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Außerdem verloren: 193 Patronen, 708 Reizstoffsprühgeräte, 78 Schlagstöcke, 231 Mehrzweckstöcke und 26 Schutzwesten.

© dpa

Bereits zehn Schusswaffen verschwunden: Berliner Polizei hat erneut eine Pistole verloren

Innenstaatssekretär Akmann sieht eine „abstrakte Gefahr“ durch verlorene oder gestohlene Polizeiwaffen. Grüne und Linke fordern mehr Transparenz.

Seit 2010 sind bei der Berliner Polizei zehn Schusswaffen verloren gegangen. Im jüngsten Fall ist im August 2019 eine Dienstpistole Sig Sauer P6 an der Polizeiakademie als vermisst gemeldet worden. Und eine 2010 gestohlene Dienstpistole wurde nun bei einer Flughafen-Kontrolle gefunden.  Das geht aus Antworten von Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) auf Anfragen der Grünen-Abgeordneten June Tomiak und des Linke-Innenpolitikers Niklas Schrader hervor.

Zu der verloren gegangenen Pistole an der Polizeiakademie wollte die Innenverwaltung keine näheren Auskünfte machen und begründete dies mit laufenden Ermittlungsverfahren. Erst im November 2018 war beim Spezialeinsatzkommando (SEK) eine Maschinenpistole MP7 samt 120 Patronen als vermisst gemeldet worden. Der Verlust fiel durch Zufall bei einer „anlassunabhängigen Bestandsprüfung“ auf. Trotz umfangreicher Suche und Befragung von Beamten blieb die Waffe verschwunden.

Als Konsequenz daraus soll eine neue Arbeitsgruppe Vorschläge machen, wie die Dienstwaffen besser und sicherer aufbewahrt werden können. Die MP7 war nicht einem Beamte zugeordnet, sondern eine sogenannte Gruppenwaffe, die allen Mitgliedern eines SEK-Trupps zugänglich war. Bislang wurde beim SEK nicht dokumentiert, welche Waffen mitgenommen und zurückgegeben wurden. Die Sicherungsmaßnahmen seien nun angepasst worden, um einen Waffenverlust schneller zu erkennen, hieß es.

Die Ermittlungen wegen Unterschlagung zum Verlust der MP7 sind laut Akmann bereits eingestellt worden, da kein Täter ermittelt werden konnte. Es gebe keine Anhaltspunkte für erfolgversprechende Ermittlungen. Allerdings bestehe durch den Verlust der Waffe eine „abstrakte Gefahr“.

Nur vier von zehn verschwundenen Schusswaffen wurden wiedergefunden

Welche Wege verschwundene Waffen nehmen, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2010. Damals war bei einem Wohnungseinbruch bei einem Mitarbeiter des Zentralen Objektschutzes eine P6 gestohlen worden. Nach neun Jahren tauchte sie nun wieder auf: Bei einer Personen- und Gepäckkontrolle am Flughafen Hamburg am 3. Oktober 2019 sei die vermisste Waffe gefunden worden. „Nähere Umstände sind noch nicht bekannt. Die Waffe befindet sich in behördlichem Gewahrsam“, teilte Akmann mit. Damit sind von zehn seit 2010 verschwundenen Schusswaffen der Berliner Polizei nur vier wiedergefunden worden.

Drei weitere P6 sind von 2011 bis 2013 durch Diebstahl aus einem Dienstfahrzeug oder bei Wohnungseinbrüchen gestohlen worden. In drei Fällen in den Jahren 2013 und 2014 wurden die Pistolen wiedergefunden. Ein Beamter vergaß seine Pistole auf der Toilette einer Tankstelle, ein anderer auf der Toilette des Abschnitts 65 und im anderen Fall wurde in einen zivilen Dienstwagen eines Observationsteams des Landeskriminalamtes eingebrochen. 2017 wurde auf einem S-Bahnhof die Tasche eines Objektschützers gestohlen, in der sich eine P7 befanden. Diese Waffen wird ebenso vermisst.

Daneben sind von 2015 bis 2019 insgesamt 193 Patronen - meist im Zuge des Waffenverlustes - als vermisst gemeldet worden. Auch sonst geht bei der Polizei viel verloren, seit 2015 insgesamt 708 Reizstoffsprühgeräte, 78 Schlagstöcke, 231 Mehrzweckstöcke und 26 ballistische Schutzwesten. Die vermissten Munitionsbestände, Pfeffersprays, Schlagstöcke, oder Schutzwesten sind nicht wiedergefunden worden. „Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, inwiefern diese Gegenstände in den Besitz von Personen gelangt sein könnten, die der extremen Rechten zuzuordnen sind“, teilte die Innenverwaltung mit. Immerhin kamen seit 2015 keine Taser oder Sprengmittel abhanden.

Die Datenerfassung erfolgt analog

Besonders bizarr: Die Waffen sind nicht in Datensystemen erfasst, die Berliner Polizei arbeitet bei der Erfassung analog. „Derzeit erfolgt eine Bestandspflege über Karteikartensysteme beziehungsweise über Waffen- und Gerätbesitznachweise und/ oder Ausgabebücher“, erklärte die Innenverwaltung. „Eine IT-gestützte Vernetzung der Verwaltungsstelle mit den einzelnen Gebrauchs- beziehungsweise Verwendungsstellen in den Direktionen und Ämtern ist nicht gegeben.“ Seit Ende 2017 werde aber im Rahmen einer Arbeitsgruppe ein „elektronisches Nachweisführungssystem“ erstellt.

Tomiak, in der Grünen-Fraktion Sprecherin für Verfassungsschutz und Strategien gegen Rechtsextremismus, ist auf die SPD-geführte Innenverwaltung nicht gut zu sprechen. Seit Jahresbeginn wurden ihre Anfragen zu den Waffen zunächst nie klar beantwortet - etwa zur MP7. „Anfang des Jahres habe ich bereits zu der Problematik verlorener Waffen gefragt. Mehrfach wurde ausweichend geantwortet“, sagt Tomiak. „Die Polizei braucht einen transparenten Umgang mit Missständen und eine Fehlerkultur, die dafür sorgen kann, dass Missstände abgebaut statt verschleppt werden.“ Vor diesem Hintergrund erneuerte die Grünen-Politikerin ihre Forderung nach einem unabhängigen Polizeibeauftragten.

Ähnlich sehen es die Koalitionspartner von der Linksfraktion. Innenexperte Schrader sagt über die verschwundenen Waffen: „Ich finde die Zahlen besorgniserregend. Wir brauchen einen besseren Schutz davor, dass polizeiliche Einsatzmittel in falsche Hände geraten, gerade in Zeiten, in denen es wie bei der rechtsextremen Gruppe Nordkreuz auch Polizeikräfte gibt, die Waffen und Munition entwenden.“ Offenbar gebe es auch bei Einsatzmitteln wie Schlagstöcken oder Pfefferspray kein ausreichend effektives Kontrollsystem.

Abhandengekommene Asservate werden nicht gezählt

Die Kontrollen, ob die Waffen und Einsatzmittel noch vorhanden sind, obliegen laut Innenverwaltung den Beamten in „der eigenen Verantwortung“. Daneben gebe es  „mindestens einmal jährlich“ eine Waffenrevision. Beim SEK würden die Waffen in alarmgesicherten Waffenschließfachräumen mit Waffenschließfächern oder in verschließbaren Schränken in separaten Räumen gesichert.

Zunächst sei jede Dienstkraft für ihre Waffen verantwortlich, bei Gruppenwaffen habe jeder SEK-Beamte Zugriff. Daneben erfolge die Verantwortung für die Waffen und Einsatzmittel „nach den individuellen Bedürfnissen und Regularien der Dienststellen“.  Die Ausgabe und Rücknahme müsse dokumentiert werden.

Daneben bewahrt die Polizei sichergestellte Waffen, Sprengstoffe, Munition, Handgranaten, Stich- oder Schlagwaffen auf, die bei Einsätzen sichergestellt wurden. Doch wie viele dieser Waffen aus den Asservatenkammer abhanden gekommen sind, weiß die Polizei nicht. Die Innenverwaltung erklärt: „Bei der Polizei Berlin erfolgt keine statistische Erfassung von abhandengekommenen Asservaten.“

Jeweils zum Jahresende müssen Dienststellenleiter aber in den Asservatenbüchern den Verbleib aller eingetragenen Asservate bestätigen. Dabei müsste laut Innenverwaltung geprüft werden, ob die Asservate vollständig sind. Einmal binnen fünf Jahre erfolge zudem eine unabhängige umfassende Prüfung der Asservatenbücher. Der Zugang zu den Asservatenkammern sei verbindlich geregelt.

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