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Man nennt das eine Blechlawine und die rollt - zum Verdruss von Anrainern - morgens und abends stadtein- und dann wieder -auswärts.

© imago/Bernd Friedel

Berlin-Brandenburger Verkehrskonzeptlosigkeit: Jeder gegen jeden an der Pendlerfront

Seit dem Mauerfall ist klar: Berlin und Brandenburg müssen Verkehr gemeinsam planen. Passiert ist wenig, wie das Beispiel Frohnau/Glienicke zeigt. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Gerd Appenzeller

Eigentlich ist es ein Streit um Grundsatzfragen. Aber die Kontrahenten führen ihn mit jener Verbissenheit, die nur lokale Interessengruppe aufbringen. Auf den ersten Blick geht es um die Ruhe im idyllischen Hermsdorfer Waldseeviertel, im Reinickendorfer Grenzgebiet zur brandenburgischen Nachbargemeinde Glienicke.

Überrollt vom morgendlichen und abendlichen Berufsverkehr fühlen sich die einen und wollen mit Straßensperren für Ruhe sorgen. Gegen eine neue Grenze da, wo 28 Jahre lang die Mauer stand, zieht die andere Bürgerinitiative ins publizistische Feld. Auf beiden Seiten wird verbissen agitiert und argumentiert; stehen wohlsituierte Bildungsbürger bereit, ihre Sache als die einzig richtige durchzukämpfen.

Jetzt, nach den Schulferien, beginnt die entscheidende Phase. Dann soll eine offizielle Verkehrszählung die Basis für eine Entscheidung des Bezirksamtes pro oder contra Sperrung zweier Straßen für den Autoverkehr schaffen. Legitimiert dazu wäre die Verwaltung bereits jetzt durch einen entsprechenden Beschluss der Bezirksverordneten vom 13. Mai, der ohne Gegenstimmen – bei Enthaltung der SPD – gefallen war.

Tatsächlich aber steht der Konflikt im Waldseeviertel für viel mehr – ein Versagen der Regierungen von Brandenburg und Berlin. Beide ziehen seit mehr als 20 Jahren nicht die notwendigen Schlussfolgerungen aus der Entwicklung der Metropole und seines Umlandes.

Ein Blick auf die Fakten genügt: Bis zum Fall der Mauer gab es im Norden der Stadt keine Verbindung zwischen Ost und West. Die S-Bahn endete in Frohnau. Die Bundesstraße 96 war zwischen Hermsdorf und Glienicke unterbrochen. Die West-Berliner orientierten sich Richtung Zentrum, die Brandenburger wegen des großen Stahlwerks nach Hennigsdorf oder Richtung Oranienburg.

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In den Brandenburger Gemeinden Glienicke, Birkenwerder, Hohen Neuendorf sowie den Gemeinden um Schildow und Schönfließ lebten 1990 insgesamt 29 998 Menschen – die aber nicht nach West-Berlin reisen durften und daher keine Straße verstopften. Heute leben in der gleichen Raumschaft mehr als doppelt so viele Menschen wie vor 30 Jahren – und fast alle orientieren sich beruflich oder schulisch Richtung Berlin.

Das sind die Menschen, die jeden Morgen und jeden Abend in die Stadt und zurück pendeln – entweder mit einer S-Bahn, die zwischen Oranienburg und Frohnau weitgehend eingleisig und damit nur alle 20 Minuten verkehrt. Oder sie fahren eben auf der Bundesstraße.

Das S-Bahngleis wird 2035 kommen, 45 Jahre nach Mauerfall

Was geschehen müsste, liegt also auf der Hand. Massiver Ausbau und Umstrukturierung der Tarife des ÖPNV, Schaffung von Park-and-Ride-Parkplätzen an den Brandenburger S-Bahnhöfen. Warum wird das, wenn überhaupt, nur schleppend umgesetzt? Vielleicht steht das Denken in Legislaturperioden zu stark im Vordergrund des Handelns. Vielleicht fehlt in den Umlandgemeinden der Wille, oder es mangelt einfach auch am länderübergreifenden, politischen Instrumentarium zur Koordinierung. Eine solche Einrichtung fordert zum Beispiel die Bürger-Stiftung Zukunft Berlin seit langem. Heute schon ist absehbar, dass der Bau eines durchgehenden zweiten S-Bahngleises zwischen Frohnau und Oranienburg oder über Heiligensee nach Hennigsdorf erst bis 2035 kommt. Dann werden seit dem Fall der Mauer 45 lange Jahre vergangen sein.

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