vorgesehen war, eine Revision der bisherigen Entscheidungen der Ausgleichskommission. Seit Anfang 2020 hätte die Innenverwaltung weitere drei Millionen Euro auszahlen können, geschehen ist nichts.

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Die Gewerkschaft GdP, DPolG und BDK hatten im Oktober 2020 mit der Innenverwaltung vereinbart, dass Schiedspersonen die Entscheidungen der Ausgleichskommission überprüfen. Erst zu Wochenbeginn hatten die Gewerkschaften erklärt: „Sollte das Gericht zu der Entscheidung kommen, dass es sich um Verwaltungsakte handelt, so ist folgerichtig das avisierte Schiedsverfahren so nicht umsetzbar.“

Ein Schiedsverfahren sei dadurch unmöglich, erklärte GdP, DPolG und BDK in einer gemeinsamen Mitteilung. Die GdP meinte gar, dass es „kontraproduktiv und auch nicht im Interesse unserer Kollegen“ sei,“ über alternative Wege zu spekulieren“.

Grünen-Innenexperte Lux: Vielschießer endlich entschädigen

Tatsächlich hat die Einzelfallentscheidung kaum Auswirkung. Beamte, die Ausgleichszahlungen angenommen haben, haben laut einer weiteren Gerichtsentscheidung keinen Anspruch darauf, dass die Entscheidung überprüft werden kann. Und wer leer ausging und keinen Widerspruch eingelegt hat, dürfte inzwischen auch keine Möglichkeiten mehr haben. Die Widerspruchsfrist ist längst abgelaufen.

Grünen-Innenexperte Benedikt Lux und der Polizei-Berufsverband „Unabhängige“ äußerten sich am Mittwoch nach Bekanntwerden der Gerichtsentscheidung kritisch. Lux sagte: „Ich bin irritiert, dass der Senator das Gerichtsverfahren nutzte, um die Geschädigten von den Schießständen hinzuhalten.“ Geisel müsse Vielschießer endlich entschädigen. „Manche haben nicht mehr viel Zeit“, sagte Lux. Einige sind schwer krank, 18 an den Folgen gestorben.

Der Berliner Abgeordnete Benedikt Lux (Grüne).
Der Berliner Abgeordnete Benedikt Lux (Grüne).

© promo

Die Überprüfungen der Ausgleichszahlung auszusetzen, sei „nicht im Sinne der Erfinder“, sagte Lux. „Das Parlament hat gut drei Millionen EUR für 2020 und 2021 für zusätzliche Entschädigungen zur Verfügung gestellt, von der nach meiner Kenntnis noch kein Euro abgeflossen ist“, sagte der Innenexperte der Grüne-Fraktion. 

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Innensenator Geisel und Innenstaatssekretär Torsten Akmann müssten sich fragen lassen, wie sie das Parlament informiert haben. „Im November 2020 hat der Staatssekretär die Überprüfung der Entschädigungen zugesagt. Er brachte eine Stiftung ins Spiel“, sagte Lux. „Im Innenausschuss spielte ein verwaltungsgerichtliches Verfahren keine Rolle.“

Berufsverband Unabhängige: Die Lösung ist eine Stiftung

Ohnehin sei es völlig unumstritten, dass die Ausgleichszahlungen ein Verwaltungsakt seien. „Da lässt sich über die Motive nur spekulieren“, sagte Lux. "Ich kann nachempfinden, wenn die Betroffenen Wut und Empörung empfinden und das Verhalten des Innensenators nur mit Bedauern zur Kenntnis nehmen."

Jörn Badendick ist Sprecher des Berufs- und Personalvertretungsverbandes "Unabhängige".
Jörn Badendick ist Sprecher des Berufs- und Personalvertretungsverbandes "Unabhängige".

© promo

Jörn Badendick, Sprecher des Berufsverbandes "Unabhängige", sagte: "Das Urteil ist ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein. Die Schießstandaffäre hat bislang 18 Todesopfer gefordert, ohne das auch nur ein Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen wurde"

Badendick erinnert daran, dass durchaus eine Lösung möglich gewesen wäre, um zahlreichen Beamten, die durch ihre Tätigkeit und Trainings in den Schießständen gesundheitliche Schäden erlitten haben, zu helfen

"Wir haben im vergangenen Jahr im Gesamtpersonalrat versucht, die leer ausgegangenen Betroffenen der Schießstandaffäre durch eine Behörden eigene Stiftung aufzufangen", sagte Badendick. "Dies scheiterte am Widerstand von Staatssekretär Akmann und an den konkurrierenden Gewerkschaften", erklärte er. "Mit einer solchen Stiftung hätten schnell und unkompliziert die bereitgestellten Gelder an die Erkrankten ausgezahlt werden können."

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