zum Hauptinhalt
Fahrgäste am U-Bahnhof Neukölln: die meisten mit Maske.

© Christoph Soeder/dpa

Berlin als Corona-Hotspot: Die anderen trauen uns nichts mehr zu – zeigen wir, was wir können

Merkel, Söder, Spahn: Alle hacken auf Berlin herum, der vermeintlichen Hauptstadt des Corona-Laissez-faire. Was jetzt zu tun ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lars von Törne

Moment – warum jetzt wir? Was haben die da draußen gegen uns Berliner? Und was soll das heißen, Risikogebiet? Tatsächlich wirkt es wie eine Art Strafe ohne eigenes Verschulden, dass andere Bundesländer die Corona-Zahlen der Berliner Bezirke durchsehen und sich dann anmaßen, zu entscheiden, wen sie reinlassen wollen und wen nicht.

Denn wahr ist ja, einerseits: Die überwiegende Zahl der Berliner hält sich an die Regeln. In Bussen, Tram, U- und S-Bahnen sieht man zu bürgerlichen Zeiten kaum einen Maskenverweigerer. Selbst düstere Typen, denen man ohnehin aus dem Weg gehen würde, halten sich ans Gebot.

Und auch in Pizzerien, Gasthäusern und Sternerestaurants folgen Gäste und Personal überwiegend den Vorschriften, die in diesem Bereich allerdings zwangsläufig etwas unlogisch und inkonsequent sind – aber immer noch besser als ein kompletter Lockdown.

Einerseits. Andererseits haben die vor allem in der Berliner Innenstadt steigenden Zahlen natürlich einen Grund: Die Regeln werden doch massiv verletzt, vor allem nach Eintritt der Dunkelheit, in Bars, Kneipen, Parkanlagen. Der nahezu einmütige Konsens der harten Lockdown-Zeit im Frühjahr, der auf Vorsicht und Unwissen basierte, ist vielfältigem Laissez-faire gewichen, einer Situation, in der sich jeder seine Regeln nach Lust und Laune selbst gestaltet.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Zwischen reiner Paranoia und totaler Ignoranz finden wir jedes erdenkliche Verhalten, und vieles davon ist ja zumindest grundsätzlich nachvollziehbar: Junge Menschen sind nun einmal weniger gefährdet, und nicht wenige von ihnen begründen ihre Lockerheit mit einer egozentrischen Abwägung zwischen Risiko und Spaß, die dann zugunsten des Spaßes entschieden wird.

Berlin, die deutsche Vergnügungshauptstadt, ist dafür anfälliger als andere deutsche Regionen, in denen sich Infektionsausbrüche oft auf ein Einzelereignis zurückführen und leichter bekämpfen lassen.

Jetzt rächen sich die Defizite der amtlichen Kommunikation, die lange auf Angstmache gesetzt hat

Natürlich bleiben auch die Argumente der Corona-Leugner nicht ohne Resonanz. Die meisten beruhen auf Pseudowissenschaft, Verschwörungsglauben oder antistaatlichen Affekten. Aber dennoch rächen sich hier Defizite der amtlichen Kommunikation, die lange gezielt – und aus nicht völlig abwegigen Gründen – auf maximale Lautstärke und dezidierte Angstmache gesetzt hat.

[Corona-Zahlen steigen rasant: Diese Regeln gelten in Berlin ab Samstag.]

Denn wenn täglich an höchster Stelle der Untergang verkündet wird und doch nicht eintritt, dann unterminiert das die Bereitschaft, massive Einschränkungen des Persönlichkeitsrechts länger zu akzeptieren. Und immer noch stehen die Infektionszahlen in der Kommunikation für sich, ohne dass auseinander gehalten wird, wie viele der Infizierten ansteckend, symptomfrei, krank oder gar in Lebensgefahr sind.

Das eigentlich Besondere an Berlin: Die anderen trauen dem Senat nicht zu, mit dem Problem fertig zu werden

Das ist kein spezifisches Berliner Problem. Spezifisch berlinisch ist hingegen, dass die anderen Bundesländer und die Bundesregierung dem Senat kaum zutrauen, mit dem Problem fertig zu werden – Jens Spahn hat bekanntlich gerade auf den Tisch gehauen. Das betrifft weniger die realen Maßnahmen als den Eindruck, dass eine so schwache, an allen Ecken kapitulierende Stadtregierung generell nicht die Autorität besitze, solchen Herausforderungen zu begegnen.

[Behalten Sie den Überblick über die Corona-Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Der Senat musste daher jetzt handeln, das immerhin hat er erkannt. Es geht in erster Linie darum, Spielräume einzuengen und Gelegenheiten zum Verstoß zu verringern. Klar ist aber auch: Ordnungsämter und Polizei können, wenn man sie denn zum Jagen trägt, zwar eine gewisse Drohkulisse aufbauen, aber weder Alkoholverbote noch Sperrstunden flächendeckend durchsetzen.

Am Ende hängt also alles an uns selbst: Wir müssen solidarisch helfen, wenn jemand in der Bahn einen Maskenverweigerer anspricht, müssen notwendige und überflüssige Wege auseinanderhalten und mal scharf nachdenken, was so faszinierend daran ist, nachts betrunken mit der Staatsmacht Katz und Maus zu spielen.

Darum geht es jetzt. Sonst kommt der Lockdown – und schadet jedem Berliner.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false