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Alte Liebe. Der Schriftzug des ehemaligen Konzertsaals ist mit Graffiti beschmiert, die äußere Hülle steht noch. Drinnen wurde alles entsorgt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berlin-Kreuzberg: Der Festsaal Kreuzberg - die Brandruine am Kotti

Auch drei Jahre nach dem Feuer ist auf dem Gelände des Festsaals Kreuzberg nichts passiert. Die Betreiber hatten lange gehofft, den Club wiedereröffnen zu können – doch daraus wird wohl nichts.

Berlin in den Nullerjahren, Kottbusser Tor. Der Laden ist voll, Menschen tanzen und schwitzen. Ein Bandmitglied verlässt die Bühne, läuft die Treppen hoch, zur Galerie. Er kämpft sich durch die Menschen, steigt schließlich auf das Geländer – und springt. Jan „Monchi“ Gorkow, Frontmann der Band Feine Sahne Fischfilet, ein Berg von einem Mann, schmeißt sich in die Menge im Festsaal Kreuzberg – und sie fängt ihn auf und trägt ihn durch den Club.

Diese Szene ist eine der stärksten Erinnerungen, die Björn von Swieykowski an den Festsaal, an seinen Laden, hat. Er war einer der vier Betreiber. „Es war eines der ersten Konzerte von Feine Sahne Fischfilet überhaupt in Berlin. Das war ein riesiges Ding für uns am Anfang. Eine der ersten großen Sachen“, sagt von Swieykowski und starrt auf die rußschwarzen Wände.

Die Bühne ist verschwunden, die Galerie gleicht einem wackeligen Holzsteg, der jede Minute einbrechen könnte. Metallgerüste stützen die Decke, rot-weiß-rotes Absperrband flattert noch immer von einer Eisenstange. Daneben hängt ein vergessener Bauarbeiterhandschuh an einem Gerüst.

Vor drei Jahren zerstörte ein Feuer den Club vollständig und eine der beliebtesten Adressen im Berliner Nachtleben schmolz zu einem Klumpen Sondermüll zwischen Bars und Spätis zusammen. Heute steht am Kotti nur noch die äußere Hülle. Das verkohlte Innenleben ist längst entsorgt.

Das Gebäude des ehemaligen Festsaals-Kreuzberg gammelt an der Skalitzer Straße vor sich hin.
Das Gebäude des ehemaligen Festsaals-Kreuzberg gammelt an der Skalitzer Straße vor sich hin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Büro statt Club am Kotti

Auslöser für das Feuer war ein Kabelbrand kurz vor einem Konzert. Niemand wurde verletzt, aber der Festsaal hat sich nie erholt. Der Besitzer der Immobilie möchte dort ein Bürogebäude bauen, erzählt von Swieykowski. Bestätigen lässt sich das aber nicht, denn wer der Eigentümer ist, ist bis heute nicht öffentlich bekannt. Auch Swieykowski möchte ihn lieber nicht preisgeben, aus Sorge, den Streit noch weiter zu befeuern.

Von Swieykowski hatte lange gehofft, den Club doch noch wiedereröffnen zu können. „Am Anfang hatten wir noch seine Zusage, dass der Club wiederaufgebaut werden soll“, dieses Wort habe der Eigentümer laut von Swieykowski aber gebrochen. Mit einer Machbarkeitsstudie wollten die Betreiber dem Inhaber zeigen, dass Club und Büro beide Platz hätten auf dem Gelände am Kottbusser Tor.

Finanziert haben sie die Studie durch eine Crowdfunding-Kampagne. Die Betreiber nahmen 32.219 Euro ein. Davon ist heute fast alles weg – zwei Drittel des Geldes seien für die Machbarkeitsstudie ausgegeben worden. Das letzte Drittel heben die vier auf, um es an einem neuen Standort zu investieren. „Wir suchen nach einer neuen Location, aber bisher ohne Erfolg“, sagt von Swieykowski.

Trotzdem: Ein Bürogebäude steht drei Jahre nach dem Brand dort noch nicht, der Festsaal wurde nicht abgerissen, von außen sieht er, bis auf den Müll am Vorplatz, noch so aus wie früher.

Dass der Festsaal Kreuzberg durch ein Bürogebäude auf einem Kreuzberger Filetgrundstück ersetzt werden soll, traf auch beim Bezirk auf wenig Gegenliebe. Direkt nach dem Brand, im Oktober 2013, beschloss die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg, den Wiederaufbau zu unterstützen.

Abgeordnetenhaus unterstützte Wiederaufbau des Festsaals

Sieben Monate später folgte ein Brief aus dem Abgeordnetenhaus. Es war ein Appell an den Besitzer des Grundstücks, den Club wieder auszubauen. Der Festsaal Kreuzberg sei über neun Jahre hinweg, seit der Gründung 2004, zu „einer festen Größe und zu einer einzigartigen Bereicherung für die Kulturszene geworden“, hieß es dort. Unterzeichnet haben Vertreter aller damals im Parlament vertretenen Fraktionen: Katrin Schmidberger von den Grünen, Clara West von der SPD, Christian Goiny von der CDU, Philipp Magalski von den Piraten und Linken-Chef Klaus Lederer.

Absperrband flattert von den Deckenstützen.
Absperrband flattert von den Deckenstützen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wer heute vom Kotti aus die Skalitzer Straße zum Görlitzer Park hinunterläuft, bemerkt kaum noch etwas vom alten Festsaal. Graffiti verdecken den Namensschriftzug, bei einem Blick durch die Stäbe des Eisentores sieht man Holzbretter, Flaschen, Planen – einfach einen Haufen Müll, der achtlos von Vorbeilaufenden über die Mauer in den Innenhof geworfen wurde. Auch Junkies kommen oft hierher. Im Hinterhof gibt es Spuren, dass hier irgendjemand für kurze Zeit gewohnt haben könnte.

Björn von Swieykowski hingegen hat noch viele Geschichten im Kopf. Er erinnert sich an die Anfänge, als sie neben Punkrockkonzerten auch noch türkische Hochzeiten in dem Club feierten und dann der ganze Alkohol immer davor raus und danach wieder reingeräumt werden musste.

Große Nummern waren auch das Billy-Childish-Konzert 2006 oder die Kiezboxgala, die regelmäßig stattfand und den Laden immer füllte. Beim Erzählen schlendert er über den dreckigen Hof, hebt eine verrostete Spitzhacke auf und schließt sie im Raum des alten Kassenhäuschens ein. „Man kann halt nicht raus aus seiner Haut“, sagt er. „Als es den Club noch gab, bin ich auch oft vorher hergekommen und habe sauber gemacht.“

Persönliche Erinnerungen an den Festsaal-Kreuzberg

Küchentisch-Kitsch: Die meisten Konzerte vergessen wir entertainmentverwöhnten Berliner schnell wieder. Aha, ganz nett, danke, weiter. Was dann doch im Kopf und im Tanzbein bleibt, wandert – mit Herzen verziert – ins innere Konzerttagebuch. Für den Festsaal habe ich da gleich zwei Einträge.

Ob es Zufall war oder wirklich am Bookinggeschick der Macher lag, an der perfekten Saalgröße, der strategisch günstigen Nähe zu Spätis, Bars und Clubs für hinterher – keine Ahnung. Was zählt, ist die Erinnerung, zunächst an den Gig von Warpaint, einer Vier-Frauen-Combo aus Los Angeles, die Ende 2010 in Berlin spielte. Meine eigene Vier-Frauen-Combo stand entzückt im Publikum, ausnahmsweise klemmten wir uns ganz vorne ans Absperrgitter. Die Songs hatten wir in den Wochen davor angeheitert in WG-Küchen geschmettert, live waren wir (und die Band) dann sogar noch besser.

Großes Glücksgefühlskino, verschwitzte Gesichter, in Musik gegossene Freundschaft. Und dann etwas mehr als ein Jahr später wieder so ein Abend, nur anders: Tune-Yards, das Projekt der Soundkünstlerin Merrill Garbus, stand auf dem Programm und ich hatte eine Karte geschenkt bekommen. Es war Februar, es war kalt und düster. Drinnen aber, im Festsaal, war der Sommer ausgebrochen. Die Loops blühten, die Rhythmen erinnerten an Getrommel am Strand. Und der, der mir die Karte schenkte, stand neben mir und grinste breit. Ich habe es nicht vergessen. Von Angie Pohlers

Wir hier oben: Als eher klein gewachsener Mensch schätze ich Konzerthallen mit Emporen. Die im Festsaal Kreuzberg war besonders schön, weil man wegen der überschaubaren Größe des Raumes immer noch recht nah am Bühnengeschehen dran war. Und wenn ein groß gewachsener Super-Showman wie Maurice Summen von der Berliner Band Die Türen vorne rumtigerte, war der Abstand ohnehin schnell vergessen und die Leute in der oberen Etage sangen und tanzten genauso wie die Fans vor der Bühne.

Während der wunderbare amerikanische Singer-Songwriter Jonathan Richman 2012 zusammen mit dem Drummer Tommy Larkins im Festsaal auftrat, inspirierte mich die Empore allerdings zu einer kurzzeitigen Gewaltfantasie: Die beiden dauerquatschenden Besucherinnen, die vor mir am Holzgeländer standen, hätte ich gern ein Stockwerk tiefer befördert.

Mit freundlicher Ansprache war bei ihnen nämlich nicht viel zu holen. Beim Konzert von Cody Chesnutt stand ich zum Glück mal nicht oben, sondern ebenerdig – und damit mittendrin. Denn der Soul-Sänger sprang immer wieder von der Bühne, schüttelte Hände, sang mit den Leuten. Er und seine Band waren in Hochstimmung, die Liebe strömte nur so durch den Saal. Anschließend gab’s sogar Umarmungen für die Fans – aber nicht auf der Empore. Von Nadine Lange

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