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Die Statue des Philosophen Immanuel Kant in Kaliningrad wurde besudelt.

© Imago/Itar-Tass

Berlin - Kaliningrad: Streit um Immanuel Kant

In seiner Geburtsstadt gibt es Ärger um den Philosophen. Das dortige Denkmal stammt aus Berlin.

Der große Denker Immanuel Kant hat seine Heimatstadt Königsberg, das heutige Kaliningrad, fast nie verlassen, geschweige denn, dass er je auch nur in die Nähe von Berlin gekommen wäre. Und doch müssen die ihn betreffenden Nachrichten verstören, die uns hier aus der ehemaligen ostpreußischen Residenzstadt erreichen. Wie berichtet, ist dort ein heftiger Streit entbrannt, ob der wohl berühmteste Sohn der Stadt als Namensgeber des örtlichen Flughafens geeignet sei. Nach einer ersten Internet-Umfrage, bei der Kant an der Spitze lag, regte sich Widerstand in offenbar nationalistischen Kreisen. Der Konflikt kochte derart hoch, das Kants Grab geschändet und sein Denkmal vor der nach ihm benannten Universität besudelt wurde. Das aber trifft auch Berlin, denn, zugespitzt gesagt: Ohne die Stadt an der Spree gäbe es dort nur einen leeren Sockel.

Das Denkmal Kants stammt ursprünglich von dem klassizistischen Bildhauer Christian Daniel Rauch, der lange in Berlin wirkte und auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof begraben liegt. Für sein am 18. Oktober 1864 aufgestelltes Denkmal hatte er eine Art künstlerisches Recycling betrieben, passte er dafür doch eine kleine Kant-Figur vom Sockel seines Reiterstandbilds Friedrichs des Großen Unter den Linden den Erfordernissen einer freistehenden Plastik an.

Das Grab des Philosophen Immanuel Kant in Kaliningrad, dem früheren Königsberg.
Das Grab des Philosophen Immanuel Kant in Kaliningrad, dem früheren Königsberg.

© Stringer/AFP

80 Jahre nach der Aufstellung musste der Bronze-Kant weichen. Die Rote Armee rückte an, und Marion Gräfin Dönhoff, die spätere Herausgeberin der „Zeit“, gewährte dem bronzenen Philosophen auf Bitten des Kunstwarts der Stadt Asyl im Park ihres Schlossen in Friedrichstein, östlich von Königsberg. Dort verschwand die Figur in den Kriegswirren.

Irgendwie verantwortlich fühlte sich die Gräfin dennoch, und als der ehemalige Direktor der Staatlichen Schlösser und Gärten, Martin Sperlich, in der Charlottenburger Gipsformerei eine Kant-Statuette fand, eine Art Fingerübung Rauchs zu dem Standbild, ließ sie einen Bronzeabguss anfertigen und brachte ihn 1989 als Geschenk ins ehemalige Königsberg, auf einer abenteuerlichen Fahrt in der Ente ihres Neffen.

Aber die Angelegenheit ließ ihr noch immer keine Ruhe. Über die „Zeit“ regte sie eine Spendenaktion an und beauftragte den Berliner Bildhauer Harald Haacke mit der Anfertigung einer Replik der originalen Skulptur. Dessen Spezialität: Rekonstruktion verlorengegangener Kunstwerke. Berlin verdankt ihm etwa das erneuerte Rathenau-Denkmal im Volkspark Rehberge: Die Nazis hatten das im Volksmund „Steuerschraube“ genannte Kunstwerk 1934 entfernen und 1941 einschmelzen lassen. Haacke hat auch den 1940 gleichfalls eingeschmolzenen Gänselieselbrunnen auf dem Nikolsburger Platz in Wilmersdorf neu geschaffen und die „Pietà“ von Käthe Kollwitz in der Neuen Wache auf die von Helmut Kohl gewünschte Größe gebracht.

Nach dem Vorbild der Statuette und der Sockelfigur fertigt Haacke, der 2004 starb, in seinem Lichterfelder Atelier erst eine Gipsfigur an, die er Punkt für Punkt um das Fünffache auf eine Höhe von 2,70 Meter vergrößerte. Dabei konnte er sich am originalen Sockel orientieren, der wiedergefunden worden war. Gegossen wurde der neue Kant bei der renommierten, damals noch in Friedenau ansässigen Bildgießerei Noack. Der seit 1992 wieder in Königsberg stehende Kant – eigentlich ist er ein Berliner.

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