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War das der Tatort? Am Sacrower See bei Potsdam wurde Dr. Mühe zuletzt gesehen.

© Carsten Holm

Berlin-Krimi von Oliver Hilmes: Das plötzliche Verschwinden des Dr. Mühe

In einer lauen Juninacht verschwand der Kreuzberger Hausarzt Doktor Erich Mühe. Oliver Hilmes hat aus Archivmaterial von 1932 eine spannende Geschichte gemacht.

Er war einfach weg. Von einem Tag zum nächsten. Gestern noch Kreuzberger Hausarzt mit vollem Wartezimmer und guten Einkünften, heute ein Vermisstenfall für die Berliner Polizei.

Doktor Erich Mühe, Praxis und große Wohnung an der Oranienstraße, Besitzer eines neuen „Adler“, verschwunden in einer lauen Juninacht des Jahres 1932, zuletzt gesehen am Sacrower See im schönen Südwesten Berlins, womöglich ertrunken, ermordet und verscharrt, was auch immer.

Oliver Hilmes, Verfasser historischer Sachbücher und Kriminalromane, hat aus einem Archivfund eine spannende Geschichte gemacht.

Erzählt wird sie über weite Teile aus der Sicht des Kriminalkommissars Ernst Keller. Den packt der Fall. Über Jahre nimmt er sich die Akte immer wieder vor, hält Kontakt zu Mühes Schwester. Sie hat sich mit dem ungeklärten Verschwinden ihres Bruders nie abgefunden, auch nicht nach dem Krieg (Oliver Hilmes: Das Verschwinden des Dr. Mühe. Eine Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 30er Jahre. Penguin Verlag, München 2020. 236 Seiten, 20 Euro).

Eine Geschichte voller Möglichkeiten. Oliver Hilmes hat sie aus Akten im Landesarchiv, historischem Wissen, Gerüchten und kriminalistischer Freude an der Spekulation zusammengefügt.

Auf 236 Seiten skizziert er eine Lebensgeschichte der Möglichkeiten: Hat Mühe sich abgesetzt, um einer öden Ehe zu entgehen und nicht länger der ungeliebte Finanzier einer selbstverliebten Gattin zu sein? Hat diese womöglich beim Ertrinken nachgeholfen? Oder haben die beiden einen Versicherungsbetrug geplant und eingeleitet? War der Doktor so bieder, wie er wirkte – die Gattin aber außerehelich mit ihrem Gesangslehrer unterwegs?

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Zeitlich ist Hilmes in der „Babylon Berlin“-Epoche unterwegs. Anders als Volker Kutscher, Erfinder von Kommissar Gereon Rath, schwelgt Hilmes nicht in historischen Situationen und Details, schreibt er hart an den Fakten lang. Und am Ende lässt er ein paar Fragen offen. So ist das manchmal in Büchern wie im Leben: Fragen bleiben ohne Antwort. Das schwächt den Spannungsbogen der Geschichte nicht, die am Ende kräftig an Dramatik zulegt.

Und doch hätte mancher sich so etwas wie einen letzten Blick des Verfassers auf die ganze Sache gewünscht. Um zu wissen, was nach so intensivem Aktenstudium seine persönliche Wahrheit geworden ist.

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