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"Berlin, I Love You!": Ai Weiwei dreht Film in Berlin per Fernregie

Der regierungskritische chinesische Künstler Ai Weiwei dreht einen Film in Berlin. Die Anweisungen gibt er per Skype. Auch sein Sohn spielt mit. Der lebt hier – und kennt seinen Vater nicht anders.

Für den Episodenfilm „Berlin, I Love You“ folgen in diesem Jahr neun weitere Regisseure Fernregie. Während sein Sohn Ai Lao in Berlin Szenen dreht, ist dessen Vater Ai Weiwei nur zugeschaltet. Der Film „Berlin, I Love You“ soll auch die aktuelle Lebenssituation des Künstlers thematisieren, der China noch immer nicht verlassen darf.

Sonntagmorgen, 8 Uhr, Topographie des Terrors. „Ai WeiWei braucht noch eine halbe Stunde!“ Wo ist er denn, der Großmeister aus China? Nur einige Meter vom Martin-Gropius-Bau entfernt, wo im vergangenen Jahr die große Ausstellung in Abwesenheit des Künstlers eröffnet werden musste? Nein, natürlich nicht. Der Konzeptkünstler darf immer noch nicht ausreisen. Und trotzdem ist er gerade omnipräsent in Berlin.

Nicht einmal fünf Minuten entfernt vom Getümmel der Berlinale am Potsdamer Platz dreht Ai Weiwei einen Film. Während der iranische Regisseur Jafar Panahi als Reaktion auf das Berufsverbot gerade einen gesamten Wettbewerbsfilm versteckt in einem Taxi drehte, wählt Ai Weiwei ob seines Ausreiseverbots die Arbeit per Fernregie. Via Skype wird er dem Dreh von China aus zugeschaltet, Produzent Claus Clausen fungiert als Ersatzregisseur und führt die Arbeit in Berlin nach seinen Vorstellungen aus.

Doch Ai Weiwei ist noch nicht da, obwohl das Filmteam gerade mit der Vorbereitung fertig ist. „Das ist kein Problem, die Szene haben wir oft genug durchgesprochen“, sagt Clausen. „Und wenn’s ihm nicht gefällt, machen wir’s eben später noch mal.“ Am Set ist nun auf dem Kontrollbildschirm das Loch in der Mauer zu sehen, auf der anderen Seite, hinter Gitterstäben, ein kleiner Junge auf einem Fahrrad. Es ist das Double für Ai Lao, Ai Weiweis Sohn. Der Fünfjährige ist noch nicht selbst da, erst mittags wird er dazukommen.

Es ist der erste Spielfilm Ai Weiweis, elf Dokumentarfilme hat er bereits gedreht. Die Geschichte orientiert sich eng an seiner aktuellen Lebenssituation: Da sein Sohn in Berlin wohnt und der Künstler selbst nicht ausreisen darf, besteht die Beziehung der beiden im Moment vor allem aus Skype-Gesprächen. Im Film spielen Ai Weiwei und sein Sohn sich selbst, in einer Nebenrolle wird Til Schweiger als Magier zu sehen sein, der Vater und Sohn helfen will. Gedreht wird neben der Topographie des Terrors an weiteren historischen Orten der Stadt, unter anderem der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße.

Der Kurzfilm ist die erste von zehn Arbeiten für den Episodenfilm „Berlin, I Love You“. In einer Reihe mit „Paris, je t’aime“ (2006), „New York, I Love You“ (2009) und „Rio, Eu Te Amo“ (2014) werden in diesem Jahr neun weitere bekannte Regisseure die Hauptstadt porträtieren. Wie ist Clausen dabei gerade auf Ai Weiwei gekommen? „Die Mauer, die ehemals geteilte Stadt ist das Alleinstellungsmerkmal von Berlin“, sagt er. „Ich wollte das Thema der Kommunikation in Diktaturen mit einem Film über virtuell geführte Fernbeziehungen im digitalen Zeitalter verbinden.“

Die übergreifende Idee hinter diesem multimedialen Experiment sei ein Plädoyer für die Freiheit, erläutert Koproduzentin Edda Reiser am Set. Und weil das Projekt für Transparenz statt Zensur, Offenheit statt Abschottung stehen soll, werden die Dreharbeiten außerdem an allen drei Tagen live auf zwei Leinwände übertragen: Eine steht in China, die andere mitten auf dem Potsdamer Platz, neben dem S-Bahn-Eingang auf einer Art futuristischem Wohnmobil. Noch bis zum 9. Februar bleibt die Leinwand hier stehen.

Dort sind ein paar Stunden später Ai Weiwei und sein Sohn Ai Lao zu sehen, die eine gemeinsame Szene drehen. Das Gesicht des Jungen ist in Großaufnahme zu sehen, rechts unten der Künstler. Aus dem Off ist eine Stimme zu hören, die sich an Ai Lao richtet: „Smile, please smile in the camera!“ Das breite Lächeln scheint dem Fünfjährigen schwerzufallen.

Einige Passanten bleiben stehen. Ob sie wissen, was da auf der Leinwand zu sehen ist, worum es dabei geht? „Ich denke, das ist das Projekt eines zeitgenössischen Künstlers“, mutmaßt ein junger Italiener. „Sein Name fällt mir gerade nicht ein, aber bestimmt geht es auch darum, wie wir als Zuschauer live dabei sind.“ Ein älteres Paar aus Berlin dagegen weiß von dem Projekt und will dem Künstler durch das Zuschauen seine Solidarität zeigen: „Ist doch toll, dass er auf diese Weise doch am Potsdamer Platz zu sehen sein kann.“

Dem Set an der Topographie des Terrors wird Ai WeiWei an diesem Morgen nicht mehr zugeschaltet, das Team zieht zum nächsten Drehort weiter. Zur Freiheit im digitalen Zeitalter gehört es schließlich auch, nicht immer erreichbar sein zu müssen. Das gilt besonders für Künstler.

Julia Dettke

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