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Noch gut Lachen. Klaus Wowereit und Matthias Platzeck (Mitte, beide SPD) beim Spatenstich für den BER.

© dpa

BER und Tesla als Wachstumsmotoren: „Früher war Brandenburg ein Insidertipp, jetzt weiß jeder in der Welt, wo es liegt.“

Seit dem ersten Spatenstich für den BER 2006 erlebt Brandenburgs Wirtschaft einen Aufschwung. Auch für die Zukunft sind die Erwartungen groß. Woher kommt das?

Von Matthias Matern

Verwaiste Plattenbauten, die Arbeitslosenquote nach wie vor zweistellig und zwei gescheiterte Großprojekte im Gepäck: Als sich Brandenburgs damaliger Ministerpräsident Matthias Platzeck am 5. September 2006 mit Berlins damaligem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (beide SPD) in Schönefeld zum Spatenstich für den neuen Hauptstadtflughafen traf, waren gute Wirtschaftsnachrichten in der Mark besonders willkommen.

Zwar hatte die brandenburgische Wirtschaft nach Jahren der Stagnation gerade wieder etwas Fahrt aufgenommen, doch noch stand der Aufschwung auf wackeligen Beinen. Zudem war erst vor Kurzem der große Traum einer Luftschiffproduktion bei Cargolifter südlich von Berlin geplatzt und die Vision einer modernen Chipfabrik in Frankfurt (Oder) in sich zusammengefallen.

Vor allem in den berlinfernen Regionen kämpften Kommunen nach wie vor gegen massiven Wohnungsleerstand, ganze Siedlungen mussten abgerissen werden. Der Bevölkerungsrückgang machte die Daseinsvorsorge für viele Städte und Gemeinden zu einer echten Herausforderung.

Da kamen die Versprechen der brandenburgischen und Berliner Politiker und Wirtschaftsförderer zu den Effekten des neuen Airports, damals noch Berlin-Brandenburg International (BBI) genannt, gerade recht: Bis zu 40.000 neuen Arbeitsplätze, massiver Zuzug zumindest im Speckgürtel und zahlreiche neue Firmenansiedlungen, prognostizierten die Verantwortlichen.

Den Spaten in der Hand rief Platzeck damals: „Heute können wir uns einfach nur freuen.“ Wowereit stimmte ein: „Die Region Berlin-Brandenburg bekommt mit dem BBI Perspektiven, die sie ohne diesen Flughafen nicht hätte.“

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Gut 14 Jahre nach dem Spatenstich, soll der BER nun am 31. Oktober eröffnet werden. Gut sieben Milliarden hat der Bau gekostet, immer wieder hatten Bauskandale die Eröffnung platzen lassen und die Gesellschafter in Bedrängnis gebracht.

Brandenburg ist wie Berlin zu 37 Prozent an dem Prestigeprojekt beteiligt. Den Rest hält der Bund. Wie viel genau der Flughafen letztlich das Bundesland Brandenburg gekostet hat, ist Experten zufolge schwer zu sagen.

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Dass er sich schon jetzt zu einem guten Teil ausgezahlt hat, da ist sich Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) sicher: „Der Standort ist bereits jetzt ein Hotspot für Wachstum und Innovation im Osten Deutschlands.“

Die regionalen Wachstumskerne Schönefelder Kreuz und Ludwigsfelde wiesen seit Jahren die höchsten Beschäftigungs- und Bevölkerungszuwächse aller Wachstumskerne des Landes auf, sagt Steinbach. Allein seit 2013 seien im weiteren Umfeld des BER 870 Ansiedlungs- und Expansionsprojekte mit mehr als 39.000 neuen Arbeitsplätzen umgesetzt worden.

Höchste Kaufkraft in ganz Ostdeutschland

Tatsächlich steht das Bundesland heute deutlich besser da als vor dem Baustart in Schönefeld. Die Arbeitslosenquote landesweit lag im September bei 6,2 Prozent, in einigen berlinnahen Kommunen herrscht sogar beinahe Vollbeschäftigung und die Kaufkraft ist dem Marktforschungsinstituts GfK zufolge die höchste in ganz Ostdeutschland, noch vor der Berlins.

Gründe? Insbesondere in der sogenannten Banane von Oranienburg nordwestlich von Berlin über Falkensee, Potsdam, Teltow, Ludwigsfelde bis nach Schönefeld haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zahlreiche namhafte Unternehmen niedergelassen.

Unter anderem produziert Rolls Royce in Dahlewitz Flugzeugturbinen für große Langstreckenflieger wie den Airbus Typ A350. In Ludwigsfelde baut Mercedes-Benz seinen Transporter Sprinter zusammen und in Hennigsdorf führt jetzt der französische Bahntechnikkonzern Alstom die Bombardier-Produktion fort.

2021 will auch der E-Autoriese Tesla in Grünheide südöstlich von Berlin seine erste Giga-Fabrik in Europa eröffnen. Anfang September war Firmengründer Elon Musk zu Besuch auf der Baustelle.

Zudem hat sich zusammen mit Berlin in der Region eine beachtliche Forschungslandschaft entwickelt. Allein in Brandenburg haben vier Universitäten und vier Fachhochschulen ihren Sitz. Dazu kommen zahlreiche hochkarätige außeruniversitären Forschungseinrichtungen.

Enge Zusammenarbeit mit Berlin

Zu verdanken ist der Aufschwung nicht zuletzt einem Umdenken in der Wirtschaftsförderung ab Mitte der 2000er-Jahre. Statt mit der Gießkanne wurden Fördermittel konzentriert in sogenannte Schwerpunktbranchen gesteckt und zusammen mit Berlin besondere Stärken der Hauptstadtregion identifiziert.

Seit 2011 arbeiten beide Länder im Rahmen der gemeinsamen Innovationsstrategie daran, die Hauptstadtregion in den Bereichen Energietechnik, Gesundheitswirtschaft, Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), Medien- und Kreativwirtschaft, Verkehr, Mobilität und Logistik sowie Optik und Photonik voranzubringen. 2019 wurde die Zusammenarbeit fortgeschrieben.

Auch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 hat Brandenburg vergleichsweise gut überstanden und die Corona-Pandemie setzt dem Land ebenfalls vergleichsweise wenig zu. Die Folgen des Lockdowns im Frühjahr seien zwar über alle Wirtschaftszweige spürbar, so Steinbach, es gebe aber Anzeichen dafür, dass die Auswirkungen in der Industrie der ostdeutschen Länder geringer ausfallen könnten als in den westdeutschen Bundesländern.

Damit wird einmal mehr deutlich, dass die wirtschaftliche Stärke Brandenburgs auch seine Schwäche ist. Denn trotz einiger großer Namen, bleibt die Wirtschaft kleinteilig. Knapp 19 Prozent aller Betriebe haben weniger als zehn Mitarbeiter.

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Bundesweit liegt der Schnitt bei 15,3 Prozent und in Ostdeutschland bei 16,8. Auch beim Export wird der Abstand deutlich: 2019 führte Brandenburg Waren im Wert von 13,3 Milliarden Euro aus. Im Autobauerland Baden-Württemberg waren es 205,2 Milliarden.

Auch der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der Wertschöpfung in Brandenburg ist laut Wirtschaftsministerium weiterhin unterdurchschnittlich.

Auch das Handwerk hat profitiert

Dennoch ist die gute wirtschaftliche Entwicklung der Region unbestritten, der BER hat daran seinen Anteil. Profitiert haben auch zahlreiche kleine Unternehmen und Handwerksbetriebe.

„Die umfangreichen Baumaßnahmen und Ansiedlungen rund um das Flughafenumfeld bescherten dem Handwerk schon in den vergangenen Jahren zusätzliche Aufträge – in ganz unterschiedlichen Gewerken, vor allem natürlich im Baubereich, bei Wartungsleistungen oder der Gebäudereinigung“, bestätigt Robert Wüst, Präsident des Brandenburger Handwerkkammertages.

Auch von der Umsetzung der Schallschutzmaßnahmen hätten viele Betriebe profitiert. Indes geht Wüst wie andere davon aus, dass der große Schub noch kommt: „Mit der Eröffnung wird sich die Dynamik noch einmal erhöhen.“

[Endlich fertig! Aus der Dauerbaustelle BER wird ein internationaler Flughafen. Doch viele Probleme bleiben. Lesen Sie alle Beiträge zum neuen Hauptstadtflughafen auf unserer Themenseite.]

Auch Marcus Tolle, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Cottbus (IHK), in deren Kammerbereich der Flughafen liegt, ist sich sicher, dass der BER weitere Großunternehmen anziehen könnte. „Eine gute Anbindung über einen internationalen Flughafen ist einfach ein Ansiedlungsargument. Bei anderen großen Flughäfen in Europa zeigt sich, dass das Umfeld innerhalb einer Autostunde profitiert.“

Jeder in der Welt weiß jetzt, wo Brandenburg liegt

Namen wie Tesla würden ihres dazu beitragen. „Früher war Brandenburg noch ein Insidertipp. Jetzt weiß jeder in der ganzen Welt, wo Brandenburg liegt.“

Darum appelliert der Verbandschef an die Regierung in Potsdam, mehr Platz zu schaffen – für große Unternehmen. Es gebe im Umfeld des Flughafens diverse Gewerbegebiete, das Angebot sei jedoch eher kleinteilig. „Ein zusammenhängendes Gebiet von beispielsweise 40 Hektar gibt es in der Hauptstadtregion nicht.“

Tesla habe gezeigt, wie schnell es gehen kann, wenn eine entsprechende Fläche vorhanden ist. Und noch einen Wunsch hat Tolle: „Angeblich könnte eine Verlängerung der U 7 von Rudow bis zum BER erst 2040 fertig sein. Es wäre schön, wenn es einmal nur zehn statt 20 Jahre dauern würde.“

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