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Ein Transparent gegen Wohnungsspekulationen hängt an einer Fassade eines Mietshauses in Berlin.

© Wolfgang Kumm/dpa

Berlin-Mitte: Der Wedding kämpft gegen explodierende Mieten

Im einstigen Arbeiterkiez schießen die Mieten in die Höhe – der Bezirk hält mit Neubau und Gebietsschutz dagegen.

Von wegen Arbeiterviertel – den „roten Wedding“ leisten sich heute Doppelverdiener mit gutem Job und ohne Kinder. An der vom Verkehrslärm umtosten Müllerstraße zahlen Mieter knapp 13 Euro je Quadratmeter – plus Betriebskosten, plus Nebenkosten. Den Kampf gegen die Verdrängung will der Bezirk trotzdem nicht aufgeben und prüft die Umwidmung weiterer Quartiere in Sanierungsgebiete.

„Wenn die Stadt für Menschen aller Einkommensschichten offen bleiben soll, dann muss sich Berlin selber helfen“, sagt Ephraim Gothe. Der Baustadtrat von Mitte war mal Staatssekretär für Wohnen beim Senat und hat als Sozialdemokrat einen kurzen Draht zum Regierenden Bürgermeister Michael Müller, der für Berlin und andere von Wohnungsnot geplagte Städte Zugeständnisse der großen Koalition herauszuhandeln versuchte. Das Ergebnis sei dank der Kappung umlegbarer Sanierungskosten vertretbar, findet Gothe, zumal die Wohnungsnot eben nur die Städte beschäftigt: Ungefähr doppelt so lang sei über das Abschießen von Wölfen diskutiert worden.

Kurzum, Berlin müsse sich selber helfen. Das aber sei angesichts der hoch gesteckten Ziele zur Erweiterung des landeseigenen Wohnungsbestandes auf 400.000 bis zum Jahr 2026 mit erheblichen Mühen verbunden. „Da klafft eine riesige Lücke“, sagt Gothe: Von den 10.000 zusätzlichen Wohnungen, die in Mitte erforderlich sind, seien zurzeit nur gut 2700 „projektiert“. Allein die Wohnungsbaugesellschaft Mitte müsste 4000 Wohnungen bauen oder dazukaufen – auf den Weg gebracht sei aber nur ein Viertel davon. Wegen der „Mondpreise“ sei es auch nicht einfach, Bestände zu kaufen. Gothe macht sich angesichts der Haushaltsüberschüsse trotzdem dafür stark, weil er mit einem weiteren Preisanstieg rechnet.

Gothe nimmt Katrin Lompscher in Schutz

Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) nimmt Gothe gegen die Kritik in Schutz, sie tue zu wenig für den Neubau. „Sehr gut“ laufe die Zusammenarbeit und die Ergebnisse würden in der kommenden Woche sichtbar werden, wenn Senat und Bezirke die Wohnungsneubau-Bündnisse vorstellen. Auf der Liste von Mitte wird das Haus der Statistik am Alexanderplatz stehen, möglicherweise die Hochgarage an der Beuth-Hochschule – falls Tegel wirklich geschlossen wird – und der Molkenmarkt. Die Suche nach weiteren Bauflächen ist Gothe zufolge mühsam, weil „zunehmend kleinteilig“.

Größere Gebiete wie die derzeit in Bau befindliche Europa-City an der Heidestraße oder die Lehrter Straße stünden eher nicht auf der Liste. Immerhin hat der Bezirk Flächen für 3000 kurzfristig zu genehmigende Wohnungen identifiziert, langfristig sogar für 15.000 Wohnungen.

Aber Pläne, die vom Bezirk genehmigt sind, sind deshalb noch lange nicht verwirklicht: Vor zwei Jahren stempelten die Bauämter Pläne für den Neubau von 3700 Wohnungen ab – aber nur 2000 davon wurden fertiggestellt. Gothe zufolge gibt es im Bezirk Pläne für 10.000 genehmigte, aber nicht realisierte Wohnungen.

Flüchtlingsquote bei Wohnungsneubauprojekten

Und weil es an Wohnungen mangelt, zahlen neue Mieter an der Müllerstraße 12,78 Euro je Quadratmeter nettokalt in einem Wohnhaus, wo Altmieter nur 3,83 Euro je Quadratmeter bezahlen. Die Hausbesitzer hatten das Objekt rechtzeitig in Eigentumswohnungen aufgeteilt und hebelten so das Vorkaufsrecht des Bezirks aus. Andernorts, wie an der Liebenwalder Straße 27 und an der Malplaquetstraße, konnte der Bezirk mit der Androhung des Vorkaufs „Abwendungsvereinbarungen“ mit Käufern vereinbaren. Diese sehen eine Begrenzung von Mieterhöhungen und Sanierungsumlagen vor.

Stoppen können die Bezirke das lukrative Geschäft mit der Umwandlung nicht, denn verboten sind sie nicht. Hauseigentümer müssen sich nur verpflichten, den Altmietern die Wohnungen sieben Jahre lang zum Kauf anzubieten. Diese Gesetzeslücke hätte der Bund schließen müssen, so Gothe, unterließ es aber.

Trotz der scharfen Wohnungsnot im Bezirk spricht sich Gothe außerdem für eine Art Flüchtlingsquote bei Wohnungsneubauprojekten aus. Acht Vorhaben hat Gothe herausgesucht mit 1120 Wohnungen, von denen 235 Wohnungen für Flüchtlinge reserviert werden sollen, damit diese aus den speziellen „Unterkünften“ heraus– und auf dem regulären Wohnungsmarkt unterkommen. Besonders alleinreisende Männer hat Gothe im Auge, die dichter als üblich untergebracht werden sollen: 1170 Menschen in 235 Wohnungen. So soll der „offene Punkt der Senatspolitik“, wo niemand für die Integration im Wohnungsmarkt zuständig sei, geschlossen werden.

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