zum Hauptinhalt
Der ehemalige Kontrollturm auf der Südseite des Platzes, die angrenzende Halle wurde abgerissen (zur Orientierung: Am Ende der Straße befindet sich das heutige McDonald's an der Heerstraße).

© Rainer W. During

Berlin-Spandau: Wo Heinz Rühmann fliegen lernte

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf NR. 80: STAAKEN.

Fläche: 10,9 km² (Platz 26 von 96)

Einwohner: 44 605 (Platz 27 von 96)

Durchschnittsalter: 43,3 (Berlin: 42,7)

Lokalpromis: Katarina Witt (Eiskunstläuferin), Heinz Rühmann (Bruchpilot)

Gefühlte Mitte: Brunsbütteler Damm

Was verbindet den Spandauer West-Ortsteil Staaken mit dem Treptower Ost-Ortsteil Johannisthal? In beiden gab es früher mal einen Flugplatz, und in beiden gab es früher mal Filmstudios. Ich hielt diese Parallele erst für einen merkwürdigen Zufall. Bis ich mir Staaken aus der Nähe ansah.

Der Flugplatz am Spandauer Westrand entstand während des Ersten Weltkriegs, ursprünglich wurden hier Zeppeline für militärische Zwecke gebaut. Nach Kriegsende 1918 verlagerte sich der Betrieb hin zur zivilen Nutzung. Private Fluglehrer ließen sich in Staaken nieder, die unter anderem Heinz Rühmann das Fliegen beibrachten – so gründlich, dass der Schauspieler in seinen späteren „Quax“-Filmen bei allen Kunstflugszenen selbst am Steuer saß.

Während Rühmann über Staaken seine Übungsrunden drehte, wurden einige der alten Zeppelinhallen bereits als Filmstudios genutzt. Unter anderem drehte man hier die kulissenintensiven Szenen von Fritz Langs „Metropolis“. Die Umwidmung der Hallen, eine Art frühes Beispiel für kreative Berliner Zwischennutzungen, hing unmittelbar mit der Kriegsniederlage zusammen: Der Friedensvertrag von Versailles schränkte in Deutschland die Produktion von Luftschiffen und Flugzeugen ein, weshalb in Staaken, genau wie am Flugplatz Johannisthal, die Hangars brachlagen – und hier wie dort Filmproduktionen in die Bresche sprangen.

Weder der Flugplatz noch die Filmstudios haben am heutigen Berliner Stadtrand viele Spuren hinterlassen, auch darin ähneln sich Staaken und Johannisthal. Einen Teil des alten Flugplatzgeländes bedecken inzwischen Solarpaneele, ein anderer wurde zum Gewerbegebiet umfunktioniert, es gibt ein paar Bolzplätze und ein Naturschutzgebiet für Zauneidechsen, dazwischen radeln Rentner mit bunten Helmen dem brandenburgischen Horizont entgegen.

Lediglich ein leer stehender Backsteinbau aus den 20er Jahren, der sogenannte Zeppelin-Tower, erinnert noch an Staakens himmelstürmende Vergangenheit. Auf der Fassade entdeckte ich aufgepinselte kyrillische Buchstaben, eine halb verwaschene Propagandainschrift aus der Nachkriegszeit, die nur noch teilweise zu entziffern ist: „Es lebe... bolschewistische Partei... Lenin-Stalin... für den Sieg über die deutsch-faschist...“

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Staaken geteilt. Im Zuge eines Gebietstauschs zwischen den Siegermächten fiel die Westhälfte des Ortsteils der sowjetischen Zone zu. Die Sportfunktionäre der Bundesrepublik dürften sich über diese Entscheidung später sehr geärgert haben, denn in West-Staaken, wie die der DDR zugerechnete Hälfte des Ortsteils paradoxerweise hieß, kam 1965 Katarina Witt zur Welt. Die deutsche Eiskunstlaufgeschichte hätte auch ganz anders verlaufen können.

An einer Bushaltestelle am Nennhauser Damm kam ich mit einer Dame im sehr vorgerückten Alter ins Gespräch, die mir von der Zeit erzählte, als quer durch Staaken die Mauer verlief. Ihre Erinnerungen waren flackerhaft, sie kramte sie aus ihrem Gedächtnis wie den Inhalt einer unsortierten Handtasche. „Wir schmierten den DDR-Grenzern Stullen, die hatten ja nüscht... Meine Oma fuhr ich immer auf dem Gepäckträger spazieren... Auf den Feldern stolzierten Kraniche... Nachts bellten an der Mauer die Hunde...“ Ein wenig erinnerten mich die Lücken zwischen ihren Gedanken an die verwaschene Inschrift auf dem Zeppelin-Tower.

Alle bisherigen Folgen online: 80 Ortsteile hat unser Kolumnist bereits besucht. Alle Folgen seiner Kolumne „Mühling kommt rum“ finden Sie auf unserer Internetseite unter www.tagesspiegel.de/96malberlin

Nachrichten aus zwölf Bezirken: Bleiben Sie auf dem Laufenden, was in Ihrer Nachbarschaft läuft: mit unseren Newslettern aus den zwölf Bezirken – kostenlos zu bestellen unter www.leute.tagesspiegel.de

Mehr aus Staaken: Eine Idee der Linken macht die Runde: Kann das Freibad attraktiver werden mit einer BVG-Sonderlinie? Der Konzern antwortet im Spandau-Newsletter - hier.

Mehr aus Staaken: In Staaken an der Obstallee wurde im Sommer 2018 Berlins erste mobile Polizeiwache eröffnet.

Mehr aus Staaken: Wann wurde das vergessene Freibad eröffnet? Eine Frau sucht die Antwort.

Mehr aus Staaken: Der 3. Oktober 1990: Als Sekt floss im vereinten Staaken. "Was ist schon das Brandenburger Tor gegen Staaken?" Der Ort war geteilt, gehörte zu West-Berlin und zur DDR. Erinnern Sie sich? Ein Blick ins Archiv

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false