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Versorgung und Konsum: Mehr Menschen und noch mehr Shoppingcenter – ist das die Zukunft? Oder erleben wir eine Revolution des Konsums zwischen Online-Supermärkten, spezialisierten Läden oder der Rückkehr zur lokalen Selbstversorgung und Urban Farming?

© dpa

Berlin 2030 - Unsere Serie blickt in die Zukunft (7): Erhältlich im Einzelwandel

Das Online-Shopping verändert bereits Berlins Einkaufsstraßen und diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Kleine Läden müssen umdenken, um nicht pleite zu gehen und Einkaufscenter auf größere Vernetzung setzen.

2030 dürfte klar sein, ob sich der prunkvolle Bau am Leipziger Platz gelohnt hat. Derzeit drehen sich noch die Kräne, es wird gebohrt und geschraubt an dem Komplex, der aus mehr als einem Dutzend Gebäuden besteht. 2014 soll das „Leipziger Platz Quartier“ fertig und dann mit 76 000 Quadratmetern Verkaufsfläche das größte Shoppingcenter der Stadt sein. Nur einen Steinwurf entfernt liegt schon ein großes Einkaufszentrum, die Potsdamer Platz Arkaden. Es wird vom Hamburger Unternehmen ECE betrieben – wie etwa auch das Gesundbrunnen-Center und die Hallen am Borsigturm. ECE-Chef Alexander Otto, Sohn des Versandhaus-Gründers, stört die neue Konkurrenz nicht: „Die Potsdamer Platz Arkaden werden profitieren, weil sich künftig noch mehr Menschen für diese Gegend entscheiden werden“, sagt er.

"Das Shoppingcenter hat Zukunft, weil es flexibel ist und auf die neuesten Trends reagieren kann", sagt Alexander Otto. Er ist der Vorstandsvorsitzende des Hamburger Unternehmens ECE.
"Das Shoppingcenter hat Zukunft, weil es flexibel ist und auf die neuesten Trends reagieren kann", sagt Alexander Otto. Er ist der Vorstandsvorsitzende des Hamburger Unternehmens ECE.

© Promo/ECE

Schon heute liegen rund 15 Prozent der 4,5 Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche Berlins in Shoppingcentern. Mit der steigenden Einwohnerzahl – bis 2030 sollen 250 000 Menschen hinzukommen – sollen auch die Flächen im Einzelhandel weiter zunehmen, dem Handelsverband Deutschland (HDE) zufolge im Schnitt um 50 000 Quadratmeter im Jahr. Die traditionellen Einkaufsstraßen wie die Karl-Marx-Straße in Neukölln oder die Rheinstraße in Schöneberg sind unter Druck, bei vielen dort ansässigen Einzelhändlern sinken die Umsätze. „Bewohnerwachstum bedeutet nicht unbedingt einen nennenswerten Zuwachs an Kaufkraft“, erklärt Elke Plate, die das Projekt „Berlin 2030“ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung betreut. Die Flächen würden wachsen, die Produktivität aber nehme ab. Daher will die Senatsverwaltung die städtischen Lagen stärken, etwa durch eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität in den Einkaufsmeilen (siehe Kasten). Die Baustellen sind zahlreich: „Berlin ist ein Sonderfall im positiven Sinne, weil es so viele verschiedene Zentren hat“, sagt Plate. Und das soll nach Wunsch der Senatsverwaltung auch so bleiben.

"Einzelhändler gehen pleite und der Handel wird sich in den privaten Raum verlagern", sagt Günter Faltin. Er ist Professor an der Freien Universität Berlin, leitet dort den Arbeitsbereich für Entrepreneurship und ist Unternehmensgründer.
"Einzelhändler gehen pleite und der Handel wird sich in den privaten Raum verlagern", sagt Günter Faltin. Er ist Professor an der Freien Universität Berlin, leitet dort den Arbeitsbereich für Entrepreneurship und ist Unternehmensgründer.

© Thilo Rückeis

Dass es gelingt, die Einzelhandelsflächen von Steglitz bis Marzahn zu erhalten, bezweifelt der Ökonom Günter Faltin, der den Arbeitsbereich für Entrepreneurship der Freien Universität Berlin leitet. „Wir brauchen weniger Handelsflächen“, sagt er. Gerade das Bevölkerungswachstum mache die städtischen Räume noch wertvoller. Einzelhandelsflächen – egal ob in Shoppingcentern oder Straßen – seien aber nach Ladenschluss toter Raum. „Stattdessen könnten wir Wohnraum an diesen Orten schaffen, Gastronomie, Kitas oder andere Treffpunkte.“ Faltin glaubt, dass der stationäre Einzelhandel ausgedient hat. „Miete, Strom, Personal – all das wird immer teurer, bei langfristig stagnierenden Einzelhandelsumsätzen“, erklärt er. Zugleich würde die Infrastruktur beim Online-Shopping immer günstiger und effizienter. „Im Laden muss ich einen Verkäufer bezahlen, der über Produkte informiert, im Netz kann ich unbegrenzte Mengen an Informationen zu minimalen Kosten bereitstellen“, sagt Faltin. Die Internetseiten der Zukunft würden mit virtuellen Assistenten und Anproberäumen arbeiten.

Dass nicht alles im Netz verkauft werden kann, räumt auch Faltin ein. „Wir werden künftig das online bestellen, was genormt ist – Bücher, Waschmaschinen, Fahrräder“, sagt er. Stationären Einzelhändlern, die diese Produkte verkaufen, gibt der Ökonom langfristig keine Chance: „Sie werden pleitegehen.“ Kleidung dagegen – „auch wenn wir mit Zalando einen Pionier in der Stadt haben“ – sei im Online-Verkauf noch höchst ineffizient. Weil die Sachen anprobiert werden müssten, würden 80 Prozent wieder zurückgeschickt. Derzeit fahren dem HDE zufolge 4000 Laster rund um die Uhr durch Deutschland, um Retouren zu transportieren. Faltin tüftelt auch für sein eigenes Unternehmen „Teekampagne“ an der Optimierung von Bestellsystemen. „2030 könnte das Bestellen ein soziales Ereignis sein, bei dem die Menschen sich treffen und gemeinsam Produkte ausprobieren“, sagt Faltin. Seiner Meinung nach könnte sich der Handel im nächsten Jahrzehnt in den privaten Raum verlagern – oder in kleine Ladenlokale in Wohngebieten. Große Zukunft sieht der Ökonom auch im Tauschen und Teilen. „Die Ressourcen werden knapper, daher werden Flohmärkte und Tauschbörsen im Netz in Zukunft boomen.“

„Der eine kann Obstbäume pflanzen, ein anderer auf seinem Dachgarten Bienen züchten“

Zudem könne man städtische Räume gemeinsam nutzen. „Der eine kann Obstbäume pflanzen, ein anderer auf seinem Dachgarten Bienen züchten“, sagt Faltin und kommt damit der Vision von Sigrid Niemer sehr nahe. 2030 könnte ein Drittel von Berlins Häusern begrünt sein, indem man brachliegende Flachdächer und Fassaden nutzt, hofft sie. Niemer ist eine der Mitbegründerinnen der Ufa-Fabrik in Tempelhof. Dort leben und arbeiten rund 200 Menschen in einer Nachhaltigkeits-Enklave. Auf Gründächern wachsen Kräuter und Pflanzen, die wiederum Bienen versorgen. Das Regenwasser wird gesammelt und selbst aufbereitet, zugleich produzieren Solaranlagen und das Blockheizkraftwerk mehr Strom, als gebraucht wird. In einer kleinen Biobäckerei verkauft die Ufa-Fabrik, in der einst Filme gemacht wurden, eigenes Brot, auch einen Flohmarkt gibt es. Das Projekt ist also Grünfläche, Wasserwerk, Energieversorger, Lebensmittelproduzent, Kulturzentrum und Tauschbörse in einem. „Dieses Konzept könnte an vielen Orten der Stadt angewendet werden“, sagt Niemer. Sie glaubt, dass Nachhaltigkeit für die Menschen in den nächsten Jahren immer wichtiger werden wird. „Die Verbraucher wollen wissen, wo die Dinge herkommen, die sie kaufen, sie suchen nach Vertrauen in der Entfremdung der Globalisierung“.

Nils Busch-Petersen, der dem Handelsverband Berlin-Brandenburg vorsteht, glaubt allen Negativszenarien zum Trotz an die heutigen Einzelhandelsstrukturen – und besonders an die kleinen Läden. „Die Einzelhändler wird es immer geben, auch weil von ihnen die Innovationen kommen“, sagt er, und verweist auf die Aldi-Brüder, die mit einem kleinen Krämerladen begonnen hatten. Doch, so schränkt der Handelsexperte ein, es werde einen „sich dramatisch verschärfenden Ausleseprozess“ durch das Wachstum des Online-Handels geben. „2030 werden wir geschätzt ein Fünftel der Handelsflächen der Stadt – rund 1,2 Millionen Quadratmeter Fläche – nicht mehr brauchen, weil die Umsätze ins Netz wandern“, sagt Busch-Petersen. Dabei werde es die inhabergeführten Geschäfte härter treffen als die effizient organisierten Shoppingcenter.

Eine Stadt mit nur einem Minimum an stationärem Handel, wie Faltin sie propagiert, kann Busch-Petersen sich nicht vorstellen. Stattdessen müssten die Händler umdenken. „Die Läden müssen einen Mix aus Waren und Service anbieten“, sagt er. „Schon heute will der Kunde keine Bohrmaschine mehr kaufen, er will das Loch in der Wand.“ Gerade deshalb glaubt ECE-Chef Alexander Otto, dass die Einkaufszentren gut für die Zukunft gerüstet sind: „Das Shoppingcenter hat langfristig eine Zukunft, weil es hochflexibel ist und immer auf die neuesten Trends reagieren kann“, sagt er. Derzeit erprobe man etwa, wie die Online-Welt und die Center besser vernetzt werden könnten. Um die geschätzt 700 000 Quadratmeter Verkaufsflächen für den Handel, die laut HDE in der Stadt bis 2030 hinzukommen sollen, dürfte es also einen Verteilungskampf geben – denn auch der Bedarf nach Flächen für Wohnungen, Büros und soziale Einrichtungen wird in den nächsten Jahren massiv steigen.

Die Hauptstadtregion, ihre Chancen, ihre Herausforderungen - Unsere Serie "Berlin 2030" blickt in die Zukunft.

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