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Abzocke mit Ambiente am Potsdamer Platz.

© Robert Ide

Berlinale-Kolumne: Auch Berlins Kleinkriminelle sind in Festival-Stimmung

Hütchenspieler tummeln sich am Potsdamer Platz, um Filmliebhaber auszutricksen. Dafür legen sie extra kleine rote Teppiche aus. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Robert Ide

Schon süß, wie sich Berlin an die Berlinale ranschmeißt. Die Hütchenspieler am Potsdamer Platz haben extra kleine rote Teppiche auf die Straße gelegt, um das Festivalpublikum stilvoll abzuzocken. Ihr verlorenes Geld machen viele Gäste an den Partybuffets wieder wett. Zumindest essen sie so.

Eier mit Krabben, Lachs mit Beilagen: Alter Finne, die finnische Botschaft is fishing for compliments. Zum Landesempfang lädt die Botschaftsrätin in ihre mondäne 185-Quadratmeter-Wohnung am Tauentzien. Das glücklichste Volk der Welt hat auch in Berlin viel Glück bei der Wohnungssuche. „Ich hab Staub gesaugt“, versichert mir die Gastgeberin und serviert Sekt auf dem weichsten Teppich, auf dem meine Turnschuhe jemals stehen durften. In meinem nächsten Leben werde ich Botschaftsrätin.

Ich habe dieses Jahr noch keinen finnischen Film gesehen – oft sind sie melancholisch, auf die schöne Art. Im Fernsehen gibt's ja andauernd „Nordic Crime“, hab ich gehört. Aber ich gucke kein Fernsehen mehr, nur Tatort aus Westalgie – und aus Ostalgie Nordic Crime aus Meck-Pomm. Aber übermorgen kommt ein Film aus Lappland in die Kinos, über das Aufwachsen eines kleinen Rentiers. „Das bringt uns viele deutsche Touristen“, hofft die Botschaftsrätin. Ist ja auch verrückt: ein Film ohne Leiche.

Fatih Akin sollte sich den ansehen, nachdem er den Silbernen Bären für den „Goldenen Handschuh“ gewonnen hat. Eine brillant bebilderte, aber barbarisch brutale Studie über den saufenden Frauenmörder auf St. Pauli, zu der man im Kino einen Korn servieren müsste. Aber bloß keinen Oldesloer; der scheint kein Glück zu bringen. Ich glaube, die Brennerei macht pleite, wenn der Film groß anläuft; das geht ratz-schnaps.

Was auch auffällt: In fast allen Filmen wird geraucht. Das versaut natürlich die Umweltbilanz der Berlinale. Aber es scheint ein wichtiges Narrativ zu sein: Die Darsteller müssen wohl von ihren Dialogen wieder runterkommen. Ein anderes Narrativ ist: Verliebte fahren Motorrad. Ob in einer Doku über Müllkünstler in Kinshasa oder einem ätzend langsamen Spielfilm über brasilianische Kuhzüchter – überall knattert es vergnügt, wenn die Freiheit ruft. Vielleicht sollten wir alle mehr Motorrad fahren. In Lappland sind die Straßen meist frei. Aber Vorsicht vor renenden Tieren.

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Robert Ide, Berlin-Chef beim Tagesspiegel und großer Kino-Fan, schreibt für den Tagesspiegel jeden Tag seine neue Berlinale-Kolumne - auch auf der Titelseite. Titel: "Im Film mit Robert Ide". Er löst damit Harald Martenstein ab, der seit 1990 die Berlinale als Kolumnist begleitet hat. Hier lesen Sie Martensteins Bilanz im Tagesspiegel.

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