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Ein Demonstrant droht mit "Volkes Zorn" und "Strafe" bei einem Querdenken-Protest im April in Berlin.

© imago images/Andreas Gora

Update

Beobachtung der Corona-Proteste: Berliner Verfassungsschutz stuft Teile der Querdenker als Verdachtsfall ein

Innensenator Andreas Geisel hatte es schon angedeutet, nun ist es klar: Der Verfassungsschutz sieht bei den Corona-Protesten extremistische Tendenzen.

Von Frank Jansen

Der Berliner Verfassungsschutz hat Teile der Bewegung der Coronaleugner als Verdachtsfall eingestuft. Den Gruppierungen gehe es nicht um Kritik an den Corona-Maßnahmen des Staates, sondern um eine Destabilisierung des Staates und der Demokratie, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Mittwoch im Abgeordnetenhaus in der Sitzung des Verfassungsschutzausschusses. Namen nannte er in öffentlicher Sitzung nicht. Gemeint sind allerdings die zunehmend fanatisch auftretenden Querdenker. Der Verfassungsschutz sieht ein eigenes Extremismusphänomen, das trotz Überschneidungen weder dem Rechtsextremismus noch dem Reichsbürgerspektrum zuzuordnen ist. Ähnlich hatte Hamburgs Verfassungsschutz Ende März argumentiert und die Gruppierungen „Querdenken 40“ sowie „Hamburg steht auf“ als Verdachtsfälle und „Extremismus sui generis“ bewertet.

Sturm auf den Reichstag versucht

In Berlin hatten Coronaleugner schon im Frühjahr 2020 teilweise rabiat demonstriert und Journalisten sowie Polizisten attackiert. Am 29. August versuchten dann Querdenker gemeinsam mit Rechtsextremen und Reichsbürgern, den Reichstag zu stürmen. Aus Sicht von Senator und Verfassungsschutz war spätestens am 18. November eine „rote Linie“ überschritten. Im Gebäude des Bundestags bedrängten Coronaleugner während der Debatte zum Infektionsschutzgesetz Politiker, darunter Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Bei der parallel laufenden Demonstration der Querdenker nahe dem Reichstag hielten sich die Teilnehmer weder an Maskenpflicht noch Abstandsregeln, die Regierung wurde als Diktatur geschmäht.
Als Triebfeder der demokratiefeindlichen Proteste nannte Geisel „alternative Medien“ der Coronaleugner im Internet. Der Senator verwies zudem auf Einflussnahme aus dem Ausland. Geisel nannte auch hier keine Details. Bekannt ist allerdings, dass vor allem der russische Sender „RT“ bei Protesten mitmischt.

Geisel (SPD) hatte im Januar eine künftige Beobachtung der Bewegung durch den Verfassungsschutz nicht ausgeschlossen, weil klare extremistische und antisemitische Tendenzen zu sehen seien. Ende März wurde Geisel noch etwas deutlicher. „Die Demonstrationen in Kassel und Dresden haben erneut gezeigt, dass unter dem Deckmantel der Corona-Kritik verfassungsfeindliche Kräfte wirken“, sagte der Innensenator, nachdem es bei Protesten in den beiden Städten zur großflächigen Missachtung von Auflagen und Corona-Regeln sowie zahlreichen Ausschreitungen gekommen war. Außerdem hatten Coronaleugner, darunter Reichsbürger und Rechtsextremisten, im August am Rande einer großen Demonstration in Berlin versucht, den Reichstag zu stürmen.

Vor diesem Hintergrund sei es richtig, „wenn die Verfassungsschutzbehörden dort mit ihren Mitteln genauer hinschauen“, sagte Geisel. Allerdings sei nicht jeder, der an einer Corona-Demo teilnehme, gleich ein Verfassungsfeind.

Bei Verdachtsfällen können V-Leute angeworben werden

Eine Einstufung als Verdachtsfall gestattet den Verfassungsschutzbehörden den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wie die Werbung von V-Leuten. Der nächste Schritt wäre die Einstufung als klassisches Beobachtungsobjekt, wie es bei der NPD der Fall ist.

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Vor zwei Wochen hatte Hamburgs Verfassungsschutz die Einstufung von zwei Gruppierungen aus dem Spektrum der Querdenker als Verdachtsfall bekannt gegeben. Es handelt sich um die Vereinigungen "Querdenken 40" und "Hamburg steht auf". Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) sprach von einem "neuartigen Extremismus sui generis". Ähnlich sieht es offenbar auch der Berliner Verfassungsschutz. Das Bundesamt für Verfassungsschutz halte die Szene jedoch eher für ein Phänomen, das im weitesten Sinne dem Rechtsextremismus zuzurechnen ist., heißt es in Sicherheitskreisen.

Mehrere Bundesländer prüfen inzwischen auch eine Kategorisierung der Querdenker-Bewegung als Verdachtsfall. Baden-Württemberg war bei der Beobachtung der Szene durch den Verfassungsschutz der Vorreiter. Im Dezember wurde die Gruppierung "Querdenken 711" als Beobachtungsobjekt eingestuft. Die Zwischenkategorie "Verdachtsfall" gibt es in Baden-Württemberg nicht. Im März richtete Bayerns Verfassungsschutz ein "Sammelbeobachtungsobjekt ,Sicherheitsgefährdende demokratiefeindliche Bestrebungen'" ein. In den Blick genommen werden allerdings nur einzelne, stark radikalisierte Coronaleugner. Thüringen fordert sogar eine bundesweite Beobachtung der Querdenker-Bewegung und die Einstufung als Verdachtsfall. Eine Entscheidung könnte noch vor der Tagung der Innenministerkonferenz im Juni fallen, ist in Sicherheitskreisen zu hören.

CDU fragt nach Islamisten in Kommission zu antimuslimischem Rassismus

Die CDU-Fraktion wollte bei der Sitzung des Ausschusses wissen, welche Erkenntnisse der Verfassungsschutz zu einem mutmaßlichen Islamisten in der "Expertenkommission zu antimuslimischem Rassismus" hat. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hatte das Gremium im Februar, ein Jahr nach dem rassistischen Anschlag in Hanau, initiiert. Bei dem mutmaßlichen Islamisten handelt es sich um den Vizevorsitzenden des Vereins "Teiba Kulturzentrum", Mohamad Hajjaj. Der Verfassungsschutz beobachtet Teiba schon seit Jahren wegen des Verdachts auf Verbindungen zur Muslimbruderschaft, der ältesten islamistischen Vereinigung der arabischen Länder. Hajjaj sagt, er sei kein Mitglied der Bruderschaft. Bei dem Thema schloss der Verfassungsschutzausschuss am Mittwoch die Öffentlichkeit aus. Darum hatte Senator Geisel gebeten.

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