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Pirate Studios vermieten voll ausgestattete Proberäume für vier bis zwölf Euro die Stunde - je nach Ausstattung und Uhrzeit.

© Sven Darmer

Berlin-Tempelhof: Pirate Studios: Musizieren zum Stundenpreis

Für Musiker ist es häufig schwierig, Proberäume zu finden. In Tempelhof können Studios nun stundenweise gemietet werden.

Ein tristes Industriegebiet hinter der Stadtautobahn, Tempelhof, Bergholzstraße. Aus einem der Gebäude dringt dumpfes Brummen und gedimmter Gesang. Gut schallisoliert ist er, der neue Komplex der Pirate Studios. Hier soll der gute alte Proberaum für Musiker ganz neu gedacht werden. Die Idee: In Berlin, wo Proberäume genau wie Ateliers ein zunehmend teures und rares Gut sind, wo es schwierig ist, einen Ort zu finden, an dem Lautstärke keine Rolle spielt, muss eine flexible Lösung her. Bei den Pirate Studios, die von einem Unternehmen aus England betrieben werden, können Räume nach Bedarf, stundenweise, gemietet werden. Zu jeder Tages- und Nachtzeit. Gebucht wird online, die Tür öffnet sich per Code.

Innen sitzt gerade Leo Woelfel, Schlagzeuger, jetzt mehr und mehr an elektronischer Musik interessiert. Eigentlich studiert er Soziologie in Innsbruck, ist aber gerade zu Besuch in Berlin. Über einen Freund hat er von den Pirate Studios erfahren. Er hatte Lust, spontan Musik zu machen, während er in der Stadt ist.

16 Proberäume

Der Proberaum ist groß und komfortabel, das Schlagzeug steht auf einer Empore wie auf einer richtigen Bühne. Woelfel nimmt Schlagzeugsounds auf, die er später in seine elektronische Musik mischen will. Demnächst soll man hier auch unter halbprofessionellen Bedingungen Demo-Tapes aufnehmen können. Ein Mischpult steht bereits in der Ecke, allerdings sei man immer noch damit beschäftigt, die Räumlichkeiten fertig einzurichten, sagt Lea Wieser, Sprecherin der Pirate Studios Deutschland. Schlagzeug, Verstärker und Monitorboxen sind schon da. In den fünf Kabinen für DJs stehen CD-Player und Mixer bereit. Für einen der 16 Proberäume werden je nach Uhrzeit und Ausstattung zwischen vier und zwölf Euro pro Stunde fällig – das könnte vor allem Nachwuchs- und Amateurbands ansprechen, die vielleicht nur ein bis zwei Mal pro Woche proben und flexible Lösungen suchen.

Bald sollen Bands hier auch Konzerte spielen und streamen können.
Bald sollen Bands hier auch Konzerte spielen und streamen können.

© Sven Darmer

Pirate Studios starteten in Bristol

Begonnen hat es mit den Pirate Studios vor drei Jahren in Bristol, zunächst wurde eine verlassene Polizeistation in ein Quartier mit Proberäumen verwandelte. In nur drei Jahren sind allein in Großbritannien an 20 weiteren Standorten fast 280 Studioräume entstanden. Und nun will man mit dem Konzept auch den Rest der Welt erobern. New York hat seit Kurzem einen Ableger und nun eben Berlin.

Auch Ibrahim Vidis ist angetan von dem Konzept. Er kommt aus Venezuela und hat sich eine der DJ-Kammern gebucht. In den ersten Wochen nach der Neueröffnung wird weder für ihn noch für Leo Woelfel in seinem Bandproberaum eine Gebühr fällig. Die Pirate Studios wollen so erst einmal Werbung für sich machen. Doch Vidis kann sich vorstellen, wiederzukommen. „Ich kann hier so laut sein, wie es in meiner eigenen Wohnung niemals möglich wäre“, sagt er. Beim nächsten Mal will er seinen Laptop mitbringen, mit dem Mixer verbinden und sein frisch erarbeitetes DJ-Set gleich mitschneiden.

Kein Platz für Exzesse

Die DJ-Kabine ist nüchtern und funktional eingerichtet. Eine Couch zum Abhängen gibt es nicht, Rauchen ist – wie im gesamten Komplex – nicht erlaubt. Auch Drogen sind tabu, verkündet ein Aushang. Ein persönliches Ambiente einzurichten, das ein empfindsamer Geist vielleicht benötigt, um seine Kreativität anzuregen, ist in den Pirate Studios nicht möglich. Man betritt den Raum, probt, übt und arbeitet und verlässt ihn so, wie man ihn vorgefunden hat. Überhaupt wirkt der ganze Komplex etwas steril, was auch daran liegen mag, dass alles noch so neu ist. An diesem Tag kurz nach der Eröffnung sind die meisten Räume belegt, doch beim Gang durch die Flure trifft man keine Menschenseele, die kleine Gemeinschaftsküche ist leer und sieht wenig benutzt aus. Jeder Winkel des Komplexes wird rund um die Uhr von Kameras überwacht. Die Neuerfindung des Proberaums bedeutet auch den Abschied von einem Ort, der traditionell ein wenig heruntergewirtschaftet ist und Platz für Exzesse, musikalische und andere, bietet.

Doch etwas mehr Leben soll schon noch in die Bude kommen. In den britischen Studios gibt es bereits Pirate Live, Veranstaltungen, bei denen Bands in den Proberäumen auch Konzerte geben, die dann für die Community gestreamt werden. Bald soll es das auch in Berlin geben, sagt Sprecherin Lea Wieser. Wenn nach diesen Konzerten dann vielleicht die ersten Bierflecken in der Auslegware sind, sehen die Proberäume vielleicht irgendwann doch noch so aus, wie sie es immer taten. Andreas Hartmann

Mehr Infos: www.piratestudios.com

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