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Katja Kipping (Die Linke), Sozialsenatorin, bei einem Besuch des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten Berlin (LAF) in Reinickendorf Ende Februar.  

© Joerg Carstensen/dpa

Berlin und der Ukraine-Krieg: Sozialsenatorin Kipping spricht von „historischer Herausforderung“

Mit jedem Neuankömmling aus der Ukraine wächst der Druck auf den Berliner Senat. Derzeit kommen bis zu 4000 Menschen per Zug in die Hauptstadt.

Von Sonja Wurtscheid

Aus dem Getümmel an den Bahnsteigen des Berliner Hauptbahnhofs blitzen sie hervor: Ukrainische Flaggen und Menschen mit gelben oder orangenen Westen. Sie bringen ankommende Kriegsflüchtlinge zum Infopoint. Noch stemmen freiwillige Helfer:innen einen Großteil dieser ersten Koordinierung. 

Zugleich wächst mit jedem Neuankömmling in Berlin der Druck auf den Senat. Am Mittwoch wurden 1700 offiziell untergebracht, wie Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) am Donnerstag im Integrationsausschuss des Abgeordnetenhauses erklärte. „Normalerweise haben wir das in ein bis zwei Monaten an Migration“, sagte sie. Berlin stehe vor einer „historischen Herausforderung“. 

„Wenn es nicht eine bundesweite Aufteilung gibt: Berlin ist das Tor“, sagte Kipping. Am Montag waren es 350 Menschen, am Dienstag schon 1400. Kipping betonte, die Zahlen seien nicht gleichzusetzen mit den Menschen, die tatsächlich ankommen. „Ganz viele kommen privat mit Autos, werden von Verwandten abgeholt – die tauchen überhaupt nicht auf. Die sind aber in der Stadt.“ 

Ihre Zahl werde erst sichtbar, wenn sich die Menschen offiziell registrieren können. „Alles, was wir bisher an Eindrücken in Berlin und Zahlen haben, ist maximal die oberste Eisspitze.“ sagte die Linken-Politikerin. 
Pro Tag kämen mit dem Zug geschätzt 3000 bis 4000 Menschen in die Hauptstadt. Zahlen des Bundes, wonach in Deutschland nur 5000 angekommen seien, könnten „objektiv nicht stimmen“.

Kipping rechnet mit deutlich mehr als 20.000 Geflüchteten

Der Senat habe die Sozialverwaltung beauftragt, „zunächst 20.000 Plätze zu schaffen“, sagte Kipping, und fügte an: „Am Anfang lag die Betonung auf ,20.000’. Angesichts der Entwicklung würde ich sagen: Jetzt liegt die Betonung auf ,zunächst’. Wir werden uns auf deutlich mehr einstellen.“ Bei Hilfsangeboten unterscheide Berlin nicht zwischen Geflüchteten mit oder ohne ukrainischer Staatsbürgerschaft.

Die erste Anlaufstelle für Ankommende sei weiter der Infopoint im Hauptbahnhof und das Ankunftszentrum in der Oranienburger Straße in Reinickendorf. „Die gute Nachricht ist: Bisher hat jeder, der angekommen ist, für die Nacht ein Bett und zu essen bekommen“, sagte die Senatorin. Das Ankunftszentrum aber „ist aktuell stark ausgelastet“, wie das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten auf Twitter schrieb. 

Die private Bettenvermittlung von „Elinor Network“ werde nun auch am Infopoint im Hauptbahnhof und im Ankunftszentrum eingebunden, sagte Kipping. Auch müssten Aufnahmemöglichkeiten für alleinreisende Kinder gefunden werden. „Wir haben bisher nicht das Phänomen der unbegleiteten Minderjährigen, wie das 2015 war“, sagte Kipping. „Was es aber gibt: Es kommen jetzt nach und nach Busse von Waisenhäusern.“ So seien etwa 120 Waisenkinder aus Odessa auf dem Weg.

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Berlin habe zuletzt Unterkünfte eröffnet in der Groscurthstraße (Buch), Gubenerstraße (Friedrichshain), im Jugendgästehaus der Stadtmission, am Rohrdamm (Spandau) und in der Emser Straße (Neukölln). Man habe sich zudem mit Brandenburg verständigt. Von den 1700 am Mittwoch untergebrachten Menschen kamen 1000 dorthin, wie Kipping sagte.

Auf Berlin bezogen fasste die Senatorin die Strategie so zusammen: „Es gibt jetzt eine Aufgabe, so viel wie möglich zu schaffen. Wir schaffen jetzt Unterkunftsplätze, was das Zeug hält.“ Die Senatsverwaltung bekomme „jede Menge Angebote“ für ganze Objekte. 

Senat will zentrale Anlaufstelle für Registrierung einrichten

Perspektivisch wolle der Senat aber eine zentrale Anlaufstelle für die Registrierung der Menschen aufbauen. „Wir werden demnächst eine großflächige Ankunftsstruktur schaffen müssen“, sagte Kipping. Ob das am ehemaligen Flughafen Tegel sein werde, ließ sie offen.  Kipping forderte die Bundesregierung erneut auf, rechtliche Vorgaben zum Aufenthaltsstatus der Ukrainer:innen zu machen.

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Eine Freiwillige hilft einer Ukrainerin am Berliner Hauptbahnhof mit Spenden. 
Eine Freiwillige hilft einer Ukrainerin am Berliner Hauptbahnhof mit Spenden. 

© REUTERS/ Annegret Hilse

„Ich habe gerade null Energie, um mich besonders aufzuregen, deswegen sage ich es in aller Freundlichkeit: Wir warten händeringend, dass es eine finale Rechtsgrundlage gibt für die Einstufung.“ 

Ob die Menschen als Kriegsflüchtlinge anerkannt werden, entscheide unter anderem darüber, auf welche Leistungen sie Anspruch haben und ob sie hier arbeiten dürfen. Kipping betonte: „Die Dimension ist unfassbar. Es ist wahrscheinlich die größte Flüchtlingsbewegung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg.“ 

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