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Mit Einschränkungen erlaubt: Für Tanzveranstaltungen in geschlossenen Räumen gilt die 2G-Regel.

© picture alliance/dpa

Berlin-Kolumne von Peter Wittkamp: „Das ist viel zu viel Freiheit für einfache Menschen“

Im Kampf gegen Covid-19 soll die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ enden – das könnte nicht nur ihn überfordern, befürchtet unser Kolumnist.

Jens Spahn, der ein oder andere wird sich an ihn erinnern, ist vieles: Gastgeber exklusiver Dinner, Inhaber einer lustigen Frisur, Immobilien-Mogul – aber auch unser Gesundheitsminister. Zumindest noch. Laschet hat es ja im September … sagen wir … ein wenig vermasselt.

Ein Schelm, wer da im Hintergrund lacht, aber so ist es nun mal. Jens Spahn auf jeden Fall in seiner Rolle als Gesundheitsminister und – aber das ist nur eine Vermutung – eventuell auch in seiner Rolle als Gastgeber ausladender Spendendinner – möchte derzeit etwas abschaffen, das ich ausnahmsweise mal kurz nachschlagen muss. Es ist nämlich ein sehr komplizierter Begriff. Ah ja, hier steht es im Google drin: Er möchte die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ beenden.

Klingt erst mal besser als „die ganze Corona-Scheiße“, meint aber so ungefähr dasselbe. Die Ampel-Menschen, die auf Spahn folgen, haben übrigens Ähnliches vor.

Ich finde das richtig und wichtig. Denn erstens kann so eine Notlage nicht ewig dauern, zweitens ist grob jeder vierte von fünf Menschen geimpft und drittens bedeutet die Abschaffung der epidemischen Lage ganz klar nicht, dass wir uns ab sofort mit Zungenküssen begrüßen und die Stangen im M29 ablecken sollen. Denn die Hygiene-Regeln werden weiter Bestand haben.

Auch wenn sie nicht mehr ganz so einfach durchzusetzen sind wie in einer solchen „epidemischen Lage“. Manche haben nun Angst, dass die Bevölkerung die Abschaffung der epidemischen Lage als „das Ende von Corona“ verstehen könnten.

Ich brauche keinen Freedom Day

Das halte ich für Unsinn. Erstens sind die Menschen nicht dumm. Zumindest viele. Zweitens fordern einige jetzt einen „Freedom Day“ wie in England, was darauf hindeutet, dass sie den Unterschied zwischen einem solchen und dem Ende der epidemischen Lage relativ genau kennen.

Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.
Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

Und drittens werden alle, die es nicht ganz verstanden haben, schon merken, was Sache ist, wenn sie versuchen, ohne Maske und ohne mindestens eines der zwei G ein Restaurant zu betreten. Wir müssen leider draußen bleiben. Das mit dem Freedom Day habe ich auch noch nicht so ganz verstanden.

Ich brauche keinen Freedom Day. Ehrlich gesagt, habe ich gefühlt schon wieder zu viele Freiheiten.

In den härtesten Tagen der Corona-Isolation konnte man alles auf den Ausnahmezustand schieben. Ich bring keines meiner Projekte voran? Corona! Ich schau acht Stunden am Tag Privatfernsehen? Corona! Das Kind isst zum siebten mal in Folge Nudeln mit Ketchup während ich ungefähr genau so häufig in den letzten zwei Monaten geduscht habe? Corona!

Vorbei die schöne Zeit. Seit einigen Monaten muss man wieder vorspielen, man sei ein funktionierender und vorbildlicher Teil der Gesellschaft.

Jemanden küssen, von dem man nur den Anfangsbuchstaben des Vornamens kennt

Gleichzeitig – das wiederum ist eigentlich ganz angenehm – kann man im Grunde alles wieder machen. Restaurants besuchen, in Bars sitzen, ins Kino gehen, Shoppen sowieso – das ist ja deutsches Grundrecht. Die zoologischen Gärten sind geöffnet, es werden wieder kleinere private Feiern veranstaltet, sogar Clubs dürfen besucht werden.

Dabei ist ja etwas, wo Menschen eng ohne Fenster zusammenstehen und ab und an sogar auch einmal jemanden küssen, von dem sie nur grob den Anfangsbuchstaben des Vornamens kennen, eine Situation, wo das Virus sich denkt: Vielen Dank für die Einladung, da tanze ich gerne mit!

Aber auch diese ganzen Rechte bringen ja auch Pflichten mit sich. Restaurantbesuche kosten Geld, ein Abend in der Bar führt häufig zu einem Kater, im Kino muss man sich den neuen Paw-Patrol-Film mit seinem Kind anschauen (gut, war gar nicht so schlecht), Shoppen wiederum kostet das Geld, das man bei dem Restaurantbesuch schon ausgegeben hat.

Es war nicht alles schlecht, damals

Private Feiern sind meist anstrengend und außerdem muss man eine Flasche Wein mitbringen, hat aber keine Ahnung, welcher im Edeka jetzt gut ist. Im Zoo lassen sich die Löwen ohnehin mal wieder nicht blicken und wenn man in einen Club geht, küsst man vielleicht sogar aus Versehen jemanden, von dem nur grob den Anfangsbuchstaben des Vornamen bekannt ist.

Und Geld kostet ein Clubbesuch auch. Und einen Kater gibt es obendrauf. Und kein Löwe weit und breit. Ein Clubbesuch ist im Grunde das Dümmste, was man überhaupt machen kann. Aber noch schlimmer: Es gibt niemanden, der es einem verbietet.

Das ist doch alles viel zu viel Freiheit für einfache Menschen wie mich. Wenn ich es mir recht überlege: Ich möchte die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ wieder zurück. Es war doch alles gar nicht so schlecht, damals.

Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat die Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und zu schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Im Tagesspiegel beleuchtet Peter Wittkamp alle 14 Tage ein Berliner Phänomen.

Peter Wittkamp

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