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Ein Blick in den Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses

© Christoph Soeder/dpa

Berliner Abgeordnetenhaus 2018: Erst die harte Debatte, dann die Sektdusche

Debatten im Abgeordnetenhaus sind eine ernste Sache - oder? Meistens. Ein anekdotischer Jahresrückblick der sechs Fraktionschefs und des Präsidenten.

Raed Saleh, SPD-Fraktionsvorsitzender, Abgeordneter seit 2006

Für den Höhepunkt des Parlaments-Jahres sorgte aus Raed Salehs Sicht ein Schreiben aus Australien, ausgerechnet. Dort, genauer in Sydney, lebt Beate Hammet, Tochter des Architekten Alexander Beer, der die 1938 schwer beschädigte und später abgerissene Synagoge am Fraenkelufer von 1913 bis 1916 hatte bauen lassen.

Raed Saleh ist Fraktionschef der Berliner SPD.
Raed Saleh ist Fraktionschef der Berliner SPD.

© Maurizio Gambarini/picture alliance/dpa

Dass sich diese Jüdin im Alter von 92 Jahren an Saleh, den SPD-Fraktionschef mit palästinensischen Wurzeln wandte und für dessen Einsatz rund um den Wiederaufbau der Synagoge am Fraenkelufer dankte, berührte diesen ganz besonders. Tatsächlich treibt Saleh persönlich den Wiederaufbau der Synagoge als „eine Initiative aus dem Abgeordnetenhaus heraus“ an, im Mai gründete sich ein mit zahlreichen Prominenten besetztes Kuratorium, bis 2023 könnte der Bau stehen.

Schon so gut wie geschafft ist dagegen die Einführung eines zusätzlichen Feiertages für Berlin. „Alle haben gesagt, das funktioniert nicht“, erinnert sich Saleh, der nun umso glücklicher ist, dass sich die Koalitionäre - nach einigen internen Auseinandersetzungen - auf den Frauentag am 8. März geeinigt haben. Am 24. Januar wird das Gesetz beschlossen. „Parlamentarismus heißt eben nicht immer ewiges Warten und diskutieren“, sagt Saleh.

Georg Pazderski, AfD-Fraktionsvorsitzender, Abgeordneter seit 2016

„Hören Sie also gut zu, Sie können heute etwas lernen.“ Mit diesen Worten setzte Georg Pazderski am 13. September zu einer Rede an, die der AfD-Fraktionschef im Rückblick auf das Parlamentsjahr 2018 als sein persönliches Highlight bezeichnet.

Georg Pazderski ist der Fraktionsvorsitzende der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus.
Georg Pazderski ist der Fraktionsvorsitzende der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus.

© Paul Zinken/dpa

Elf Minuten sprach Pazderski dabei im Rahmen einer von der SPD beantragten aktuellen Stunde zum Thema „Demokratie verteidigen - Berlin steht gemeinsam gegen Rassismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit“. Und während sich Pazderskis Rede im Abgeordnetenhaus lediglich den Applaus der eigenen Fraktion sicherte, erreichte die „Abrechnung mit den Regierenden“, wie der Clip auf Youtube betitelt wurde, allein auf diesem Kanal mehr als 60 000 Zuschauer. „Dort habe ich vielen Leuten aus dem Herzen gesprochen“, so Pazderski hinterher.

Und auch sonst ist das Mitglied des AfD-Bundesvorstands zufrieden mit dem Auftreten seiner in der ersten Hälfte der Legislaturperiode um drei Abgeordnete geschrumpften Fraktion. „Ich bin stolz darauf, mit so vielen Politikneulingen die Politik der Altparteien in den Schatten gestellt zu haben“, so Pazderski. Das Gespräch mit den Bürgern, beispielsweise am Rande der Feuerwehr-Proteste „Berlin brennt“ vor dem Roten Rathaus, habe er immer wieder gesucht und daraus die richtigen Anregungen mitgenommen, um „vernünftig und konstruktiv Politik“ zu machen.

Burkard Dregger, CDU-Fraktionsvorsitzender, Abgeordneter seit 2011

Wenn Burkard Dregger darüber nachdenkt, was ihn 2018 parlamentarisch besonders berührt hat, kommt er zwangsläufig auf den Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz zu sprechen.

Porträt Burkard Dregger
Burkard Dregger ist Vorsitzender der CDU-Fraktion.

© Jörg Carstensen/dpa

Diesem saß Dregger bis zu seiner Wahl zum CDU-Fraktionsvorsitzenden im Juni vor und leitete in dieser Funktion zahlreiche Vernehmungen, bei denen fast immer Angehörige und Hinterbliebene von Opfern zugegen waren. Regelmäßig habe er mit diesen nach und zwischen den einzelnen und immer mehrstündigen Sitzungen gesprochen.

„Diese haben mich schon sehr beeindruckt, weil ich das Schicksal der Einzelnen nachempfinden konnte“, sagt Dregger. Deren Frage nach dem „Warum“ zu beantworten und gleichzeitig die „ungeheure Erwartungshaltung“ im Hinblick auf die Geschwindigkeit und Klarheit der Antworten mit den teils langatmigen Prozeduren parlamentarischer Aufklärung in Einklang zu bringen, sei für ihn die „emotionalste Aufgabe“ gewesen, die er selbst ausgeübt habe. „Das hat mich sehr beeindruckt“, sagt Dregger. Darüber hinaus erinnert er sich an „einige harte Diskussionen“ im Plenum des Abgeordnetenhauses sowie im Innenausschuss, beispielsweise über die Geschädigten der Schießstandaffäre bei der Berliner Polizei. Auch sie hatte Dregger in der Vergangenheit mehrfach getroffen, zuletzt am Rande der Plenardebatte vom 13. Dezember.

Sebastian Czaja, FDP-Fraktionsvorsitzender, Abgeordneter seit 2016

Bei aller Ernsthaftigkeit, eine Debatte lebt von Zuspitzung. Sebastian Czaja gilt als Meister dieses Fachs, unvergessen seine an die rot-rot-grüne Koalition gerichtete Frage: „Wollen Sie uns verarschen?“ Ganz oben auf der Liste seiner liebsten Kontrahenten: Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke), die auch aus den Reihen der Christdemokraten gern und häufig scharf kritisiert wird.

Sebastian Czaja leitet die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Sebastian Czaja leitet die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus.

© Gregor Fischer/picture alliance / dpa

Doch nicht nur Lompscher dürften diese Attacken im Gedächtnis geblieben sein, auch Czaja sind sie sehr präsent: „Immer wieder kurios waren die Auseinandersetzung mit der Bausenatorin. Nachdem ich ihr eine detaillierte Liste von gescheiterten Projekten vorgetragen hatte, stand Frau Lompscher auf und erklärte: ,Ich weiß nicht, wo der Vorredner lebt, aber in unserer Stadt wird doch gebaut. Zugegebenermaßen ist da Berlin spät dran. Der ganze Saal lachte“, so Czaja, der beim Thema Bauen und Wohnen sonst überhaupt keinen Spaß versteht.

Und auch die Debatte über die Schließung Tegels blieb Czaja lebhaft in Erinnerung. Weil er sich mit den im Plenum (leider) üblichen Zwischenrufen allein nicht mehr zu helfen wusste, stand Steffen Zillich von den Linken plötzlich aufgebracht und wild mit einem Zettel wedelnd direkt neben ihm am Rednerpult. Czaja wiederum ließ sich nicht aufhalten, warb weiter für die Offenhaltung Tegels und setzte seine Rede fort.

Carola Bluhm, Linken-Fraktionsvorsitzende, Abgeordnete seit 1991

Damit, einen einzelnen Höhepunkt der vergangenen zwölf Monate Abgeordnetenhaus herauszuheben, tut sich Carola Bluhm schwer. Aus ihrer Sicht ist es die Masse der kleinen Erfolge, die 2018 zu einem ganz besonderen Jahr für die Stadt macht.

Porträt Carola Bluhm
Carola Bluhm ist Fraktionschefin der Linken im Abgeordnetenhaus.

© Promo

Stichwort Rekommunalisierung: „Ich bin wirklich froh darüber, dass die Frage des öffentlichen Raumes so Fahrt aufgenommen hat“, sagt Bluhm, die eine Auseinandersetzung mit „Möglichkeiten der Gegenwehr“ gerade auf dem Immobilienmarkt der Stadt begrüßt und vorantreibt.

Nicht nur im Tagesspiegel, an jeder Ecke der Stadt werde die Frage „Wem gehört die Stadt?“ diskutiert, die Koalition sei an den Punkt gekommen, nicht nur zu „labern, sondern zu handeln“. Dass das nach einem Start mit unterschiedlichen Haltungen, „furchtbarem Streit und Kloppereien“ gelungen sei, ist ihr persönliches Highlight 2018, so Carola Bluhm. Selbstkritisch räumt sie ein, dass gerade nach dem „guten Abschluss“ der Koalitionsverhandlungen vieles zu lange gedauert habe, auch weil andere Verfahren und mehr Bürgerbeteiligung erst eingeführt werden und dann greifen mussten. Ganz konkret lobt Bluhm die erarbeiteten Lösungen für die Mieter der Karl-Marx-Allee. Diese seien bei allen offenen Fragen in der Koalition vom gemeinsamen Ziel getragen worden, dass die Mieter nicht die Leidtragenden des Verkaufs an die Deutsche Wohnen sein dürften. „Auch wenn wir furchtbar streiten, stehen wir am Ende zusammen für ein Modell, das sich wirklich sehen lassen kann“, so Bluhm.

Ralf Wieland, Abgeordnetenhauspräsident Abgeordneter seit 1999

Eröffnungen von Plenarsitzungen sind meist eine ziemlich dröge Angelegenheit, manchmal sogar richtig traurig. Bei der letzten Plenarsitzung des Jahres etwa gedachte Ralf Wieland des verstorbenen ehemaligen US-Präsidenten George Bush, der im Mai 1989 geradezu prophetisch gefordert hatte: „Die Mauer muss fallen“. Alle Abgeordneten erhoben sich zur Gedenkminute, das Haus trug Trauer.

Porträt Ralf Wieland
Der Sozialdemokrat Ralf Wieland ist Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses.

© Michael Kappeler/dpa

Ganz anders dagegen die Begrüßung am 13. September, der ersten Sitzung nach der Sommerpause. Gleich fünf Neugeborene galt es in den Reihen der vor ihm sitzenden Abgeordneten zu begrüßen, die Liste schien kaum abzureißen. Wielands Satz „Falls in den letzten Stunden noch was dazugekommen ist, besteht jetzt noch die Möglichkeit “ sorgte laut Sitzungsprotokoll für „Heiterkeit“ unter den Abgeordneten. Seine Erinnerung an die außergewöhnliche Begrüßung garnierte der Präsident im Gespräch mit dem Tagesspiegel mit der Frage: „Ob die wohl alle Politiker werden wollen oder vielleicht was Anständiges aus ihrem Leben machen?“ Auch da Heiterkeit, allerdings ohne Protokoll.

Als sehr anständig dagegen bleibt Wieland die Debatte über die Schließung des Flughafens Tegel trotz anderslautendem Volksentscheid in Erinnerung. Die „harte Debatte“ sei sachlich und fair verlaufen, auch wenn die Fronten klar gezogen waren. „Das war etwas, was ein Parlament ausmacht: Kompromisse zu finden und auf hohem Niveau miteinander zu diskutieren“, erinnert sich Wieland. Am Ende setzten sich die Koalitionäre von Rot-Rot-Grün mit ihrer Ablehnung der Offenhaltung Tegels durch - die selbsternannten FDP-„Tegelretter“ erlitten eine Bruchlandung.

Antje Kapek, Grünen-Fraktionsvorsitzende Abgeordnete seit 2011

„Wann war doch gleich die Abstimmung über die Schließung des Flughafens Tegel?“ Die Grünen-Fraktionsvorsitzende hat so viele Highlights im Kopf, dass es mit der zeitlichen Zuordnung schon mal schwierig werden kann.

Antje Kapek ist gemeinsam mit Silke Gebel Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordentenhaus.
Antje Kapek ist gemeinsam mit Silke Gebel Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordentenhaus.

© Doris Spiekermann-Klaas

Am klarsten erinnert sie sich aber - wenig überraschend - an die Verabschiedung des sogenannten Mobilitätsgesetzes am 28. Juni. Es ist der bislang größte Erfolg, den die 2016 in die Regierung eingetretenen Grünen für sich verbuchen konnten.

Zahlreiche Bilder zeigen Kapek umringt von Fraktionskollegen vor dem Abgeordnetenhaus: Korken knallen, Sekt schäumt und spritzt, niemand kommt ungeschoren - sprich: trocken - davon. „Von Kopf bis Fuß nach Alkohol stinkend musste ich wieder in den Plenarsaal“, erinnert sich Kapek, die glücklicherweise ein Wechselkleid parat hatte, um nicht allzu begossen in der ersten Reihe der Fraktion Platz nehmen zu müssen. „Feucht-fröhlich“ sei die Feier gewesen - vor allem feucht, möchte man meinen. Wie groß der Kater angesichts der in Gänze doch überschaubaren Erfolge in Sachen grüner Verkehrswende wohl ist?

Eine andere Anekdote hat zwar nur mittelbar mit dem parlamentarischen Geschehen des Abgeordnetenhauses zu tun, sagt aber viel über das Miteinander der 2016 gewählten Grünen-Spitzenfrauen Antje Kapek und Silke Gebel aus und ist dazu noch viel zu komisch, um sie hier an den nichtöffentlich tagenden Ausschuss zu verweisen. Gebel also, Kapeks Stellvertreterin und Co-Chefin der Grünen-Fraktion, war in diesem Jahr erneut Mutter geworden und fiel für vier Monate aus - eine harte Zeit, wie Kapek versichert. Darüber, dass Gebel zurück und das Baby seitdem regelmäßig Gast im Plenum ist, freute sich Kapek so sehr, dass sie Spross und Wagen für einen Spaziergang durchs Parlamentsgebäude kaperte und zielstrebig die allseits beliebten Kantine ansteuerte. Dort angekommen, grüßte ein Mitarbeiter das seltene Duo schier überschwänglich und sagte sinngemäß: „Schön, Sie auch mal mit Ihrem Kind zu sehen.“ Die vollkommen verdutzte Kapek hatte er bis zu diesem Tag für die Mutter des Kindes gehalten, Silke Gebel für deren Nanny.

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