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Ich schau dir in die Augen, Kleiner. Marlene Dietrich becirct James Stewart in "Destry Rides Again". (Berlinale Classics)

© Universal Pictures

Berlinale 2019: Marlene Dietrich und die Schießerei in Bottleneck

Die Kostüme der Schauspielerin aus der Westernkomödie „Destry Rides Again“ hängen in der Berliner Kinemathek. Am Freitag läuft der Film im International.

Von der Schlägerei im Saloon, Frau gegen Frau, hatte die Diva präzise Vorstellungen: „Bevor Jimmy das Wasser ausschüttet, rollen wir auf dem Boden in Richtung Kamera. Nachdem Jimmy das Wasser ausgeschüttet hat, sollte man über uns stehen, um unsere Reaktion zu sehen. Es gibt bessere Takes von mir, wie ich nach Jimmy trete, nachdem ich aufgestanden bin. Zeige mich, wie ich zuerst drei Gläser nach Jimmy werfe – dann, als keine Gläser mehr da sind, springe ich auf den Tisch und dann auf seinen Rücken.“

Die bisherigen Aufnahmen hatten Marlene Dietrich offenbar nicht gefallen. Aber auch wenn der Stern ihrer Karriere momentan nicht gerade in seinem Zenit stand und sie ja nicht wissen konnte, dass „Destry Rides Again“ ihn wieder nach oben katapultieren würde – dem Regisseur eine Reihe klar formulierter Verbesserungsvorschläge zu machen, ließ sie sich nicht nehmen. Ihre letzten Filme mochten gefloppt und sie selbst zum „Kassengift“ erklärt worden sein – sie blieb doch die Dietrich, und nun, Herr Regisseur, strengen Sie sich mal ein bisschen an!

Ein paar Verbesserungsvorschläge für den Regisseur

„Suggestions“ sind die drei maschinengeschriebenen, handschriftlich ergänzten Seiten überschrieben, die zu den Unterlagen gehören, die Marlene Dietrich von den Dreharbeiten des Western aufbewahrt hatte. Sie lagern als Teil der Marlene Dietrich Collection Berlin in der Deutschen Kinemathek in der Potsdamer Straße – nur wenige Kilometer vom Kino International entfernt, wo an diesem Freitagabend im Rahmen der Berlinale Classics „Destry Rides Again“ in einer frisch restaurierten Kopie gezeigt wird.

Selbst bei Drehpausen zu „Destry Rides Again“  wusste Marlene Dietrich sich in Szene zu setzen. Das kleine Schwarze befindet sich jetzt im Archiv des Berliner Filmmuseums.
Selbst bei Drehpausen zu „Destry Rides Again“  wusste Marlene Dietrich sich in Szene zu setzen. Das kleine Schwarze befindet sich jetzt im Archiv des Berliner Filmmuseums.

© Sherman Clark; Deutsche Kinemathek - Marlene Dietrich Collection Berlin

Martin Scorsese und Steven Spielberg haben beratend mitgeholfen, dass Universal Pictures und die US-amerikanische Film Foundation den 1939 uraufgeführten Film – in Deutschland lief er erst 1947 unter dem blödsinnig-irreführenden Titel „Der große Bluff“ – digital auffrischen und nun sogar in 4K-Qualität auf Festivals wie der Berlinale dem Publikum vorführen können.

Man scannte dazu ein 35-mm-Nitrat-Duplikatpositiv ein, mitsamt allem Geflimmer und allen Verschmutzungen, polierte es wieder auf, wie man es im Vorjahr auch mit Klassikern wie „The Killers“ oder „Winchester ’73“ getan hatte. „Steven und ich wuchsen mit diesen Filmen auf“, freute sich Scorsese über das Ergebnis. „Wir haben sie nicht nur gesehen – wir haben sie absorbiert, sie wurden Teil unserer DNA.“

In ihrer Autobiografie „Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin“ erwähnt Marlene Dietrich den Film nur kurz. Im Sommer 1939 habe sie beim Urlaub in Antibes „wider Erwarten einen Anruf des Produzenten Joe Pasternak aus Hollywood“ erhalten: „Trotz allem“ – das zielte auf ihren anhaltenden Misserfolg – wolle er riskieren, einen Film mit ihr zu drehen.

„Jimmy Stewart hat bereits zugesagt, und ich hätte sie gerne als seine Partnerin.“ Sie weigerte sich erst: „Um nichts in der Welt.“ Zwar war John Fords „Stagecoach“ wenige Monate zuvor in den Kinos gelaufen, aber noch galten Western nicht als hohe Filmkunst. Josef von Sternberg, ihr Ex-Regisseur und -Liebhaber, hatte ihr aber geraten, das Angebot anzunehmen. Das war ihr Glück.

Erfolg mit "Boys in the Backroom"

Die dreiseitigen „Suggestions“ sind nur ein Teil der Spuren, die sich zu dem Film in den Archiven der Deutschen Kinemathek finden. Eine Einladung per Telegramm zu einer Benefiz-Vorstellung des Films 1951 in Philadelphia hat sich ebenso erhalten wie einige Fotos vom Filmset und eine Broschüre zu „Boys in the Backroom“, dem berühmtesten Song in „Destry Rides Again“ – wie die übrigen Titel mit dem Text von Frank Loesser und der Musik von Friedrich Hollaender. Und es gibt zwei Ausgaben des Drehbuchs, eines ist das ledergebundene Exemplar, das Joe Pasternak seinem Star mit Widmung vom 25. November 1939 („The first one“) geschenkt hatte.

Die beiden Prunkstücke aber werden im nicht öffentlichen Außenlager der Kinemathek in Marienfelde aufbewahrt: zwei luftige Träume in Seide, roséfarben der eine, schwarz der andere, versehen mit Stickereien, Rüschen, Boa – zwei der originalen Kostüme.

Natürlich nicht das, was sie bei der Saloonschlägerei trägt, das war nach den Dreharbeiten kaum noch zu gebrauchen. Das roséfarbene dagegen trägt sie gleich in ihrer ersten Szene, als sie im „Last Chance Saloon“ des Westernkaffs Bottleneck den Song „Little Joe“ anstimmt, sogar einige Schwitzflecken von den Dreharbeiten haben sich erhalten.

Im kleinen Schwarzen singt sie später „You’ve Got That Look“, ist darin in einer Szene mit dem von Brian Donlevy gespielten Saloonbesitzer Kent zu sehen – und bei einer Begegnung mit Filmpartner James Stewart, dem titelstiftenden Hilfssheriff Thomas Jefferson Destry.

Schön luftig. Diese beiden Kostüme Marlene Dietrichs aus „Destry Rides Again“ lagern im Archiv der Deutschen Kinemathek in Marienfelde.
Schön luftig. Diese beiden Kostüme Marlene Dietrichs aus „Destry Rides Again“ lagern im Archiv der Deutschen Kinemathek in Marienfelde.

© Thilo Rückeis

Schon dessen Name ist ein kleines Indiz, dass Joe Pasternak und das Filmteam um Regisseur George Marshall das Western-Genre, so ernst sie seine Regeln nehmen und auch erfüllen, doch zugleich ins Komödiantisch-Parodistische treiben: Wer heißt schon mit Vornamen wie der berühmte dritte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, einer ihrer Gründerväter und Hauptautor der Unabhängigkeitserklärung von 1776.

Zugleich spielt dieser ausgefallene Name auf das strikte Bekenntnis des jungen Hilfssheriffs zu Gesetz und Ordnung an, durchzusetzen ohne Waffengewalt – im Bottleneck der schießwütigen Cowboys, korrupten Amtspersonen und mörderischen Falschspieler wird man da rasch zur komischen Figur. Obwohl Destry schließlich doch – Western bleibt Western – beweisen darf, dass er mit einem Revolver ebenso gut umgehen kann wie zu Lebzeiten sein berühmter Vater.

Anfangs nur mal so zur Warnung, dass auch mit ihm nicht zu spaßen ist, zuletzt dann auf Leben und Tod. Eine ähnliche Rolle, wie sie James Stewart 1962 als Anwalt Ransom Stoddard in John Fords „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ spielte, nur konnte der wirklich nicht schießen und überlebte nur dank John Wayne.

Der Zweite Weltkrieg als Hintergrund

Der weltpolitische Hintergrund der beiden Filme ist jedoch sehr unterschiedlich: 1962 fand der Kalte Krieg in der Kubakrise seinen Höhepunkt, drei Monate vor der Uraufführung von „Destry Rides Again“ am 30. November 1939 hatte mit Deutschlands Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begonnen.

Die überwältigende Mehrheit der US-Amerikaner hatte sich in einer Meinungsumfrage gegen eine Kriegserklärung an das Deutsche Reich ausgesprochen, auch US-Präsident Franklin D. Roosevelt setzte, bei aller Sympathie für die in den Krieg eingetretenen Westmächte, offiziell noch auf Neutralität.

„Destry Rides Again“ dagegen führte vor, dass es, bei aller Liebe zu Frieden, Recht und Gesetz, ohne Gewalt manchmal nicht geht. In der Literatur zum Film wird darin teilweise eine Stellungnahme gegen die Appeasement-Politik gegenüber Hitler gesehen, deren Scheitern für die Briten zu diesem Zeitpunkt bereits klar war. Vielleicht nicht zufällig ist denn auch einer der Verbündeten Tom Destrys, der von Mischa Auer gespielte Boris Callahan, ein – freilich recht komischer – Russe.

Schwer zu sagen, ob diese innere Nähe der Filmstory zur Weltlage dem Film zu seinem Riesenerfolg mitverholfen hat. Doch „Destry Rides Again“ hätte wohl auch ohne diesen Hintergrund sein Publikum gefunden. Der Gegensatz zwischen James Stewart als jungenhaftem, eher schlacksig-lässigem als coolem Tom Destry und Marlene Dietrich als spottlustig-lasterhafter, zuletzt aber doch liebesfähiger und geläuterter Saloonsängerin Frenchy ist einfach zu verführerisch, die Hollaender-Musik zu schmissig, die Hinwendung des Western zur Komödie zu überraschend, als dass die Zuschauer hätten widerstehen können. Und wann sah man damals schon mal, wie zwei Frauen sich nach allen Regeln der Prügelkunst gegenseitig an die Kehle gehen.

8.2., 22 Uhr, International

Marlene Dietrich online

Seit der kürzlich erfolgten Neugestaltung der Website des Museums für Film und Fernsehen in der Potsdamer Str. 2 (www.deutsche-kinemathek.de) ist auch die Marlene Dietrich Collection online verfügbar. Zu ihr gehören 300.000 Blatt privates wie berufliches Schriftgut, 16.500 Fotos und 3300 textile Objekte. 1500 Objekte kann man sich jetzt im Internet ansehen, eine Auswahl, die kontinuierlich erweitert werden soll. Auch das roséfarbene Westernkleid aus „Destry Rides Again“ ist dort samt Erläuterungen zu finden.

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