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Das ehemalige Bürogebäude der Commerzbank an der Bülowstraße wird für den Einzug von Sony Music umfangreich umgebaut.

© Mike Wolff

Berlin wird zur Musikhauptstadt: Sony-Umzug beschleunigt Wandel der Potsdamer Straße

Der Unterhaltungskonzern zieht nach Schöneberg. Dort gibt es schon jetzt ein kreatives Umfeld. Die Mischung wird bunter – und exklusiver.

Ein normaler Werktag, gegen Mittag. Nicht gerade Sonnenschein, aber auch kein Schmuddelwetter, bei dem sich niemand freiwillig auf die Straße trauen würde. Trotzdem herrscht Ebbe im Geschäftsbetrieb an der Ecke Potsdamer Straße 125 / Bülowstraße – die ehemalige Berliner Hauptadresse der Commerzbank, die künftige des Unterhaltungsriesen Sony Music. Einige Vorarbeiten laufen bereits, erste Gerüste stehen. Die beiden jungen Frauen, die dort vergeblich auf Kundschaft warten, wären also gegebenenfalls gegen Regengüsse geschützt. Gelangweilt trippeln sie hin und her, richten die Haare, zupfen am zu kurzen Rock. Hilft alles nichts: tote Hose.

Rückkehr an die Spree

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – hier gibt es sie gewissermaßen in einer Nussschale zu besichtigen. Die Zukunft bislang mehr als gedankliche Projektionen, zu Architekturzeichnungen geronnene Absichtsbekundungen, die durch die Medien und damit auch durch die Köpfe ihrer Nutzer geistern, seit die in München residierenden Musikunternehmer am Dienstag ihre Rückkehr an die Spree ankündigten.

Die Gegenwart als nicht gerade glamouröser, aber auch nicht allzu trister Alltag auf einer Straße, die schon bessere wie auch viel schlechtere Zeiten gesehen hat. Die inzwischen sogar verkehrsberuhigt ist, auch wenn man davon, sie nach längerer Zeit mal wieder entlangspazierend, nicht viel merkt. Und eben die Vergangenheit, als Eckensteherinnen wie die beiden jungen Frauen am künftigen Sitz von Sony Music zum Straßenbild nicht nur gehörten, es vielmehr prägten wie in den Jahren vor dem Mauerfall und noch einige Zeit danach.

Als man, spätabends aus dem Verlagsgebäude des Tagesspiegels der U-Bahn zustrebend, mitunter unwillkommene Avancen mit dem Hinweis abwehren musste, man gehe hier doch auch nur seiner Arbeit nach. Wenn man nicht sogar – der Fall ist verbürgt – an einem fragwürdigen Lokal vorbeiging, als innen ein Schuss fiel, der, wie die Polizei später berichtete, sein Ziel tatsächlich traf.

Relikte der rotseidenen Vergangenheit

Das war im „Bierhimmel“, an der Ecke Pohlstraße, ein das Angebot des Etablissements nur unzureichend umschreibender Name, anders als bei der Konkurrenz, die „Kokett“ hieß, „Tanz-Bier-Bar Romantica“ oder schlicht „Sex-Kaufhaus“. Die Potsdamer Straße, das war noch vor 30 Jahren Synonym für eine lebendige, aber nicht gerade attraktive, ja geradezu triste Mischung aus Sex, Drogen, Bedürftigkeit, durchsetzt von der Hausbesetzerszene, ehrbaren türkischen Obst- und Gemüsehändlern und auch ein wenig bürgerlicher Normalität. Die Bedürftigkeit spiegelte sich etwa im inoffiziellen Namen „Sozialpalast“, der dem an der Stelle des alten Sportpalastes entstandenen Betongebirge verpasst worden war.

Hoffungsschimmer für die heruntergekommene Straße gab es immer mal wieder nach der Wende, man setzte auf die Strahlkraft des neuen Potsdamer Platzes, die aber über den Landwehrkanal nicht hinwegreichte. Erst seit etwa zehn Jahren hat sich das Bild gewandelt, ist aus der schäbigen Potse von einst zwar kein zweiter Kurfürstendamm geworden, aber eine Mischung, die vielfältiger, leuchtender, glänzender ist. 

Da nimmt sich der Glaspalast, den Sony Music sich jetzt durch den Umbau des alten Bankgebäudes hinsetzen lässt, wie das funkelnde Schlussjuwel in einer Kette glänzender Schmucksteine aus. Auch wenn sich dazwischen immer noch einige Relikte der grauen oder vielmehr rotseidenen Vergangenheit finden lassen wie der Sex-Shop „LSD“ an der Ecke Kurfürstenstraße oder die Tabledance-Bar „Golden Dolls“ nahe der Lützowstraße.

Eigentliche Umbruch im nordöstlichen Teil der Straße

Die Potsdamer Straße, das sind knapp drei Kilometer Asphalt, von über 30 000 Autos täglich befahren, die Verbindung zwischen Kleistpark und Potsdamer Platz. Zwei entgegengesetzte Pole der Straße selbst wie der Stadtentwicklung. Am Kleistpark dämmert noch immer das denkmalgeschützte Kathreinerhaus vor sich hin, seit dort 2008 die BVG-Verwaltung und auch die späteren Nutzer vom Verfassungsschutz ausgezogen sind. Immerhin soll es dort in nicht allzu ferner Zukunft wieder belebter werden, wenn das Gebäude erst saniert und wie geplant das Verwaltungsgericht eingezogen ist. Im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses ist das demnächst Thema.

In diesem südwestlichen Teil der Potsdamer Straße scheint sich nicht allzu viel verändert zu haben in den zwei zurückliegenden Jahrzehnten. Die übrig gebliebenen Altbauten aus der Kaiserzeit mit ihrem überreichen Fassadenschmuck wirken immerhin wie herausgeputzt, man hat dort tief in den Farbtopf gegriffen, was sich in der Regel postwendend auf den Mietzins auswirkt.

Ein Strukturwandel, wie man ihn auch am schwelenden Streit um die beiden Jugendeinrichtungen „PallasT“ und „Drugstore“ ablesen kann. Der eigentliche Umbruch aber hat sich im nordöstlichen Teil der Potsdamer Straße abgespielt, etwa zwischen Bülow- und Lützowstraße. Ein Flickenteppich aus Alt und Neu, aus billig, gediegen, hip und schick ist entstanden, eine bunte Mischung, die sich sicher noch weiter nach oben verschieben wird, qualitativ wie preislich, gerade wenn die Klientel von Sony Music die Trottoirs bevölkert.

Galerien, Restaurants und Modeläden mit Anspruch

Noch stimmt nicht überall die Mischung, nehmen sich das LSD im alten Gebäude von Foto-Wegert an der Kurfürstenstraße und Woolworth direkt gegenüber mittlerweile wie Relikte einer fernen Vergangenheit aus, während sich andere, ebenfalls alteingesessene Unternehmen wie die Fleischerei Staroske oder die Joseph-Roth-Diele noch gut in die neue Zeit einfügen. Andere mussten bereits ausweichen, der Devotionalienladen „Ave Maria“ etwa in die Lützowstraße, zum Glück nicht allzu weit vom alten Standort entfernt.

Aber teilweise erkennt man die Straße kaum wieder. Man nehme nur ein Teilstück wie das alte Tagesspiegel-Gelände zwischen Pohl- und Lützowstraße. Gerade im mittleren Segment des Gebäudeensembles, das architektonisch am wenigsten hermachte, immer ein wenig provisorisch wirkte, hat sich das stylische „Sticks ’n’ Sushi“-Restaurant mit japanisch ausgerichteter Küche niedergelassen. Daneben hat die Hutmacherin Fiona Bennett ihren Laden, und links der Durchfahrt, wo früher der Empfang des Zeitungshauses war, residiert jetzt ein Geschäft für Brillenmode, gleich daneben ein schickes Café.

Auch im Hinterhof, wo die Zeitungen gedruckt wurden, gibt es Mode und mehr, wie man es eben von einem Areal, das nun den stolzen Namen „Mercator Höfe“ trägt, erwarten kann. Im näheren Umfeld findet man Galerien, Restaurants und Modeläden mit Anspruch und all die Zweige des Handels, die nicht nur Produkte, sondern zugleich Lifestyle, ja schon in der Ausstattung ein bestimmtes Lebensgefühl bieten.

Wintergarten-Geschäftsführer begrüßt den Neuzugang

Und der Wandel geht weiter, etwa beim „Wintergarten“, direkt gegenüber vom alten Tagesspiegel-Komplex, über dem jetzt nicht mehr der Name der Zeitung, sondern der des Varietétheaters prangt. Einst unter dem Namen „Quartier Latin“ ein ebenso legendärer wie schmuddeliger Rock- und Jazztempel fürs musikalische Mittelfeld, ist das Haus nach einem Zwischenspiel als „Quartier“ von 1992 an eben der Wintergarten, seit 2009 mit dem aktuellen Betreiber, der Arnold Kuthe Entertainment GmbH.

Wintergarten-Geschäftsführer Georg Strecker begrüßt den Neuzugang aus München für die Potsdamer Straße ausdrücklich; schließlich bedeute der Zuzug von Sony Music doch so etwas wie die Fortsetzung der eigenen Arbeit, gehe es doch hier wie dort um Kultur im weitesten Sinne. Auch freue es ihn, dass solch ein großer Player nach Berlin komme und dann noch einen Standort wie die Potsdamer Straße wähle, was vor ein paar Jahren noch kaum vorstellbar gewesen wäre. Andererseits, man müsse mit der Gentrifizierung schon aufpassen, den Alteingesessenen zuliebe, da sollte nicht alles wegradiert werden.

Sorgen ums eigene Haus macht Strecker sich deswegen nicht: In die Immobilie werde noch immer investiert. Schon hat man den Hof unterkellert und in die neuen Räume Toiletten von nicht nur hohem Nutz-, sondern auch Schauwert eingebaut. Die eher kleine Küche wurde, soweit es der Raum ermöglichte, vergrößert, Kühlhäuser kamen dazu, und der Hof wurde sogar mit einem Glasdach regensicher gestaltet, dem Wintergarten quasi ein eigener Wintergarten verpasst. Alles wird eben edler, schicker, auch hier, aber fertig ist es noch keineswegs. In der Potsdamer Straße dieser Tage ist das ein typischer Zustand.

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