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Blockiert. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Bundesländern und ihren Regierungschefs, Michael Müller und Dietmar Woidke (beide SPD) war schon mal besser.

© dpa

Berlin-Brandenburg: Landessozialgericht droht Führungslosigkeit

Die Spitze des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg bleibt weiterhin unbesetzt – weil sich die Politik nicht einigen kann.

Die Justiz – die dritte Gewalt im Staate – sieht sich in Berlin und Brandenburg von der Politik düpiert und ignoriert. Der Grund: Dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Sitz in Potsdam droht Führungslosigkeit. Grund ist der Stopp des Besetzungsverfahrens für den Präsidentenposten durch Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD). Der Präsidentenposten wird wohl drei Jahre unbesetzt bleiben. Zugleich geht der Vizepräsident Herbert Oesterle im Herbst in den Ruhestand, die Stelle ist überdies von Brandenburgs Justizminister Helmuth Markov (Linke) noch nicht ausgeschrieben. Das Landessozialgericht stünde damit ohne Führung da. Die bisherige Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg bei den gemeinsamen Landesgerichten scheint damit aus dem Ruder zu laufen.

Wie berichtet fand die für Anfang März im Gemeinsamen Richterwahlausschuss der beiden Bundesländer vorgesehene Wahl eines neuen Präsidenten durch Müllers Veto nicht statt. Damit hob der Regierende Bürgermeister eine Festlegung seines Justizsenators Thomas Heilmann (CDU) auf, obwohl selbst Brandenburgs rot-rote Landesregierung schon im Januar nach einem zwei Jahre dauernden Verfahren der neuen Personalie – einem Bundessozialrichter – zugestimmt hatte.

Müller hatte Personalentscheidung gestoppt

In einem Schreiben an Müller beklagt nun der Richterrat des Landessozialgerichtes die Verzögerungen und die fehlende Führung an der Gerichtsspitze in einer „Zeit mit erheblicher personeller Unterbesetzung bei gleichzeitig seit Jahren andauernder extrem hoher Arbeitsbelastung“.

Schon jetzt könne das Landessozialgericht wegen nicht besetzter Richterstellen „seiner verfassungsgemäßen Aufgabe, effektiven und zeitnahen Rechtsschutz zu gewähren“, nicht mehr gerecht werden, heißt es in den Schreiben. Im bundesweiten Vergleich liege das Gericht bei der Verfahrensdauer „im hinteren Bereich“. Der Richterrat appelliert an Müller, vor der Abgeordnetenhauswahl im September das Besetzungsverfahren für die Stelle des Präsidenten abzuschließen. Das Landessozialgericht ist die nächsthöhere Instanz für Verfahren am größten Sozialgericht Deutschlands, dem Berliner Sozialgericht.

Müller hatte er den Fall an sich gezogen und die Personalentscheidung gestoppt. Statt selber dem Richterrat zu antworten, ließ Müller Justizsenator Heilmann dies erledigen. Heilmann antwortete in einem Schreiben vom 7. März, dass er die Ansicht des Richterrates teile. Und er bestätigt, was ohnehin bekannt ist. Nämlich, dass Heilmann die Personalie seinen Kabinettskollegen im Senat zur Entscheidung vorlegte, Müller aber weiteren Prüfungsbedarf sieht und deshalb Akten anforderte. Doch Heilmann ist nicht ganz unschuldig an der Misere.

Juristen sprechen von einer Ausrede

Die Vorgeschichte: Ende 2013 ging Gerichtspräsidentin Monika Paulat in Pension. Aus dem ersten Bewerbungsverfahren um die Nachfolge ging Sabine Schudoma, Präsidentin des Sozialgerichts Berlin, als Favoritin hervor. Brandenburg stimmte zu. Doch Berlins Justizsenator Heilmann – so heißt es – sperrte sich, weil Schudoma als SPD-nah gilt. 2012 war Schudoma auf Vorschlag der Sozialdemokraten zur Präsidentin des Berliner Verfassungsgerichts gewählt worden.

Anfang 2015 teilte Heilmann der Richterschaft mit, dass er sein Einvernehmen für Schudoma verweigert. Obwohl das Verfahren beendet war, setzte er es erneut in Gang. Und er brachte eine neue Bewerbung ins Spiel: die von Bundessozialrichter Martin Karl Ernst Estelmann, angeblich wegen seiner CDU-Nähe, wie Justizkreise, Brandenburgs Landesregierung und die SPD Heilmann vorwarfen.

Aus dem Umfeld des Senators hieß es damals, Heilmann habe seinerzeit das Verfahren gerettet, weil wegen Verfahrensfehlern in Brandenburg Konkurrentenklagen gedroht hätten. Mit dem damaligen Verfahren befasste Juristen sprechen von einer Ausrede und von Personalpolitik nach Parteibuch. Und nun widersetzte sich Müller Heilmanns Personalie.

Inkompetenz und Ämterpatronage

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Estelmann dem Vernehmen nach im Richterwahlausschuss möglicherweise gescheitert wäre. Den Senat in Berlin und der Landesregierung in Potsdam erreichten Anrufe aus anderen Bundesländern, in denen vor einer Berufung Estelmanns gewarnt wurde.

Wie auch immer: Die sonst selbstbewusste Richterschaft sieht sich als Spielball der Politik in Berlin und Brandenburg. Von einer katastrophalen Situation ist bei den Sozialrichtern die Rede, von Inkompetenz und von Ämterpatronage. Am Landessozialgericht wird fest damit gerechnet, dass das Gericht führungslos wird. Und es werden Vergleiche gezogen: Wie wäre es, wenn ein Ministerium über Jahre ohne Leitung durch einen Minister und ohne einen Staatssekretär wäre?

Tatsächlich nimmt Brandenburgs Landesregierung Warnungen aus dem Landessozialgericht kaum noch ernst und lässt Vorwürfe einfach an sich abperlen – so als spiele die Justiz gar keine Rolle. Zumal die Sozialgerichtsbarkeit der Linken erwartungsgemäß am Herzen liegen sollte.

Am Landessozialgericht ist von einem Skandal die Rede

Doch das Gegenteil ist unter dem Linken-Politiker Markov als Justizminister offenbar der Fall. Dass Markov sich in dem Verfassungsressort viel zu wenig um die Justiz kümmere, aber vornehmlich um Verbraucherschutz und Europapolitik, und sich obendrein immer noch wie ein Finanzminister geriere – diese Kritik ist schon lange zu hören.

Welche konkreten Folgen das hat, zeigt dieses Beispiel: Da kann etwa der Vizepräsident des Landessozialgerichtes Anfang Februar in einer Pressemitteilung über „rechtsstaatswidrige Zustände“ bei den Verfahren klagen, was am Ende jeden Bürger trifft, weil der grundgesetzlich zugesicherte zeitnahe Rechtsschutz nicht gewährt werden kann, die Verfahren viel zu lange dauern.

Doch das von Markov geführte Justizressort reagierte mit keinem Wort auf die schweren Vorwürfe. Am Landessozialgericht ist von einem Skandal die Rede: Nur eine starke Führung des Gerichts könnte dem Ministerium zumindest Paroli bieten, aber genau solch eine Führung werde dem Gericht seit Anfang 2014 versagt.

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