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Die Mauer entsteht zwischen Prenzlauer Berg und Wedding, vermutlich an der Bernauer Straße. Wedding (und Reinickendorf) gehörte zum französischen Sektor.

© Stiftung Berliner Mauer, Schenkung von Joachim Fechner

Berlin-Mitte: Private Filmaufnahmen vom Mauerbau entdeckt

Wie sah die Berliner Grenze am Stadtrand aus? Private Filmaufnahmen zeigen es. Zum Beispiel jene, die die Gedenkstätte jetzt erhalten hat. Haben auch Sie noch alte Filme?

Ein 14-jähriger Junge kehrt vor 54 Jahren mit Eltern und Bruder aus den Sommerferien in Österreich nach Berlin zurück. Joachim Fechner, geboren in Wedding, später aufgewachsen in Reinickendorf, weiß bis heute, dass das ein Samstag war. Denn am Sonntag klingelte morgens das Telefon. Es waren Freunde der Familie: „Die machen den Osten zu!“

Die Fechners machten sich sofort auf den Weg aus Reinickendorf in die Bernauer Straße, um dort, wie so viele andere Berliner, mitzuerleben, wie die Mauer hochgezogen wurde. Joachim Fechners Vater hatte eine Filmkamera dabei – und hielt den Moment, der die Welt verändern sollte, fest. „Selbst als 14-Jähriger war das, was geschah, für mich ein gruseliger Anblick“, sagt der heute 67-jährige Joachim Fechner. Bis 1963 entstanden Aufnahmen der Grenzanlagen, an der Brunnenstraße, der Liesenstraße in Wedding, am Potsdamer Platz, in Kreuzberg. Auch in Frohnau filmten die Fechners.

Dann verschwand der Film im Kellerschrank. Jetzt, ein halbes Jahrhundert später, sind die insgesamt 15 Filmminuten Teil der Sammlung der „Stiftung Berliner Mauer“ geworden. Bild für Bild digitalisierten die Mitarbeiter den Schmalspurfilm, der nun für Besucher des Archivs zu sehen ist. Dort bewahrt die Stiftung auch Mauerreste, Reste ehemaliger Wohnhäuser, Fotos und Dokumente auf. Auf der Webseite der Gedenkstätte Berliner Mauer sind die Aufnahmen ebenfalls abrufbar. Manfred Wichmann, Archivleiter der Stiftung, erinnert sich an sein erstes Treffen mit Joachim Fechner. „Wie die meisten sagte er, gucken Sie sich das mal an, wahrscheinlich ist das gar nicht interessant für Sie.“

Private Aufnahmen sind Gold wert - vor allem von Spandau oder Frohnau

Doch private Aufnahmen sind Gold wert für ein Archiv – der Blickwinkel ist ein anderer als der offizieller Presseaufnahmen. „Es ist der Blick eines Bürgers“, sagt Wichmann. Wie sich die Menschen auf den Straßen versammeln. Wie sie anfangs noch über die Mauer auf die andere Seite gucken. Zu sehen sind auch das Zumauern von Fenstern in der Bernauer Straße, provisorische Grenzanlagen auf Hausdächern, winkende Grenzposten.

Fechner filmte nicht die prominenten Mauer-Orte wie Brandenburger Tor oder Checkpoint Charlie. Er drehte an Grenzanlagen weiter draußen, in Frohnau etwa. „Im Grunde sind da nur Felder zu sehen“, sagt Manfred Wichmann. „Doch gerade von Spandau, Neukölln, Zehlendorf, Reinickendorf, dort, wo die Mauer an Brandenburg grenzte, gibt es sehr wenige Fotos und schon gar keine Filmaufnahmen.“

Wer hat solche Schätze noch im Keller?

Etliche solcher Schätze vermutet Wichmann noch in Berliner Kellerschränken oder auf Dachböden. Um sie zu heben, wird er sich in den kommenden Jahren an verschiedene Heimat- und Fotografenvereine wenden. Doch auch von ganz allein erhält die Sammlung immer wieder private Schenkungen. „Viele Zeitzeugen sind jetzt Pensionäre oder Rentner und haben Zeit, ihre alten Fotos und Filme zu sichten.“ So war das auch bei Joachim Fechner. Drei Jahrzehnte schlummerten die Filme im Keller seiner Mutter; sie starb 1993. Fechner fand die Filme zwar gleich wieder, arbeitete aber fast ununterbrochen im Ausland. Die Filmrollen verschwanden wieder im Schrank.

Erst, als er vor drei Jahren in den Ruhestand ging und so nach Berlin zurückkehrte, kamen ihm die Dokumente wieder in den Sinn. Wenn er sie heute ansieht, wird seine Kindheit in der geteilten Stadt wieder lebendig. Wie er als Junge zwischen Elternhaus im Westen und der Tante väterlicherseits im Osten pendelte. Und ganz plötzlich war die Tante in Prenzlauer Berg abgeschnitten vom Rest der Welt. „Wie ich zwei Tage anstehen musste, um einen blöden Passierschein zu kriegen, damit ich mal für einen halben Tag zu ihr konnte.“

Für den persönlichen Hintergrund, vor dem die im Archiv gesammelten Aufnahmen entstanden sind, interessiert sich Manfred Wichmann durchaus. Auch für die des ehemaligen Grenzpolizisten, der heute noch in Berlin lebt und der Sammlung Aufnahmen aus Kreuzberg von 1959 bis 1961 überlassen hat. Oder die eines DDR-Flüchtlings, der sich unbewusst in Gefahr begab, als er 1971 von der ausgebrannten Ruine des einstigen Gaststättenbetriebs „Haus Vaterland“ aus die Brache am Potsdamer Platz filmte. Das Gebäude grenzte zwar an die zum Westen gehörende Köthener Straße, gehörte bis 1972 aber zu Ost-Berlin.

Geld wollte bisher niemand

Geld wolle für das Material keiner, sagt Manfred Wichmann. Das Wichtigste sei den Leuten, dass ihre Geschichte bewahrt wird.

Stiftung Berliner Mauer, Bernauer Str.111, Gesundbrunnen. Wer glaubt, er habe potentielles Material für die Sammlung, aber auch Gäste können sich bei Archivleiter Manfred Wichmann melden, E-Mail: sammlungen@stiftung-berliner-mauer.de. Die Filme von Joachim Fechner sind auch auf der Webseite www.berliner-mauer-gedenkstaette.de unter „Sammlungen“, Stichwort „Unbekannte Filmaufnahmen vom Mauerbau“, zu sehen. www.stiftung-berliner-mauer.de

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