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Bald sollen die Klassenzimmer nicht mehr so leer aussehen wie hier. Doch wie man zurück zum Regelbetrieb kommen soll, ist noch unklar. 

© Kitty Kleist-Heinrich

Berliner Abgeordnete zweifeln an Umsetzbarkeit: Rückkehr zum Normalbetrieb in Schulen und Kitas – doch wie?

Bildungssenatorin Scheeres zielt auf die Rückkehr zum Regelbetrieb in Kitas und Schulen. Die Fraktionen tragen das mit, aber viele Fragen sind offen.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hat ein neues Lieblingswort. Es lautet „zusammenruckeln“ und bezieht sich auf das, was ab dem 22. Juni in Kitas und ab dem 10. August in den Schulen passieren soll: die Rückkehr zum Normalbetrieb. Das Abgeordnetenhaus hat allerdings erhebliche Zweifel daran, dass es mit dem „Zusammenruckeln“ klappen kann – so, wie sich das die Senatorin vorstellt.

Denn Scheeres will, dass der „Regelbetrieb“ zustande kommt. Das bedeutet: Nicht nur die volle Stundentafel, sondern auch „sämtlicher Förder- und Teilungsunterricht sowie alle weiteren verbindlichen schulischen Angebote und Veranstaltungen“. So steht es in einem Rundschreiben, das am Mittwochvormittag alle „Schulen des Landes Berlin“ erreichte.

Wie das gelingen kann, wenn ein Teil der Lehrkräfte wegen Vorerkrankungen von zu Hause arbeiten muss, ist vielen Lehrern und Eltern noch nicht klar. Ähnliches gilt für den Kitabereich, der wieder voll hochfahren soll, obwohl zuletzt 5600 Erzieherkräfte fehlten.

Zweifel an der Umsetzbarkeit des Vorhabens hegen auch viele Abgeordnete. Dass sie am Mittwoch nochmal zum Bildungs- und Jugendausschuss zusammenkamen, der sich bereits in die Sommerpause verabschiedet hatte, lag an der Opposition, die eine Sondersitzung zum Thema beantragt hatte. 

Viele Bundesländer holen alle Kinder zurück in die Schulen

Zwar begrüßten alle Fraktionen die Öffnung der Einrichtungen. Aber ihre Fragen machten deutlich, wo die Schwachstellen des Planes liegen. So wollte CDU-Bildungsexperte Dirk Stettner wissen, ob denn Charité-Virologe Christian Drosten geraten habe, die 1,5-Meter-Abstandsregel fallen zu lassen. Scheeres antwortete weder mit Ja noch mit Nein, sondern sagte sinngemäß, Drosten habe Verständnis dafür, dass der Betrieb wieder losgehen müsse.

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So sehen das auch immer mehr Bundesländer. Nordrhein-Westfalen und Sachsen starten Mitte Juni, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig- Holstein und Thüringen holen ebenso wie Berlin und Brandenburg ihre Schüler nach den Sommerferien wieder vollständig zurück. 

Mit diesen geplanten Schulöffnungen setzen sich die Kultusminister allerdings über die bisher noch gültigen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) hinweg, auf die sie sich bei ihren seit Ende April geltenden Hygieneplänen berufen haben: Konstanten waren dabei 1,5 Meter Abstand im Klassenraum und auf dem restlichen Schulgelände.

Das Robert-Koch-Institut plant keine Abschaffung der 1,5-Meter-Regel

Aus dem RKI hieß es am Mittwoch auf Anfrage: „Es gibt derzeit keine Planung, diese Empfehlungen zu ändern.“ Wann das der Fall sein könnte, ist solange nicht abzusehen, wie das Infektionsgeschehen in Deutschland nicht gestoppt ist. Das gilt nach internationalen Regeln, wenn es in einer Region mindestens 14 Tage lang keine Neuinfektionen mehr gibt.

Dass Länder wie Berlin schon jetzt die volle Öffnung ankündigen, hat damit zu tun, dass die Schulen Vorlauf brauchen, um genügend Personal an Bord zu haben und ihre Stundenpläne entsprechend gestalten zu können.

Noch ist völlig unklar, wie groß die Lücken durch vorerkrankte Lehrer sind. Scheeres bezifferte sie auf maximal 15 Prozent und verwies auf die Möglichkeit, Vertretungslehrer einzustellen.

Allerdings ist dieses Reservoir in den vergangenen Jahren erheblich geschrumpft: Infolge des jahrelangen Lehrermangels wurden diejenigen Kräfte, die als geeignet erkannt wurden, längst fest als Quereinsteiger oder sonstige feste Mitarbeiter in die Schulen geholt.

Auch ohne Pandemie hätte es Berlin schwer, die offenen Stellen zu füllen

Auch ohne die Corona-Pandemie hätte es Berlin schwer, alle offenen Stellen zu füllen. In den vergangenen Jahren waren bereits zwei Drittel der neu Eingestellten ungelernte Lehrer. Scheeres verwies auf das zusätzliche Problem, dass es wegen Corona dieses Jahr kaum möglich gewesen sei, persönliche Bewerbungsgespräche zu führen. Wie sich das auswirken wird, ist noch nicht klar. Zudem gibt es das Problem, dass die Schülerzahl weiter steigt und parallel die Pensionswelle der Babyboomer-Jahrgänge weiterläuft.

Seit mehreren Jahren reichen nicht einmal die Quereinsteiger, um die freien Stellen zu besetzen.
Seit mehreren Jahren reichen nicht einmal die Quereinsteiger, um die freien Stellen zu besetzen.

© Tagesspiegel/Böttcher

Die grüne Bildungsexpertin Marianne Burkert-Eulitz wollte im Ausschuss auch wissen, wie Scheeres den Mangel an 5600 Erzieherinnen beheben wolle, ob etwa die Kitagruppen größer werden sollen. Scheeres sagte dazu, sie setze auf nicht ausgebildete Kräfte, um die Lücken zu füllen. Allerdings müsste die ein polizeiliches Führungszeugnis vorweisen – eine Auskunft, die nicht allen Abgeordneten genügte.

Etliche Kitaträger fordern inzwischen zusätzliches Geld, um die Ersatzkräfte finanzieren zu können, weil ja die Ausgaben für die Kräfte, die sich wegen Vorerkrankungen im Homeoffice befinden, weiterlaufen. Diesem Ansinnen erteilte Scheeres eine Absage. Es sei schon schwierig genug gewesen, vom Finanzsenator die volle Weiterfinanzierung des Kitabetriebs während der dreimonatigen Teilschließung zu bekommen.

Der Philologenverband fordert Kunststoffvisiere für Lehrer

Auf große Sorgen hinsichtlich der Ansteckungsgefahr im Vollbetrieb wiesen die Gewerkschaften hin. Der Philologenverband fordert deshalb am Mittwoch eine Maskenpflicht in Schulen bei Normalbetrieb, die Bereitstellung von Kunststoffvisieren für Lehrkräfte, zusätzliche mobile Klassenräume, wo es möglich ist, die Reduktion der Klassenfrequenzen unter 30 Schüler sowie Antikörper-Tests für alle Lehrkräfte vor dem neuen Schuljahr. FDP-Bildungsfachmann Paul Fresdorf sieht die Notwendigkeit eines „angepassten Hygienekonzepts“ mit Desinfektionsspendern und Schutzmasken.

Thema im Ausschuss waren auch die Klassenreisen. Regina Kittler (Linke) wies darauf hin, dass es für Großbritannien keine Reisewarnung gebe, aber eine zweiwöchige Quarantänepflicht, die Klassenreisen unmöglich mache. Landesschülersprecher Miguel Góngora nannte es eine „Unverschämtheit“, dass die Bildungsverwaltung in solchen Fällen nicht für Stornogebühren aufkomme. Wie sich das „zusammenruckelt“, ist nicht klar.

Was die Bildungsverwaltung den Schulen zum Neustart geschrieben hat, kann man HIER lesen:

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