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Der Käfer, Wolfgang Wandts erstes Auto. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

© privat

Berliner Auto-Leidenschaft: Eine Liebesgeschichte vom Käfer zum Hybrid

Früher waren sie ein Fetisch Berlins, jetzt gelten sie als böse. Wolfgang Wandt hat alle Entwicklungen mitgemacht – und ist den Autos treu geblieben.

Die Beziehung zum Auto, das hatte Ralf-Otto Limbach schon am Telefon gesagt, hat in Deutschland etwas Tiefenpsychologisches.

Seine erste Frage an alle neuen Interessenten für seinen Oldtimer-Club lautet deshalb: „Welchen Wagen ist dein Vater gefahren?“ Bei jedem seiner mehr als 200 Clubmitglieder hat er das gefragt.

Und wenn er durch das Tor dieser Frage direkt in ihre Kindheit tritt, spielt es keine Rolle, dass diese Kinder später ernsthafte Zahnärzte, Niederlassungsleiter, Ingenieure oder Unternehmensberater geworden sind. Die Faszination ist sofort wieder da. Die Antworten sprudeln. Das Echo der ersten Begeisterung klingt noch Jahrzehnte nach. Nicht selten haben ihre eigenen Autos etwas mit den Autos ihrer Väter zu tun. Autofahren, sagt Limbach, ist etwas Emotionales.

Doch aktuell etwas hoch Umstrittenes. Deutschland war einmal ein Land, in dem die Menschen zwei Beine und vier Räder hatten. Identität durch das Autofahren. Doch nun: Feinstaubmessungen, CO2-Schleudern, Stadtraumbelästigung mit Lärm und Gestank. Der Fetisch der Deutschen ist zu ihrem schlechten Gewissen geworden. In der Großstadt wünschen Jugendliche sich keine Autos mehr – und machen gar nicht erst den Führerschein. Senioren sollen ihn abgeben. Das Auto wurde langweilig, langweiliger als ein Smartphone jedenfalls. Zuletzt wurde es böse. Böser als ein Fahrrad. Die Berliner Verkehrssenatorin empfiehlt den Berlinern, ihr Auto abzuschaffen. Am Osterwochenende ist auch noch Heidi Hetzer gestorben.

Wie viele Autos er besessen hat? Immer zwei oder drei, gleichzeitig

Doch in der mehr als 100 Jahre alten Industriehalle des Auto Classics Club im Norden von Berlin riecht es noch, wie es riechen muss: etwas metallisch und nach Öl und Gummi. So riechen Autos, die man noch selbst reparieren kann, es sind die Oldtimer der Mitglieder.

In den Ledersesseln des Büros mit Sicht auf die Wagenhalle sitzt der Clubgründer Ralf-Otto Limbach, der in seiner Zeit als Auto-Manager zuständig war für das Lateinamerikageschäft von BMW, dann für VW gearbeitet hat. Wolfgang Wandt ihm gegenüber, zwei Fotoalben auf den Knien, hat einfach ein Leben mit vielen Autos geführt. Sein Verhältnis zum Auto ist ungebrochen. Er selbst kann nicht mehr rekonstruieren, wie viele er besessen hat. Es waren immer zwei, drei gleichzeitig, an denen er stetig herumbesserte. Das Auto war sein Ersatzwohnzimmer geworden, in dem er sich allerdings ab den 70er Jahren anschnallen musste.

Die Albumseiten trennt Seidenpapier. Zu sehen ist ein Leben mit seinen, nun ja, Lebensgefährten, aber zugleich kann man das Album aufblättern wie eine Geschichte der Beziehung der Bundesrepublik zum Auto.

Irgendwann ist ja entschieden, was einer wird im Leben. Er kann dann auf den letzten Metern nicht mehr jemand anders werden, bloß weil der Zeitgeist sich dreht. Senioren, hieß es zuletzt, seien eine Gefahr für die Allgemeinheit, weil sie mehr Unfälle verursachten. Sie sollten sich Tests unterziehen oder ihre Führerscheine gleich ganz abgeben.

Dämmerung. Das Auto hat als Projektionsobjekt ausgedient, zumindest in Berlin.
Dämmerung. Das Auto hat als Projektionsobjekt ausgedient, zumindest in Berlin.

© Michael Kappeler/p-a/dpa

Wolfgang Wandt, mit seinen 68 Jahren, denkt gar nicht dran. Wandt hat seine Form gefunden. Sie passt perfekt in den Ledersitz eines alten Porsche, perfekt auf den Sitz einer Harley Davidson, sowie einer historischen BMW R69S, Baujahr 1964, rotschwarz, Originallackierung. Genauso aber harmoniert seine Form seit zwei Jahren mit dem „Outlander“, einem Mitsubishi Hybrid-Plug-in.

Wolfgang Wandt erbte die Motorenkompetenz von den Frauen in seiner Familie. Noch bis zu ihrem Tod mit 92 Jahren fuhr seine Mutter selbst, unfallfrei. Eine Frau stets mit Frisur und einem Faible für Komfort. Ihre Vorstellung von einer gepflegten Erscheinung schloss das Blechkleid mit ein. Ihr letztes war ein makelloser Mercedes SL Cabrio, hier, Wandt hat ein Foto davon.

Eine metallene Idylle

Wandt, geboren 1951, Führerschein 1969, ist aufgewachsen in Berlin-Reinickendorf und mit den offenen Schrotthalden der Nachkriegszeit, wo man in Berlin einfach Teile sammeln konnte wie andernorts die Kinder Blaubeeren. Es war seine metallene Idylle.

Es lief, als er 15 war, auf ein 50ccm Herkules-Moped zu, weil er sich leisten konnte, es zu reparieren. „Ich war mehr auf Schrottplätzen als in der Schule.“ Er kannte jeden Schrottplatz in Reinickendorf.

Der Keller der Eltern, ein Ersatzteillager

„Wir haben früher alles selber geschraubt“, sagt Wandt, und dieses Schrauben hielt die Freunde zusammen. Mit jeder Schraube zogen sie ihre Verbindung fester. „Es ging um das Soziale“, sagt Wandt. Wenn Wandt an seine ersten Autos denkt, fallen ihm keine einsamen Stunden in einer Blechkarosse ein, sondern gemeinsame Erlebnisse. Immer lagen sie in irgendeiner Garage, auf dem Rücken auf einer Decke unter einem Auto. Im Winter mit Heizlüfter, denn auch Winter gab es damals noch. Sie gaben mehr für die Stromrechnung als für Benzin aus. Der Keller der Eltern war ein Ersatzteillager. Einer konnte gut lackieren, der andere war Elektrofachmann. Das Ergebnis war ein Gemeinschaftswerk. Ein Abbild ihrer Freundschaft.

Wolfgang Wandt, 68, hat nie aufgehört, Autos zu lieben.
Wolfgang Wandt, 68, hat nie aufgehört, Autos zu lieben.

© Kitty Kleist-Heinrich

Als in Deutschland die Autoleidenschaft für alle mit dem Käfer anfing, begann es auch für Wolfgang Wandt ganz genau so. Seine Oma wollte ihm den ersten gebrauchten Käfer schenken. Oh Gott, bangte er. Bitte nicht so einen schwach motorisierten 1200er, mit dem er vor seinen Freunden nicht auftauchen konnte. „Da bin ich wieder Letzter, wenn wir losfahren.“ Aber auf seine Oma war Verlass. Er bekam einen weißen 1500er, Baujahr 1957, der noch im Mittelgebirge 120 fuhr.

Er montierte vorne die großen Hupen seiner Mutter an, kletterte auf die Sitze und guckte oben aus dem Schiebedach, als jemand – waren das schon die 70er? – auf den Auslöser drückte.

Das Huhn wartete gleich hinter der Grenze

Wie sie abends manchmal spontan mit vier Mann ins Auto sprangen, den Sprit teilten und dann zum Hühnchenessen über die Transitstrecke nach Helmstedt fuhren! Nicht, dass es in Berlin oder auch in Reinickendorf keine gebratenen Hühnchen gegeben hätte. Es war ihre Art, unterwegs zu sein. Weil sie durch die DDR fuhren, mussten sie zum Abendessen ihren Pass mitnehmen, das Huhn wartete gleich hinter der Grenze. Dann schnell noch in die Disco, morgens um sieben waren sie wieder zu Hause.

„Warum fährt man für ein Huhn nach Helmstedt?“, fragt Limbach „Das ist es ja eben“, sagt Wandt. Das Fahren!

Die Hinfahrt war immer toll, sie haben Musik gehört. Nur die Rückfahrt zog sich ein bisschen. „Heute fliegen die Frauen für eine Handtasche nach New York.“ Wandt zuckt mit den Schultern.

Heute ist vieles anders. Aus dem Büro geht der Blick in die Wagenhalle mit den alten Schätzen. „Moderne Autos kann jeder fahren, aber iemand mehr selbst reparieren“, sagt Wandt. Die Dienste hoch spezialisierter Teilehändler nimmt man über das Internet in Anspruch. Schrott ist aus dem Straßenbild verschwunden. Die soziale Wärme um das gemeinsame Feuer des erkalteten Stahls gibt es nicht mehr.

"Schatz, dies hier ist jetzt unsere Altersvorsorge!"

Heute sind die alten Autos Investitionsobjekte geworden. Eine endliche Anzahl von bereits produzierten Wagen trifft auf eine potenziell unendliche, international explodierende Nachfrage. Alte Autos sind ein abgeschlossenes Sammelgebiet.

Limbach sagt, ab einem Wert von 100.000 Euro setzt die Hemmung ein, mit einem Oldtimer unbeschwert zum Supermarkt zu fahren. Limbach fasst das Phänomen so zusammen: „Alle stehen ja vor dem gleichen Problem: Was mache ich mit meinem Geld?“ Der Weg zu ihm laufe häufig ähnlich ab: Eines Tages verliebe sich der Mann in einen Oldtimer, schlage kurz entschlossen zu. „Schatz, dies hier ist jetzt unsere Altersvorsorge!“ Aber einer muss sich kümmern!, wende die Frau dann ein. Wer kann den Wagen aufmöbeln, warten, pflegen? Denn klar, wenn die Altersvorsorge einfach nur draußen rumsteht, verliert sie an Wert.

Die Batterie ist immer aufgeladen, der Wagen immer fahrbereit

Limbach gibt den Wagen ein wohltemperiertes Zuhause in seiner Wittenauer Halle. Wie ein weicher Strohhalm hängt den alten Wagen ein Kabel aus der Motorhaube, als nuckelten sie konstant am Strom. Etwas patientenhaft hängen die stolzen Autos am Tropf. Porsche. Jaguar. Borgwards. Die Batterie ist so immer aufgeladen, der Wagen immer fahrbereit. Fahrbereitschaft ist das Versprechen, die Dienstleistung des Clubs. Dafür beschäftigt Limbach eigene Mechaniker. Die Halle temperiert auf 17 Grad, kaum Luftfeuchte, damit die Autos nicht rosten und die Batterien den Winter überleben. Jeden Freitag lädt er die Mitglieder zum „Benzingespräch“. Die Leute kommen hauptsächlich her, um ihre Wagen zu streicheln, sagt Limbach.

Na ja, Wandt nicht. Der hat immer selbst geschraubt. Nach dem Käfer trat ein Opel Rekord C Kombi in sein Leben, der sagenhafte „Flohwagen“. Wandt hat mit einem Kollegen für eine Tierhandlung morgens Lebendfutter gefangen und Wasserflöhe ausgefahren. Morgens um drei zum Sonnenaufgang steuerten sie Berlins stehende Gewässer an, wo die Flöhe zu finden waren. Rehberge, Frohnau, raus an die Waldseen. Die Wasserflöhe, „die müssen ja leben“, schöpften sie mit dem Kescher ab, um sie sofort auszuliefern. Rote, kleine Wasserflöhe, „jeden Tag frisch“. Hinter den Fahrersitzen schwappten die Wassertanks, die in Überlaufbecken standen. Mit dem Bohrer durchlöcherte Wandt den Unterboden, damit das Wasser, das in den Kurven aus den Tanks schwappte, ablaufen konnte.

Das Auto hilft dir, zu machen, was du willst

„Echt?“, fragt Limbach. Die Geschichte kennt er noch nicht. Es sind die Geschichten, die er liebt, vom Autofahren. Es war das Freiheitsversprechen der Zeit: Das Auto hilft dir, zu machen, was du willst. Kein Tüv hätte dieses fahrende Sieb je passieren lassen, sagt Wandt, aber bevor es dazu kam, bereitete dem Auto ein BVG-Bus in der Seite ein natürliches Ende. In den 70ern muss das gewesen sein.

Wandt hat mit 17 bei Siemens eine Ausbildung zum Elektromechaniker gemacht, erst in der Nachrichtentechnik gearbeitet, dann zwölf Jahre in der Automobilbranche. Seine Autos waren nie eine Frage von Reichtum, sondern von Prioritäten: Der Softwareentwickler hat nie eine eigene Familie gegründet, die er hätte unterstützen müssen. Aber mit viel Talent konnte er gebrauchte Autos selbst aufmöbeln. Er besaß Fachwissen und Jagdinstinkt und hatte alle Zeit, die er in die Wagen stecken konnte.

Der Mercedes 250 S war elegant und bequem. Mit einem Wohnwagen angehängt ging es auf weite Reisen.
Der Mercedes 250 S war elegant und bequem. Mit einem Wohnwagen angehängt ging es auf weite Reisen.

© privat

Früh fuhr er einen Mercedes 250 S, himmelblau. „Ein toller Wagen, zuverlässig und bequem.“ Mit der Oma aus Wien machte er auch Ausflüge in den Osten. Das himmelblaue Heck ragt auf Wandts Fotos weit in die graue DDR hinein. In den mehr als zehn Jahren, die er den Wagen besaß, fuhren sie nach Polen, Stettin und nach Kempten ins Allgäu. Für die langen Fahrten hängten sie einen Wohnwagen hinten dran, in dem sie zu viert übernachteten: Wandt, seine Mutter, seine Großmutter und eine Bekannte.

Deutschland war auf dem Weg zur Vollmotorisierung, aber sein Mercedes war noch etwas Besonderes. Die Bewohner der Nachbarländer kamen zum Schnellfahren auf die Autobahn nach Deutschland. Die Welt kaufte deutsche Autos. Die Deutschen selbst fanden, zum freien Bürger gehöre freie Fahrt. Beziehungsstatus: innig.

"Autogerecht" - eine merkwürdige Art von Gerechtigkeit

Hannover war schon „autogerecht“ umgebaut, Berlin wurde es erst. Die Stadtautobahn wurde in der Schlangenbader Straße mit 1000 Wohnungen überbaut. „Autogerecht“ ist eine merkwürdige Art von Gerechtigkeit: Die Symphonie der Großstadt klang nun vornehmlich nach Motoren. Das größenwahnsinnige Berlin entwarf Stadtautobahnen und Tangenten, ungehinderte Durchfahrten, kreuzungsfreie Entzerrung von Autos und anderen Verkehrsteilnehmern, wovon nicht alles umgesetzt wurde. Das Stadtleben pulsierte im Takt von Ampelphasen. Es gab aber zugleich auch „ruhenden Verkehr“ und damit Parkleitsysteme, Parkraumbewirtschaftungszonen.

Aber Wolfgang Wandt wollte nicht parken, sondern fahren. Er verliebte sich in einen roten Porsche, der keine Kotflügel mehr hatte und angerostet war. Er hat ihn, Baujahr 1970, für 9000 Mark gekauft und dann noch etwa achtmal so viel hineingesteckt. „Dann war ich pleite.“

Der Geldnot geschuldet fuhr er ein paar günstige Gebrauchtwagen, bis endlich der rote Mercedes 107-er SL Cabrio wieder für Spaß taugte. Es war der Wagen, den auch Bobby Ewing in „Dallas“ fuhr. Was beweist, dass das Auto, oder jedenfalls das Verlangen danach, ein gesellschaftliches Konstrukt ist. Wolfgang Wandts Wagen war ohne „Dallas“ gar nicht denkbar. Er parkte ihn schräg aufwärts in einer Kurve der Schwarzwaldhochstraße, die Räder dynamisch eingedreht, und schoss ein Foto, das nun in Wandts Album klebt. Es sieht aus wie der Serviervorschlag der Autohersteller.

Ein Porsche sollte es sein. Als Wolfgang Wandt ihn repariert hatte, war er pleite.
Ein Porsche sollte es sein. Als Wolfgang Wandt ihn repariert hatte, war er pleite.

© privat

Kurz vor der Jahrtausendwende erstand er einen BMW Z1, den legendären, limitierten Sportwagen, der versenkbare Türen hatte – und tatsächlich auch so offen gefahren werden durfte. Ein Journalist schrieb, nur ein Zahnarzt blicke in mehr offene Münder als der Fahrer dieses Autos. Wandt fuhr nach Frankreich, an die Ostsee und nach München, wo er inzwischen arbeitete.

Während heute der fahrende Blechkasten als Vereinzelungsinstrument gesehen wird, in dem jeder die anderen auf Abstand hält und sich ein paar Kubikmeter Privatraum aus der Umgebung schneidet, verbindet Wandt damit das Gegenteil: ein Gemeinschaftserlebnis. Das Schrauben, das Fahren selbst, die Ausflüge, das Fachsimpeln, die Begeisterung.

Alpenpässe. Panoramapunkte. Gasthäuser.

Am deutlichsten spürte er all das während seiner Motorradfahrten. 14 Jahre in Folge ist er zu Pfingsten mit Freunden unterwegs gewesen. Softwareentwickler wie er, die da in den Alpen auf ihren Verbrennungsmotoren saßen, acht bis zehn Stunden pro Tag. Alpenpässe. Panoramapunkte. Gasthäuser. Wandt fuhr eine in Berlin produzierte BMW, die K 1100 LT. „LT“ steht für Luxus Tourer.

Einer suchte die Route aus, einer die Übernachtungen, der Bankier unter ihnen handelte für alle Mengenrabatte aus. Wenn einer den Blinker setzte, bogen sie alle ab und aßen zu Mittag: Wandt mochte die entspannte Entscheidungsfindung. Es musste nicht immer alles verhandelt und optimiert werden. War nicht alles schon deshalb optimal, weil man es gemeinsam tat? 

„Das war die beste Zeit“, sagt er und klappt sein Fotoalbum zu. Draußen stehen die alten Autos mit ihren H-Kennzeichen in der Halle. Sie stammen aus der besten Zeit ihrer Besitzer oder der ihrer Väter. Die meisten fahren ihre Oldtimer nur ein- bis zweimal im Jahr, sagt Limbach.

Was ist die beste Zeit eines Lebens? 

Womöglich für jeden etwas anderes. Für die meisten ist die beste Zeit ihre Jugend. Die Jahre, in denen jeder Mensch bereit ist, sich prägen zu lassen, verbrachten viele im Auto. In der vollmotorisierten Jugend der meisten älteren Deutschen waren auf die eine oder andere Art selbstverständlich Autos dabei. Es kann vorkommen, dass man diese Autos dann irgendwann selbst für das Beste des Lebens hält.

"Statistisch spielen Oldtimer keine Rolle"

Für einige gehört der Freitagabend zum Besten der Gegenwart, wenn Ralf-Otto Limbach seine Mitglieder in der Wittenauer Halle zum „Benzingespräch“ lädt. Das kann schon fast als subversiv gelten, wenn draußen freitags für mehr Klimaschutz demonstriert wird.

„Statistisch spielen Oldtimer keine Rolle“, sagt Limbach. Es ist einer der ersten warmen Freitage im Frühling, im Innenhof riecht es nach Grillgut. Es gibt Salate und Weißwein und einer hat Geburtstag. Aufgeräumte Oldtimerbesitzer sprechen darüber, wohin es denn geht mit der Autoleidenschaft der Deutschen.

Sie sehen sehr wohl, dass das Bedürfnis nach Mobilität sich heute auch in anderen Formen ausdrückt. Das muss nicht zwangsläufig ein eigenes Auto sein. Die Zeiten, in denen man sein hochmotorisiertes Auto quasi für bemannte Raumfahrt hielt, sind vorbei.

Der BMW Z1 war eine Sportwagen-Sensation mit seinen versenkbaren Türen.
Der BMW Z1 war eine Sportwagen-Sensation mit seinen versenkbaren Türen.

© privat

Sie wissen alle, dass sich die Bedürfnisse verschieben. Während man im Land noch auf ein Auto angewiesen ist, finden sich in Städten keine Parkplätze mehr. Dort brauche man mehr allgemeine Mobilität, keine individuelle. Selbst Wandt hatte gesagt, ein Oldtimer sei etwas Wunderbares – aber zur Arbeit im Berufsverkehr? „Da gibt es nichts Besseres als autonomes Fahren“. Für seinen letzten Arbeitgeber hat er autonome Fahrsysteme getestet.

Sie kennen hier sogar die Erleichterung, wenn sie einen geleasten Porsche Panamera E-Hybrid mit seiner zu geringen Reichweite wieder abgeben können. Und natürlich wissen sie, dass die jetzigen Generationen X, Y und Z nicht mehr so selbstverständlich ständig mehr verdienen und sich statt eines Neuwagens vielleicht nur ein Notebook leisten können.

Doch warum nur sind Autos nicht mehr sexy?

Der Hamburger Künstler Peter Piller stellte 2004 Zeitungsbilder zu einer Serie namens „Auto berühren“ zusammen. Lauter Bilder waren zu sehen, auf denen Händler, Politiker, Privatleute mit ihrem Auto abgebildet waren, immer eine Hand an der Karosse. Was für ein immenses Kontaktbedürfnis. Doch warum nur sind Autos nicht mehr sexy, keine Lustobjekte mehr? 

Die Autoindustrie entwirft schon lange keine Modelle mehr, die man streicheln wollte. Alle werden sich immer ähnlicher, gesichtsloser, runder, ohne Kanten. Die Leute streicheln jetzt Smartphones.

Limbach findet, dass die immer größer werdenden Autos, die SUVs, heute unverhältnismäßig sind. „Wie viele Tonnen Material braucht man, um 75 Kilo Fleisch von A nach B zu fahren? Das ist doch ein krasses Missverhältnis.“ Eleganz ist etwas anderes. Na gut, sagt er, in einer alternden Gesellschaft komme man um hohe Einstiege nicht mehr herum, aber trotzdem: Limbach versteht nicht, warum Autos heute nicht mehr schön sind. Ja, schlimmer noch, gar nicht mehr schön sein wollen. So könne das ja nichts werden! Kein Wunder, dass die Begeisterung nachlasse. „Kein anderes Konsumprodukt wird so sehr über die Form beurteilt, es gibt kein so sexualisiertes Produkt wie das Auto.“

Das Land scheint aus einer Massenhypnose zu erwachen

Viele Clubmitglieder sind bei den Oldtimern, den Charakterköpfen unter den Autos, gelandet, weil das Autofahren aufgehört hat, markant zu sein. „Vielleicht ist das der Punkt des Erfolgs von Tesla“, sagt Limbach. Dass das Auto die Leute emotional so reizt, dass der Preis zur Nebensache wird.

So, aus der Perspektive des heutigen Berlin, fast schon im Nachhinein – kann man jetzt schon „im Nachhinein“ sagen? –, kommt es einem vor, als sei das ernüchterte Autodeutschland aus einer Massenhypnose erwacht: Die Leute standen jahrelang im Stau, wähnten sich aber auf Serpentinen der Schwarzwaldhochstraße, an spektakulären Küstenabschnitten oder auf Alpenpässen. Das Auto war ein Projektionsobjekt. Macht, Status, aber auch Stil und Eleganz, Kraft und Potenz konnte man ablesen. Oder zumindest das Verlangen danach.

Ralf-Otto Limbach hat zu seiner Zeit als Automanager mitgestrickt an diesem Mythos des Fahrens, er war Teil davon. Er hat für seine Arbeit in New York, Buenos Aires und Verona gelebt.

Autobegeisterung als Prägung durch Auto fahrende Väter – dieses Band ist gerissen. Berliner Väter fahren Lastenbike. Was für eine Prägung derjenige erfährt, der seine Kleinkindjahre mit seinem Vater in der Karre eines Lastenrads verbringt, ist noch nicht absehbar.

Wer noch Auto fährt, kriegt jeden Freitag Ärger mit Schülern

Die Begeisterung bei den Menschen, die ihr Auto hier versorgen lassen, ist jedoch jederzeit abrufbar, sie pflegen ihr Wissen, tauschen sich aus, aber bei ihren eigenen Kindern wächst sie nicht mehr natürlich nach.

Ein Auto ist umstritten. Als Statussymbol gestrig. Belastet von schlechtem Gewissen. Wer noch Auto fährt, kriegt jeden Freitag Ärger mit den Schulkindern. Eine von Limbachs Töchtern macht erst gar nicht den Führerschein. Der Sohn will, wenn überhaupt, dann Oldtimer fahren, weil die bei den Frauen besser ankommen. Überzeugte Automobilisten sind von einer Massenbewegung zu einer Szene geworden, die so klein ist, dass man sich untereinander kennt: das ehemalige „Meilenwerk“, das jetzt Classic Remise heißt, der Auto Classics Club, die Ausfahrten bei schönem Wetter.

Wolfgang Wandt liebt zwar Oldtimer, freut sich aber auch schon auf autonomes Fahren.
Wolfgang Wandt liebt zwar Oldtimer, freut sich aber auch schon auf autonomes Fahren.

© Kitty Kleist-Heinrich

Das Autofahren erfüllt in den Großstädten für viele keine Notwendigkeit mehr, es ist nur eine Möglichkeit der Mobilität unter vielen. In dem Maße, in dem es kein Grundbedürfnis mehr bedient, sondern stattdessen einen Lebensstil definiert, ist es zur Ausdrucksform geworden.

„Gibt es vielleicht eine Verlagerung der Sinnlichkeit ins Digitale?“, mutmaßt Limbach. Vielleicht ist das so, und die Älteren nehmen es nur nicht wahr. Als die Autos kamen, habe man ja auch gesagt, also diese Pferde, die hätten doch wenigstens noch etwas Lebendiges gehabt!

"Die meisten Laien machen mehr kaputt als ganz"

Für Wolfgang Wandt, den man zu Hause besuchen kann, stiften die Autos auch eine lebendige Gemeinschaft. Er mag sie am liebsten, solange nicht alles funktioniert. Bis heute muss er ein Auto verkaufen, wenn endlich alles läuft. „Dann wird es langweilig.“

Wandt schätzt noch immer das meditative Potenzial des Schraubens. Gedanken, die ihm beim Schrauben durch den Kopf gehen: Wie weit kann ich eine Schraube anziehen, bevor ich sie abdrehe? Wann will man etwas zu sehr? Wann bringe ich dadurch etwas nicht in Ordnung, sondern zerstöre es? „Die meisten Laien machen mehr kaputt als ganz. Bei neuen Autos sowieso.“  Trotz allen Wissens muss man eben auch ein Gefühl entwickeln. Zen und die Kunst, ein Auto zu warten.

Die Oldtimer in ihren Oldtimern unternehmen jetzt bei gutem Wetter gemeinsam Ausfahrten. Dann steigen sie in ihre glänzenden Karossen. Wenn einer blinkt, biegen alle ab.

Das Jägerglück bedeutet ihm noch immer etwas

Als reine Wertanlage wird so etwas bald langweilig, sagt Wandt. „Es geht um die Beziehung.“ Noch immer. Dass ein Wagen ihm etwas bedeutet, die Suche nach Teilen, am besten Originalstücke. Das Jägerglück. Im Prinzip hätte er nichts dagegen, noch einmal ein Auto aufzumöbeln. Es müsste zum Beispiel Baujahr 1951 sein, wie er selbst. Und gut erhalten.

Wandt wohnt noch immer neben seinem Elternhaus in einer Siedlung „mit Waldcharakter“. Die Solaranlage auf dem Dach liefert Strom für seinen Hybridwagen. Wandt bringt den Outlander in Position. In die gleiche wie damals, mit seinem ersten Auto. Vor der alten Eiche. Dem Ingenieur in ihm macht es Freude, dass er für das elektrische Umparken nicht extra die Luft verpesten muss, und dass es ihn auch gar keinen Sprit kostet. Er hat ein gutes Gefühl, wenn er im Stau steht und der Motor aus ist.

Wandt klettert in sein Auto und windet sich oben aus dem Schiebedach. Reiner Zufall, dass auch dieses Auto, wie sein erstes, oben offen ist. Klick. Ein Bild von einem Autofahrer.

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