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Die John-F.-Kennedy-Schule im Berliner Stadtteil Zehlendorf.

© Robert Schlesinger/dpa

Berlin-Zehlendorf: John-F.-Kennedy-Schule will Ausmaß antisemitischer Vorfälle klären

Monatelang war ein Neuntklässler der Berliner John-F.-Kennedy-Schule antisemitischen Attacken ausgesetzt. Die jüdische Gemeinde wirft der Schulleitung vor, die Vorfälle ignoriert zu haben.

Ein Sticker auf dem Rücken mit einem Hakenkreuz, Rauch aus einer E-Zigarette ins Gesicht gepustet mit der Einschüchterung: „Das soll dich an deine vergasten Vorfahren erinnern“. Was die Leiter der renommierten deutsch-amerikanischen John-F.-Kennedy-Schule in Berlin-Zehlendorf am Donnerstag bei einer Pressekonferenz erzählen, dürfte nur ein Teil des Mobbings sein, mit dem Schulkameraden einem Neuntklässler zusetzten. Wenn die Berichte stimmen, die jetzt die Runde machen, hat der jüdische Junge tiefe seelische Verletzungen davongetragen.

Das ganze Ausmaß des antisemitischen Mobbings an der Schule ist nach wie vor unklar. Der kommissarische Schulleiter, Steffen Schulz, sagte, dass sich die Schule in der Phase der Aufarbeitung befinde. Er und der amerikanische Schulleiter, Brian Salzer, kündigten am Donnerstag Maßnahmen zur Aufklärung und zum Umgang mit Diskriminierung und Antisemitismus an. Sie äußerten ihr Bedauern und nannten die Vorfälle „nicht akzeptabel und nicht tolerierbar“.

Einige Lehrer müssten von den Vorfällen gewusst haben

Was in den Wochen und Monaten zuvor passiert sei, das müsse geklärt werden. Es sei schwer zu sagen, was sich alles abgespielt habe, weil bei Jugendlichen vieles über soziale Medien oder Whatsapp passiere und Erwachsenen der Einblick fehle, sagt Salzer. Heike Waldschütz von der Schulaufsicht sagte, es gehe auch um andere Diskriminierungsformen, möglicherweise seien homophobe Äußerungen gefallen. Einen muslimischen Hintergrund hätten die Taten nicht.

Deidre Berger, Direktorin des American Jewish Committee (AJC), steht schon seit Wochen mit der Familie des Schülers in Kontakt und wirft ihrerseits der Schulleitung vor, die Probleme verharmlost zu haben. „Anfangs wurde leider nicht mit dem nötigen Nachdruck versucht, die Angelegenheit aufzuklären“, sagte sie dem Tagesspiegel. Man habe die Vorfälle als „Jungenstreiche“ abgetan.

Dabei hätte die Schule gewarnt sein müssen: Bereits am 12. Juni schrieb Berger einen Brief an die Schulleitung, in dem sie einerseits auf Aufklärung des Falls drängte, andererseits den Lehrkräften eine Zusammenarbeit bei der Antisemitismusprävention unterbreitete. „In solchen Fällen muss ein Klima geschaffen werden, in dem die bedrohten Schüler wieder sicher sein können, das ist aber leider nicht geschehen.“ Auf eine Antwort auf ihren Brief wartet Berger bis heute.

Deidre Berger, Direktorin des American Jewish Committee Berlin.
Deidre Berger, Direktorin des American Jewish Committee Berlin.

© Thilo Rückeis

Auch Sigmount Königsberg, der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, warf der Schule Versäumnisse vor. Wieder einmal sei bei antisemitischen Angriffen nicht interveniert worden – und auch keine präventiven Maßnahmen ergriffen worden.

„Dieses Schema treffen wir immer wieder an und ist in diesem Fall umso gravierender, weil die JFK eine der Schulen ist, mit denen die Jüdische Gemeinde zu Berlin seit Jahrzehnten kooperiert“, sagte er. Darüber hinaus hätten sich Gemeindemitglieder über viele Jahre in den Gremien dieser Schule engagiert.

„Nach den Vorfällen in der Friedenauer Gemeinschaftsschule und deren öffentlicher Aufarbeitung wäre zu erwarten gewesen, dass ein Umdenken an Berliner Schulen begonnen hätte. Anscheinend ist dies nicht der Fall“, bedauerte er. Königsberg steht mit den Eltern in Kontakt und betreut sie.

Einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge hatte das Mobbing furchtbare Dimensionen und zog sich über Monate hin. Zumindest einige Lehrer müssten davon gewusst gehabt haben. Unter Berufung auf den Jungen berichtet die Zeitung, dass ihn Mitschüler fast täglich beschimpft hätten.

„Ab nach Auschwitz in einem Güterzug“ hätten Schüler gesungen, als er in der Nähe war. Auch Todesdrohungen habe es gegeben. Der Junge habe ein Gedächtnisprotokoll angelegt und aufgeschrieben, was Lehrer mitbekommen hätten. Er habe notiert, welcher Lehrer gelacht und welcher ihm geraten habe, sich zu wehren. Seinen Eltern habe er lange nichts gesagt, um sie zu schonen. Bis er vor rund vier Wochen nach einem erneuten Vorfall, der sich mitten im Unterricht zugetragen haben soll, zusammengebrochen sei.

„Die Familie fühlte sich nicht genügend gehört bei der Aufarbeitung des Falles“

Auf der Pressekonferenz am Donnerstag sagten die Schulleiter, dass sie erst am 7. Juni von den Vorfällen erfahren haben. Auch darum soll es bei der Aufarbeitung gehen: Warum wurden sie so spät in Kenntnis gesetzt? Zuvor hatten sich offenbar die Eltern des Jungen an die Antidiskriminierungsbeauftragte der Senatsbildungsverwaltung gewandt. Danach habe es Gespräche zwischen der Schulleitung und der Familie gegeben.

„Die Familie fühlte sich nicht genügend gehört bei der Aufarbeitung des Falles“, sagte Schulleiter Schulz. Sein amerikanischer Kollege äußerte Verständnis für die Familie. Die Schule müsse aber bestimmte Schritte einhalten, wie beispielsweise Beratungsgespräche und Konferenzen.

„Dieser Vorfall definiert die Schule nicht“

Dennoch versuchte sich Brian Salzer auch in Schadensbegrenzung für seine Schule, auf die rund 1700 deutsche, amerikanische und internationale Schüler gehen. Er betonte, dass die Schüler zu Respekt, Toleranz und Neugier erzogen werden. „Dieser Vorfall definiert die Schule nicht“, sagte er. Doch Schüler machten manchmal Fehler, „wrong choices“.

Der betroffene Junge ist seit den letzten Vorfällen Anfang Juni nicht mehr in die Schule gekommen.

Zur Anzahl und Herkunft der Täter wollten die Schulleiter aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes keine Angaben machen. Mit zwei Schülern und ihren Eltern habe es Gespräche gegeben. Die Schule hat Anzeige bei der Polizei erstattet und den Vorfall der Senatsbildungsverwaltung gemeldet.

Mit der Antidiskriminierungsbeauftragten der Senatsbildungsverwaltung, mit Schulpsychologen und mit der Präventionsbeauftragten der Polizei stehe man in Kontakt und plane mit diesen weitere Maßnahmen. Ziel sei es, künftig in ähnlichen Situationen angemessener zu reagieren. Zur Verbesserung der Kommunikation soll es auch Gespräche zwischen Schulleitung und Elternvertretern geben.

Am Freitag, der an der John-F.-Kennedy-Schule der letzte Schultag vor den Ferien ist, soll in allen Klassen der Oberschule eine Unterrichtsstunde zum Thema Diskriminierung gehalten werden, in den Grundschulklassen sei dies am Donnerstag geschehen. Mit der betroffenen Klasse sei ein Workshop zu Antisemitismus in Planung. Auch Workshops für Lehrer soll es geben, um diesen Handlungssicherheit im Umgang mit Diskriminierung und Antisemitismus zu geben.

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