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Wilhelm Breitenbürger will nicht hinnehmen, wie sein Kiez aussieht.

© Kai-Uwe Heinrich

Berlin-Kreuzberg: Der Müll, die Stadt und der Kot

Er sieht Kippen, Flaschen, Tüten - und schreibt Brief um Brief: Wie ein Kreuzberger Arzt seit 30 Jahren gegen die Verwahrlosung seines Kiezes kämpft.

Wilhelm Breitenbürger kennt die Ecken. Die, in denen es besonders eklig ist. Die Reichenberger Straße 176 ist so eine Stelle. Ein Hauseingang in den hinteren Kulissen des Kottbusser Tors.

Stofffetzen liegen da, Papiere und Taschentücher, Kippen, Flaschen, Tüten in eingetrockneten Lachen von Bier und Urin, es stinkt nach Fäkalien. „Ich habe die BSR auf diese Stelle hingewiesen, ihnen Fotos geschickt. Die Antwort war, dass dafür die Hausverwaltung zuständig sei und ich mich an diese wenden soll“, sagt Breitenbürger. Aber Breitenbürger wohnt nicht in dem Haus, er kommt nur öfter dort vorbei, auf dem Weg nach Mitte oder in sein Lieblingscafé am Oranienplatz. „Sie schieben also mir die Verantwortung zu.“ Er schüttelt den Kopf.

Wilhelm Breitenbürger ist 68 Jahre alt und lebt seit 37 Jahren in der Nähe des Kottbusser Tors. Von Beruf ist er Arzt, Allgemeinmediziner mit Schwerpunkt Naturheilkunde. Er ist in Rente, arbeitet aber noch halbtags in seiner alten Praxis: „Das ist jetzt mein Hobby“, sagt er. Er nimmt sich Zeit für seine Patienten, eine halbe Stunde für jeden, das hat er schon immer so gemacht. Profitabel ist das nicht, aber Breitenbürger hat Prinzipien.

Prinzipien hat er auch, was die Sauberkeit seines Kiezes angeht. Seit über dreißig Jahren widmet er sich dem Kampf gegen den Müll. Der Kleinkram, das achtlos hingeworfene Papier, der zertretene Kaffeebecher, der ganz normale Dreck, der sich so schnell einschleicht, wenn sich niemand kümmert.

Manchmal spricht er Leute an, die etwas fallen lassen, manchmal räumt er selbst Müll von anderen weg. Vor allem aber schreibt er, wieder und wieder, an die Verantwortlichen.

Sein erster Brief in dieser Sache ging 1991 an Eberhard Diepgen, der damals Regierender Bürgermeister war. „Ich bitte Sie dringend um eine konzertierte Aktion wegen des zunehmenden Mülls auf zahlreichen Bürgersteigen und anderen Flächen dieser Stadt“, heißt es da, und er schlug auch gleich einen Maßnahmenkatalog vor: Mehr Müllbehälter, häufigere Reinigungen, Schulaktionen, eine Pressekampagne, Bußgelder.

Seitdem hat er sehr viele Briefe geschrieben und Vorschläge unterbreitet, zwischenzeitlich einen Stadtteilverein mitgegründet. Allein in den letzten drei Jahren hat er 140 Mails geschrieben. An die BSR, die BVG, das Ordnungsamt, an Stadträte, Senatsverwaltungen und andere Behörden. Auch die Online-Meldefunktion beim Ordnungsamt nutzt er oft. „Das funktioniert, nach ein paar Tagen hat jemand dann den Müll weggeräumt.“

Was treibt ihn an? „Ich wohne hier und möchte mich in meinem Umfeld wohlfühlen, ganz einfach“, sagt Breitenbürger.

„Das alles ist so lieblos, ich sehe wenig Engagement“

Eine seiner Mails stammt vom Juni dieses Jahres. „Insgesamt überwiegt seit einigen Jahren der Zerfall. Ich sehe, wie zerbrochene Fußwegplatten nicht mehr ersetzt werden, wie Bäume die Pflasterung des Fahrradwegs anheben und eine Buckelpiste entsteht. Ich sehe, wie Müll und Dreck an den Rändern liegen bleibt, wie die Straßen immer mehr Risse und Löcher bekommen und unzureichend saniert oder geflickt werden“, schreibt er an BSR, Bezirksamt und andere Verantwortliche. Er spricht von einem Versagen der Stadt: Die BSR reinige nicht gründlich an Stellen, an die man schwer heran kommt, die BVG lasse Taubendreck, wo er ist, statt auch mal den Hochdruckreiniger einzusetzen, Straßenbaufirmen arbeiteten schlampig, so dass bald wieder Risse entstehen. „Das alles ist so lieblos, ich sehe wenig Engagement“, schreibt er.

Wenig später wandte sich Breitenbürger erneut, konkret wegen der Fäkalienecke an der Reichenberger Straße, ans Bezirksamt und auch ans Gesundheitsamt. Ende September bekam er eine Antwort, berichtet Breitenbürger. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) habe angekündigt, dass sie die Angelegenheit an ihre Mitarbeiter weiterleitet. Auch vom Gesundheitsamt habe eine Mitarbeiterin bei ihm nachgefragt. „Doch jetzt sieht es an der Ecke dort noch immer genauso aus“, sagt er.

Und das Ordnungsamt, ist das nicht zuständig? Das Ordnungsamt! Breitenbürger atmet ein und wieder aus und spricht von einem „Treppenwitz der Geschichte“. Seit 2004 gibt es die Ordnungsämter und die dazugehörigen „Kiezstreifen“. Sie sollten, so hieß es damals, vor allem für Sauberkeit und Ordnung in Straßen, Parks und Grünanlagen sorgen. Doch tatsächlich gelingt es den Ordnungsamtsmitarbeitern nur selten, Müllsünder zu erwischen.

„Stattdessen geht es viel öfter um Falschparker und Radfahrer, die bei Rot über die Ampel fahren“, sagt Breitenbürger – und genau das hatte er nicht gewollt. Er sagt, dass die Kiezstreifen unter anderem auf sein Betreiben hin eingeführt worden seien und zeigt einen Briefwechsel aus dem Jahr 2002 mit dem damaligen Stadtentwicklungssenator Peter Strieder, in dem dieser bekräftigt, dass Breitenbürgers Vorschläge berücksichtigt würden.

„Ich würde mir wünschen, dass die Ordnungsamtsmitarbeiter in ziviler Kleidung mehrere Tage lang an Orten wie dem Kottbusser Tor oder dem Hermannplatz präsent wären“, sagt Breitenbürger. „Dann würden sie auch Müllverursacher erwischen, und die Leute würden merken, dass sie Müll nicht einfach so fallen lassen können.“

Breitenbürger geht es aber vor allem um den Kleinmüll. Im vergangenen Herbst hat er in seiner Straße Laub zusammengefegt, nicht vor seinem Haus, sondern vor einer Schule, für die ein Hausmeister zuständig wäre. Der Haufen liegt immer noch da.

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