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Die Zossener Straße: ein lebendiges Stück Stadt, mit Autos

© Kai-Uwe Heinrich

Berlin-Rant: Fußgängerzonen sind Gift für die Stadt

Am Tag Shoppinghöllen, abends toter Raum. Dass die Politik wieder eine Fußgängerzone einrichten will, zeigt: Etwas läuft falsch in der Verkehrspolitik.

Fußgängerzonen sind, sofern es sich nicht gerade um mediterrane Altstadtgässchen handelt, ein städtebaulicher Rohrkrepierer. Es lernt nur niemand daraus. Gerade erst hat die BVV Friedrichshain-Kreuzberg auf Antrag der Grünen beschlossen, die Zossener Straße zwischen Bergmann- und Gneisenaustraße in eine Fußgängerzone umzuwandeln. Eine fragwürdige Beglückungsmaßnahme. Im besten Fall bleibt es beim Aufstellen von Pflanzenkübeln aus Beton, im schlechtesten wird die Straße zum Durchlauferhitzer für besinnungslosen Konsum, zum Inkubator für Bekleidungsketten. Als ob der einzige Sinn und Zweck von Stadt (und des Daseins) darin bestünde, Klamotten zu kaufen. Soll so das neue Kreuzberg aussehen?

Der Preis wird am Abend gezahlt. Dann kippt die Straße in Minuten von einem Extrem ins andere: eben noch Shoppingrausch, jetzt tot. Fußgängerzonen sind urbane Sojafelder: eine einzige Monokultur. Für traumatisierte Zugezogene aus Westdeutschland, wo ganze Innenstädte in riesige Open-Air-Einkaufszentren verwandelt wurden, war und ist Berlin auch deshalb so großartig, weil diese Entwicklung hier kaum eine Chance hatte. Die wenigen Beispiele, wo es doch versucht wurde – wie in der Wilmersdorfer Straße – sind abschreckend genug. Jetzt soll Berlin offenbar auch in diesem Punkt Mainstream werden.

Wie entsteht Stadt? Die 1933 verabschiedeten Charta von Athen unter Federführung von Le Corbusier, die zur Grundlage des Städtebaus der Nachkriegsmoderne wurde, enthielt einen fatalen Fehler: Sie zerpflückte den urbanen Raum in verschiedene Zonen für Wohnen, Arbeit, Freizeit. Das Ergebnis: Ghettos, Langeweile, Pendlerverkehr. Dabei muss man die Stadt gar nicht neu erfinden. Was Urbanität ausmacht, hat sich in den letzten 2000 Jahren kaum verändert – es ist die Mischung der Funktionen.

Verkehr war immer Teil dieses Organismus

Gründerzeitviertel sind so beliebt, weil sie abwechslungsreich sind: Wohnungen, Gewerbe, Gastronomie in einer Straße, in einem Haus sogar. Verkehr war immer Teil dieses Organismus. Knalleng ging es schon im antiken Rom oder Paris zu. Wo viele Menschen zusammenkommen, wollen sie sich auch bewegen. Aus Pferden und Kutschen wurden Autos. Sie sind Teil unserer Lebenswirklichkeit, so wie Fußgänger, Radfahrer, Busse, Straßenbahnen. Sie auszusperren, macht eine Straße nicht interessanter, sondern monotoner.

'Tagsüber Shopping, abends tote Zone', das ist nicht primär das Ergebnis von Fußgängerzonen, sondern der Entvölkerung der Innenstädte. Die wiederum resultiert vor allem aus Immobilienspekulationen und entsprechend hohen Wohnkosten.

schreibt NutzerIn Gophi

Um nicht missverstanden zu werden: Autos sind laut. Sie sind dreckig. Sie sind gefährlich. Es gibt zu viele von ihnen. Aber kann die Lösung sein, einzelne Zonen zu befrieden? Damit der Verkehr woanders – etwa auf dem Mehringdamm – umso stärker anschwillt? Müssten wir uns nicht eher grundsätzlich fragen, wie wir unsere Mobilität organisieren wollen? Die Zahl der Autos reduzieren, U-Bahnen im Zwei-Minuten-Takt, Busse und Bahnen für einen Euro, Ladestationen für E-Autos an jeder Tankstelle: eine Utopie, ja. Aber das wäre der Weg. Fußgängerzonen sind nur das Eingeständnis, dass etwas falschläuft in der Verkehrspolitik.

Die Infantilisierung des Stadtraums

An der Maaßenstraße in Schönberg kann man studieren, was passiert, wenn wohlmeinende Planer denken, sie müssten jetzt mal „was tun“. Aus einem entspannt-charmanten, in der Erinnerung nicht besonders verkehrsreichem Stück Straße wurde ein krampfig-verkopfter Stummel. Mitten auf dem Asphalt stehen Bänke, auf denen selten jemand sitzt, Autos kurven drum herum, dazu lustig bemalte Betonquader: Es ist die Infantilisierung des Stadtraums, wie es Lutz Stolze von der Buchhandlung „Kommedia“ nennt – die übrigens in der Zossener Straße ihren Sitz hat.

Aber bitte: Wenn das der Weg ist, den Berlin gehen will, dann gibt es keinen Grund, bei der Zossener Straße aufzuhören. In der Stadt warten noch viele quirlige, pulsierende Quartiere darauf, in den Dornröschenschlaf versetzt zu werden. Was ist mit der Oranienstraße? Akazienstraße, Weserstraße, Schlesische Straße? Rund um Hackeschen Markt oder Boxhagener Platz? Oder die Rigaer Straße! Die soll ja jetzt sowieso für 18 Monate gesperrt werden. Lasst es dabei, macht sie zu einer richtigen Fußgängerzone! Dann kann man endlich in Ruhe beim Häuserkampf zugucken. Und dabei gleich noch Klamotten kaufen.

Dieser Beitrag erschien zunächst als Rant in "Mehr Berlin", dem Sonnabendmagazin im Tagesspiegel.

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