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Angelika und Reiner Aust wohnen seit fast fünfzig Jahren in der Sanderstraße.

© Raphael Krämer

Berlin-Neukölln: Räumungsklage wegen einer Dunstabzugshaube

Nach fast 48 Jahren wird ein Neuköllner Ehepaar aus der Wohnung geklagt – wegen eines Umbaus.

Reiner Aust steht mit seiner Frau Angelika in der Küche und sagt: „Das Problem ist das Ding da oben.“ Da oben, da ist die Dunstabzugshaube. Und das Problem ist, dass die Austs ihre Wohnung verlieren könnten. Wegen der Haube.

Über den Gegenstand des Streits sind sich beide Parteien einig, doch sonst ist in diesem Fall vieles unklar. Die Austs wohnen in der Sanderstraße im Neuköllner Reuterkiez, in einer von Verdrängung bedrohten Zone. Die Mieten im Viertel sind in den vergangenen sechs Jahren um 80 Prozent gestiegen. Ein paar Ecken weiter, in der Framstraße, stand im Sommer der Verkauf eines ganzen Blocks an eine Immobilienfirma zur Debatte. Der Verkauf scheiterte am Milieuschutz des Bezirks. Aber so laufen diese Verdrängungsgeschichten in der Regel ab: Immobilienhändler ekeln Mieter aus ihrer Wohnung, Klein kämpft gegen Groß. Die Geschichte der Austs passt nicht in dieses Schema. Hier steht Klein gegen Mittelgroß. Und viele Unklarheiten.

Der Schornsteinfeger hält die Abzugshaube für gefährlich

Die Geschichte beginnt Mitte der 1970er, als Reiner Aust, der „Ur-Neuköllner“, wie er sich nennt, eine Dunstabzugshaube über seinen Herd montiert und sie an den Lüftungsschacht anschließt. Er sagt: „Das habe ich mit dem Eigentümer so mündlich vereinbart.“ Laut Mietvertrag hätte er allerdings eine schriftliche Genehmigung gebraucht.

Die Austs leben seit 1971 in der Sanderstraße. Angelika Aust wuchs vor rund 70 Jahren in der Wohnung ein Stockwerk höher auf. Später erbte sie die Wohnung im 1. Stock von ihrer Großmutter. Den Mietvertrag von 1913 hat sie noch. Fast 40 Jahre wedelte Luft durch den Abzug und niemand störte sich daran, auch nicht der damals neue Eigentümer, der 1980 das komplette Haus kaufte.

Das änderte sich, als im Juli 2014 Schornsteinfeger Roland Boehling die Abzugshaube bemängelte. „Ich habe Herrn Aust gesagt, dass das so nicht geht“, sagt er am Telefon. Bei einem Feuer könnte die Luft nicht richtig abziehen; damit sei das ganze Haus gefährdet. Mehr möchte er nicht sagen.

Im Sommer 2014 gab Boehling die Mängelmeldung an die Hausverwaltung weiter, die daraufhin den Eigentümer informierte. Der forderte die Austs auf, die Haube vom Lüftungsschacht zu trennen. Die weigerten sich.

Der Eigentümer sei „kein klassischer Miethai“, sagt ein anderer Bewohner des Hauses, der namentlich nicht genannt werden möchte. Im Haus gehörten ihm alle 30 Wohnungen, eigentlich gebe es fast keine Klagen. Die Mieten sind gering, die Erhöhungen waren moderat. Vor ein paar Jahren begannen die Probleme: „Er fing Streits wegen Kleinigkeiten an“, sagt der Mieter und vermutet: „Der will das ganze Haus modernisieren und uns hier raushaben.“ Der Eigentümer ist nicht erreichbar, lässt Nachrichten unbeantwortet, das Telefon klingeln.

Der Eigentümer verklagte die Mieter

2016 hat der Eigentümer die Austs wegen der Dunstabzugshaube angezeigt. Nachdem sie sich immer noch weigerten, sie zurückzubauen, verklagte er sie. Am 16. Februar 2017 verhandelte des Amtsgericht Neukölln den Fall. Aus Sicht der Austs war es ein unnötiger Termin: Denn sie hatten sich schließlich gefügt und alles wieder demontiert. Das sah das Gericht aber anders. Es urteilte, dass der Anschluss weg muss. Die Austs versäumten es, Berufung gegen das Urteil einzulegen und sind somit rechtskräftig verurteilt.

Ein Anruf beim Anwalt des Eigentümers. Zunächst möchte er nichts sagen, redet sich dann aber doch in Rage: „Das, was die Austs gemacht haben, ist lebensgefährlich für das ganze Haus, sie sind rechtskräftig verurteilt, diese Behauptungen sind gelogen!“ Schließlich beendet er das Telefonat mit den Worten: „Jetzt schreiben sie, was sie wollen!“

Die Austs halten den Anwalt für den bösen Buben im ganzen Spiel. Er habe sie um die Kostenhilfe für den Prozess gebracht und sei auch für die nächste Eskalation im Streit verantwortlich: Der Eigentümer und sein Anwalt erhoben am 26. April Räumungsklage und geben den Austs 16 Tage, die Wohnung, in der sie fast 48 Jahre lebten, zu verlassen. Ihrer Ansicht nach haben die Austs den Anschluss der Dunstabzugshaube zwar demontiert, jedoch einfach nur einen Meter weiter oben wieder angeschlossen. Sie berufen sich auf die Aussage einer Architektin, die am 25. April in der Wohnung gewesen sein soll. Doch Reiner Aust sagt: „Ich habe sie an der Tür abgewimmelt! Die war hier nicht drin.“

"Wo sollen wir denn hinziehen?"

Auch die Architektin möchte nicht reden. Am 3. Januar soll sie vor dem Amtsgericht Neukölln aussagen, ob sie denn am 25. April in der Wohnung war oder nicht und was Reiner Aust mit dieser Dunstabzugshaube gemacht hat. Glaubt das Gericht der Architektin und belässt es bei der Räumungsklage, müssen die Austs die Wohnung verlassen. Vermutlich irgendwann 2018.

Daran möchten sie nicht denken. „Wo sollen wir denn hinziehen?“, sorgt sich Angelika Aust. Ihr Mann ist schwerbehindert, sie habe ebenfalls gesundheitliche Probleme und muss nebenbei noch putzen, um den Schuldenberg abzubezahlen. Der Prozess hat nicht nur Nerven und Schlaf gekostet, sondern auch mehr als 6000 Euro.

Ein Teil der Hausgemeinschaft will den Austs jetzt helfen, finanziell, aber vor allem moralisch. Denn auch sie fürchten, aus der Sanderstraße verdrängt zu werden. „Wir wollen doch nur mit dem Eigentümer darüber reden, wie wir in Zukunft leben können“, sagt der Nachbar der Austs. „Irgendwo muss doch ein guter Kern sein.“

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