zum Hauptinhalt
Sie rechnen nach. Die Mieter der Liebenwalder Straße 5 in Wedding.

© Kai-Uwe Heinrich

Berlin-Wedding: Vonovia-Mieter wehren sich gegen Fehler bei Nebenkostenabrechnung

Bewohner eines Hauses in der Liebenwalder Straße gehen gemeinsam gegen ihren Vermieter Vonovia vor. Der nächste Schritt: Eine Klage.

Von Laura Hofmann

Die Betriebskostenabrechnung für 2016 gab endgültig den Ausschlag. Statt wie sonst 300 bis 400 Euro zurückzubekommen, sollte Torsten Papenheim für die Betriebskosten seiner 90-Quadratmeter-Wohnung in der Liebenwalder Straße in Wedding plötzlich 900 Euro nachzahlen. Der 38-jährige Komponist, der mit seiner Frau und mittlerweile drei Kindern seit zehn Jahren in der Wohnung lebt, war schon einiges gewohnt. Mit jeder Betriebskostenabrechnung war er bisher zum Mieterverein gelaufen, immer hatte etwas nicht gestimmt. Doch der Bescheid für 2016, der kurz vor Silvester 2017 kam, irritierte ihn besonders: Papenheim merkte, dass die Grundsteuer angeblich innerhalb eines Jahres von 2336,60 Euro auf 10.040,46 Euro gestiegen war. Ein Fehler, wie sich später herausstellte.

Kurz vorher, zu Beginn des Jahres 2017, hatte Vonovia die Verwaltung seines Hauses übernommen. Der größte deutsche Wohnungskonzern, der früher Deutsche Annington hieß, besitzt knapp 400.000 Wohnungen in Deutschland. Nach der Deutschen Wohnen ist Vonovia in Berlin der zweitgrößte private Vermieter. Beide sind höchst umstritten, Aktivisten fordern die Enteignung der Konzerne. Vonovia steht vor allem wegen teurer Modernisierungen und daraus folgender Mieterhöhungen in der Kritik – und wegen Unregelmäßigkeiten bei den Betriebskosten.

Auch Mieter in anderen Straßen sind betroffen

Wie Papenheim war es auch den anderen 44 Mietparteien in seinem Haus ergangen. Etwa die Hälfte der Bewohner schloss sich zu einer Mieterinitiative zusammen, alle legten Widerspruch ein. Sie fanden heraus, dass auch mehrere andere Mieter in Wedding betroffen waren: zum Beispiel in der Schulstraße, der Weddingstraße und in der Gottschedstraße.

Auf die Widersprüche reagierte Vonovia zunächst mit dem Vorschlag eines Deals, der nicht auf den konkreten Fall bezogen war. Erst nach mehreren Widersprüchen und Klageandrohung korrigierte der Konzern im August 2018 die Grundsteuer auf den vorherigen Betrag zurück. Dafür waren nach Aussagen der Mieter plötzlich andere Posten in der Abrechnung hinzugekommen. Wieder legten sie Widerspruch ein, forderten Belegeinsicht. Doch nichts passierte. Als Reaktion kamen standardisierte Schreiben, in denen nicht auf die Beschwerden der Mieter eingegangen wurde. „Das ist eine professionalisierte Form von Intransparenz“, ärgert sich Papenheim.

Vonovia begründet den zu hohen Grundsteuerbetrag auf Tagesspiegel-Nachfrage mit der „mangelhaften Datenlage“, die durch den Voreigentümer übermittelt worden sei. Andere oder neue Kosten seien jedoch nicht aufgenommen worden. Hier widerspricht Sprecherin Bettina Benner den Mietern. Die langen Bearbeitungszeiten eines Einspruchs erklärt Vonovia damit, „Rücksprachen mit beauftragten Dienstleistern“ halten zu müssen. „Bis Ende November werden wir die noch offenen Fragen abschließend beantworten“, sagt Benner.

Die Kosten übernimmt oft das Jobcenter - ohne Prüfung

Mittlerweile haben die „Vonovia-Mieter-Wedding“, wie sie sich nennen, schon etwa 20 andere Vonovia-Häuser ausfindig gemacht, mindestens bei sieben davon wurde ebenfalls die viel zu hohe Grundsteuer berechnet. Die Mieter treffen sich nun regelmäßig, organisieren Öffentlichkeit. Die Bewohner der Liebenwalder Straße haben sich in einem Brief an Justizministerin Katarina Barley gewandt, außerdem Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (beide SPD) um Hilfe gebeten. Der sagte seine Unterstützung zu und nahm Kontakt mit dem Jobcenter in Mitte auf. Denn rund die Hälfte der Bewohner des Hauses bezieht Hartz IV. Die beanstandeten Kosten übernimmt also das Jobcenter – und das prüft im Zweifel nicht jede Abrechnung. Gothe kündigte außerdem an, weitere Handlungsmöglichkeiten durch die Rechtsabteilung des Bezirkes prüfen zu lassen.

„Beschwerden gegen Vonovia gibt es zahlreiche“, sagt auch Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds. Regelmäßig gebe es Probleme bei den Betriebskostenabrechnungen, wenn es um Positionen wie Hausmeister, Gebäudereinigung oder Gartenpflege gehe, also um klassische Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung des Gebäudes anfallen. „Hier können Kosten mitunter nicht nachgewiesen werden, oder Dienstleistungen, als Betriebskosten abgerechnet, werden vermischt mit anderen Dienstleistungen.“ Genau diesen Vorwurf erheben auch die Weddinger Mieter. Nachfragen zu Hausmeister- und Müllkosten blieben unbeantwortet, auf die Forderung nach Belegeinsicht werde nicht reagiert.

Ein weiteres Ärgernis für Papenheim und seine Mitstreiter: Heizkosten werden nicht – wie im Mietvertrag festgelegt – nach Verbrauch, sondern nach Fläche berechnet. Dabei hatten die Mieter für die Installation digitaler Messgeräte gezahlt. Das begründet Vonovia auf Tagesspiegel-Nachfrage damit, dass die Werte des Wärmemessdienstleisters zum Zeitpunkt der Abrechnung nicht vorlagen. Man werde den Mietern dafür die Kosten aber um 15 Prozent kürzen.

Fragwürdige Konstruktionen mit Tochterfirmen

Mieterbund-Geschäftsführer Ropertz berichtet außerdem, dass im typischen Vonovia-Mietvertrag der Mieter mit seiner Unterschrift gleichzeitig die Abgabe eines Angebots zum Abschluss eines Stromlieferungsvertrages mit Vonovia unterzeichne. Diese Praxis werde von der Verbraucherzentrale NRW jetzt abgemahnt. Eine weitere Auffälligkeit: Wenn es um Hausmeister, Gartenpflege oder ähnliche Kosten geht, die über die Betriebskosten abgerechnet werden können, setzt Vonovia auf Tochterfirmen. Das gilt auch bei Reparatur- oder Modernisierungsarbeiten. Zwar sei nicht nachgewiesen, dass diese Tochterfirmen überhöhte Rechnungen stellen. „Aber nichtsdestotrotz verdient Vonovia über die Konstruktion der Tochterfirma auch an Betriebskosten“, sagt Ropertz.

Torsten Papenheim verbringt noch mehr Zeit als früher beim Mieterverein. „Es mit Vonovia aufzunehmen, ist ein Full-Time-Job“, hat ihm einer der Anwälte dort gesagt. Bisher hat er vor der Klage noch zurückgeschreckt. Jetzt nicht mehr: „Das ist der nächste Schritt, auch wenn ich gar keine Lust darauf habe.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false