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Am Tiergarten wurde in den Wochen nach dem Mord mit Blumen und Kerzen an Susanne Fontaine erinnert.

©  Lars von Törne

Berliner Abgeordnetenhaus: Kontroverse Debatte um ausreisepflichtige Straftäter

Hätte der Mord an Susanne Fontaine verhindert werden können? Die Opposition wirft dem Senat Versagen vor, dieser verweist auf den Rechtsstaat.

Abschieben oder nicht abschieben? Emotional und laut wie selten diskutierte der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses am Montag das Thema. Und zwar nicht allgemein, sondern am Fall des mutmaßlichen Mörders vom Tiergarten, Ilyas A.

Kein Mord hat in diesem Jahr in Berlin so viel Aufsehen erregt wie der an Susanne Fontaine. Die Kunsthistorikerin war Anfang September auf dem Verbindungsweg vom Schleusenkrug zum Bahnhof Zoo auf dem Heimweg überfallen, beraubt und getötet worden. Wenig später wurde in Polen der 18 Jahre alte Tschetschene Ilyas A. unter dringendem Tatverdacht festgenommen. Er sitzt mittlerweile in Berlin in Untersuchungshaft.

CDU, AfD und FDP wirft dem Senat Versagen vor

Knapp drei Monate nach der Tat setzten alle Parteien, die Regierungskoalition und natürlich die Opposition, den „Umgang mit ausreisepflichtigen Straftätern am Beispiel des Tiergartenmordes“ auf die Tagesordnung. Denn Ilyas A. hatte in Berlin vor dem Mord bereits eineinhalb Jahre in Haft gesessen und sollte abgeschoben werden. Dies geschah aber nicht.

Die Sitzung vom Montag lässt sich so zusammenfassen: Die Opposition aus CDU, AfD und FDP wirft dem Senat Versagen vor. Innensenator Andreas Geisel (SPD) wirft vor allem der CDU vor, den „Rechtsstaat in Frage zu stellen“. Eine Abschiebung des 18-Jährigen sei rechtlich nicht möglich gewesen. Nach Angaben des Innensenators gab es dafür vor allem drei Gründe, die der „Sachverhaltsdarstellung Ilyas A.“ zu entnehmen sind, die Geisel am Montag vorlegte: Zunächst war A. minderjährig, dann wussten die Behörden nicht, wo er ist. Und nach einer Festnahme hätte er nicht abgeschoben werden können, weil es keinen Haftplatz gab.

Im einzelnen geschah dies: Im November 2012 reiste A. als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland ein, stellte hier Asylantrag. 14 Monate später wurde die Familie nach Polen zurückgeschoben, das ist EU-Recht. 2014 reist Ilyas A. alleine illegal wieder ein, es wird eine neue Überstellung nach Polen angeordnet.

Nach mehreren äußerst brutalen Raubüberfällen an Senioren sitzt A. von Juli 2015 bis Dezember 2016 in Haft. Er hatte sich drei Frauen im Alter von 75, 87 und 98 Jahren ausgesucht, weil er bei ihnen keine Gegenwehr befürchten musste. So sagt er es im Prozess. Die Taten geschahen innerhalb weniger Tage Ende Juni.

"Selbst wenn er zehn Mal abgeschoben würde, käme er zurück"

Angesichts der begangenen Straftaten stellte der CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger eine Frage von zweifelhafter Wortwahl: „Ob man den überhaupt als Mensch bezeichnen kann?“ Anfang November 2016, gegen Ende der Haftzeit also, wird eine Ausweisungsverfügung nach Russland erlassen.

Tschetschenien ist Teil der Russischen Föderation. Diese scheitert, da Russland „nicht die kindgerechte Inobhutnahme“ gewährleistet. Freiwillig verlässt Ilyas A. Berlin und Deutschland nicht. Im August wird A. volljährig, nun braucht es keine Zusicherung der „kindgerechten Inobhutnahme“ mehr.

Aber die Polizei braucht eine Meldeanschrift des 18-Jährigen, und die gibt es nicht. Er erscheint zwar ab und zu bei Behörden. Dort erklärt er, dass er auf der Straße lebe und im Park schlafe. Nach Geisels Angaben sagte er weiter, „selbst wenn er zehn Mal nach Polen oder Russland abgeschoben würde, käme er zurück“.

Am 4. September 2017 legt A. eine Meldeanschrift vor, und zwar im Flüchtlingsheim Mertensstraße in Spandau. Einen Tag später, am 5. September begeht er der Staatsanwaltschaft zufolge den Mord an Susanne Fontaine. „Es ist das Drama an diesem Fall“, sagt Geisel, „dass die Meldeadresse erst einen Tag vor dem Fall bekannt wurde“.

CDU-Politiker Burkard Dregger betonte, dass man A. auch drei Monate vor dem 18. Geburtstag in Abschiebehaft hätte nehmen können. Dreggers Vorwurf: Der Senat habe in diesem Fall nicht alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft. Geisels Antwort ist deutlich: „Die Behauptung ist schlicht falsch.“ 

Dregger wurde aber auch grundsätzlich: Der Senat schiebe insgesamt zu wenig ab. Das kontert Geisel so: Berlin stehe bei der Rangfolge der Abschiebungen unter den 16 Bundesländern auf dem 5. Platz.

Wenig später wird der Linken-Abgeordnete Hakan Tas in der Sitzung sagen: „Jede Abschiebung ist eine zu viel.“ 

Die Opposition feixt über diese Steilvorlage, die Abgeordneten der SPD rollen vor Verzweiflung über den Koalitionspartner mit den Augen. Geisel muss versichern: „Wer unsere Sicherheit gefährdet, wird abgeschoben“, in diesem Jahr seien das bislang 1500 Personen gewesen.

Im Spätsommer 2017 ging das mit A. aber faktisch nicht, wie die Innenverwaltung zugeben musste. So war „eine (spontane) Festnahme und Übernahme in Abschiebehaft“ nicht möglich – da es zu diesem Zeitpunkt keine Abschiebehaftplätze gab. Bekanntlich sind die Abschiebehaftanstalten in Berlin-Grünau und Eisenhüttenstadt geschlossen.

Was ist nach dem Mord passiert? Für islamistische Gefährder immerhin gibt es jetzt Abschiebehaftplätze in der JVA Tegel. Im Jahr 2018 soll es für alle ausreichend Plätze geben. Und der Bezirk Mitte hat Ende Oktober das illegale Zeltlager der Obdachlosen neben dem Tatort geräumt.

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