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Mitte März wurden in Berlin symbolisch die abgewanderten Lehrer zu Grabe getragen.

© dpa

Berlin und der Pädagogenmangel: Die Verbeamtung ist ein Geschenk an junge Lehrende

Eine Verbeamtung von Lehrern schürt nur neue Ungerechtigkeiten - und gleicht Berlins Standortnachteile nicht aus. Die liegen ganz woanders. Ein Gastbeitrag.

Im Prinzip sind sich die Regierenden ja einig, dass die Wiederverbeamtung von Lehrenden ein Fehler ist. Die Argumente sind bekannt: Erstens gehört der Lehrberuf nicht zu jenen Gruppen von Arbeitnehmern im Kernbereich staatlicher Hoheitsaufgaben, denen finanzielle Privilegien als Kompensation für den Verzicht auf wesentliche Arbeitnehmerrechte, wie das Streikrecht gewährt werden müssen. Und zweitens bürdet der Staat bei der Verbeamtung kommenden Generationen finanzielle Lasten auf, die er heute weder kennt, geschweige denn, dass er auch nur den Versuch unternähme, heute Rücklagen oder ähnliches zu bilden.

Führende Vertreter von SPD und CDU glauben aber, diesen Fehler machen zu müssen, weil es der einzige Weg sein könnte, den Wettbewerbsnachteil auszugleichen, den Berlin auf dem Lehrermarkt zu haben glaubt. Aber stimmt das? Wir von der Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen denken, die Analyse ist unvollständig und deswegen greift der Vorschlag zu kurz. Was meinen wir?

1. Die Verbeamtung ist ein Geschenk an junge Lehrende. Aber die Erfahrung zeigt, dass diese kommende Generation von Lehrenden angesichts der Herausforderungen, die der Alltag heute an Lehrende stellt, und trotz guter Ausbildung, mehr denn je Anleitung und Einarbeitung durch erfahrene Lehrer braucht. Ausgerechnet diese erfahrenen Lehrer werden aber vergrault werden durch die Gerechtigkeitsprobleme, die durch die Verbeamtung entstehen, von der die Älteren nicht mehr profitieren.

2. Die Verbeamtung ist kurzfristig ein Geschenk für jüngere Lehrende. Sie betrachtet aber nicht die Ursachen, warum ältere Lehrkräfte in Berlin, und da besonders die verbeamteten, überdurchschnittlich stark von einem hohen Krankenstand und von Frühverrentung betroffen sind.

Wenn man nun schon viel Geld in die Hand nimmt, müsste man sich nicht zunächst einmal fragen, warum man so viele erfahrene Lehrende frühzeitig verliert, die es nicht schaffen, ihren Beruf bis zum Erreichen der Altersgrenze gesund und motiviert auszuüben? Dies ist für das System langfristig nicht minder verheerend. Denn es betrifft die Generationen, die in der Leitung in den Schulen eigentlich die tragenden Kräfte stellen müssten. Mit den jüngeren Generationen einfach aufzufüllen, wo bei den älteren Generationen weiter verheizt wird, ist zynisch.

Tatsächlich ist u.E. die Nichtverbeamtung nur der oberflächlich ins Auge stechende Standortnachteil in Berlin. Neben latenten Krankmachern, wie einer hohen Fremdbestimmung in der Arbeit durch immer mehr Bürokratie und standardisierte Prüfungen, sehen wir als langfristig schädlichere Ursache die höhere Lehrerarbeitszeit als in anderen Bundesländern. Dieser Nachteil schlägt aber halt erst mit zunehmendem Alter zu Buche. Dann nämlich wird die Arbeitsbelastung zunehmend ein Problem.

3. Mehr als zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler besuchen heute eine Schule in freier Trägerschaft. Diese Schulen werden durch eine Verbeamtung der staatlichen Lehrerschaft, sofern keine Ausgleichmechanismen gefunden werden, größere Probleme in der Rekrutierung von Lehrenden bekommen.

Nun gibt es vielleicht verbohrte Ideologen, die dies begrüßen nach dem Motto: Prima, die lästige Konkurrenz wird geschwächt! Tatsache ist aber, dass das Land Berlin ohne die Schulen in Freien auf absehbare Zeit gar nicht in der Lage wäre, diesen wachsenden Anteil von Schülerinnen und Schülern an staatlichen Schulen zu beschulen. Insofern entlarven sich alle Lösungen, die diesen Teil des öffentlichen Schulsystems nicht mitbedenken, nur als Ausweis derselben verantwortungslosen Kurzsichtigkeit, die sich in der Vergangenheit darin zeigte, dass die Regierenden zwar stets auf dem staatlichen Ausbildungsmonopol für Lehrende beharrten, ohne freilich rechtzeitig für das absehbare Problem fehlenden Lehrernachwuchs ausreichend Ausbildungsplätze bereit zu stellen.

Berlins Lehrer sind überdurchschnittlich teuer

Berlin gibt im Bundesschnitt überdurchschnittlich viel Geld für Lehrende in Relation zu den Schülern aus. Die Frage, die sich alle stellen sollten, bevor viel Geld an der falschen Stelle investiert wird, müsste lauten: Warum kommt davon eigentlich so wenig an der Basis an? Verbeamtung ist dagegen eine schnell dahin geworfene Forderung. Eigentlich ist sie nichts anderes als eine ausgesprochene Gestaltungsverweigerung, ohne über kreativere und vor allem wirkvollere Maßnahmen nachzudenken.

Wie steht es mit anderen Wettbewerbsfaktoren? Gibt es nicht andere Faktoren, mit denen man viel erfolgreicher in den Wettbewerb mit anderen Bundesländern treten könnte? Wie wäre es, angesichts einer Generation, der freie Zeit wichtiger ist als Bezahlung, lieber ein geringeres Stundendeputat als andernorts zu fordern.

Wie wäre es, wenn es in Berlin die kleinsten Klassen gäbe, oder für alle Lehrer Dienstrechner für die Arbeit zu Hause. Wie wäre es, wenn der Arbeitgeber in Berlin die Tickets für den ÖPNV finanzierte, oder alle Lehrer eine Jahrespauschale von 500 Euro für Lehrmittel bekommen?

Wenn die fantasielose, ungerechte und wenig nachhaltige Forderung nach der Verbeamtung vom Tisch wäre, wäre das Feld vielleicht offen für andere, ebenfalls kostenintensive, aber möglicherweise langfristig wirkungsvollere und gerechtere Investitionen, die den Lehrberuf in Berlin wieder attraktiv machen könnten. Die Senkung der Lehrerarbeitszeit für Lehrende aller Generationen könnte eine solche Lösung sein.

- Der Autor ist Rektor am Berliner Canisius-Kolleg, das zur Arbeitsgemeinschaft der Berliner Schulen in freier Trägerschaft (AGFS Berlin) gehört

Pater Tobias Zimmermann SJ

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