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Farbig gestaltete Plattenbauten an der Frankfurter Allee im Berliner Bezirk Friedrichshain.

© Archivfoto: Wolfgang Kumm/dpa

„Beim Anblick der Zahlen bin ich fast vom Stuhl gefallen“: Kräftiger Rückgang auf Berlins Immobilienmarkt

So stark sanken die Verkaufszahlen in der Stadt noch nie. Besonders betroffen sind Wohn- und Geschäftshäuser sowie Büroflächen. Nur Eigenheime sind unverändert gefragt.

Kräftige Korrekturen prägen den Berliner Grundstücksmarkt in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. Sowohl die Zahl als auch die Preise von verkauften Immobilien gaben nach. So brach der Geldumsatz beim Handel mit Bürohäusern in der Hauptstadt um 70 Prozent ein im Vergleich zum Vorjahr. Um mehr als ein Drittel sank die Zahl der verkauften Wohn- und Geschäftshäuser.

Gegen den Trend unverändert stark nachgefragt sind Eigenheime sowie Grundstücke für den Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern. Veröffentlich hat diese Zahlen der Gutachterausschuss für Grundstückswerte.

Das beim Berliner Senat angesiedelte Gremium wertet dazu die rechtskräftig vereinbarten Immobilien-Kaufverträge aus. Einen derartigen Rückgang habe es in Berlin seit Aufzeichnung der Marktdaten nicht gegeben, sagte Chefgutachter Reiner Rössler dem Tagesspiegel. Dennoch sehe er keine Anzeichen für einen Einbruch des Immobilienmarktes mit starken Preiskorrekturen.

Der Chef des Berliner Gutachterausschusses Reiner Rössler sagte dem Tagesspiegel: „Beim Anblick der Zahlen bin ich fast vom Stuhl gefallen“. Der Rückgang von knapp einem Fünftel bei der Zahl der verkauften Grundstücke und Immobilien in einem Halbjahr habe es so in Berlin noch nicht gegeben.

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Und trotzdem sieht Rössler bisher keine Anzeichen für einen Einbruch des Immobilienmarktes mit starken Preiskorrekturen. Richtig sei vielmehr, dass die Preisdynamik am Berliner Grundstücksmarkt nachlässt.

Zumal nicht der ganze Markt vom überraschenden Rückgang der Verkaufsfälle und sinkenden statistischen Durchschnittspreisen betroffen ist. Weniger stark steigende und in Teilen des Marktes stagnierende Preise sieht der oberste Gutachter für Häuser und Grundstücke.

Große Verlierer sind Wohn- und Geschäftshäuser

Verschont von dem Einbruch blieb beispielsweise der Handel mit Ein- und Zweifamilienhäusern: Knapp 1300 solcher Eigenheime wurden im ersten Halbjahr verkauft, drei Prozent weniger als im Vorjahr.

Aber: Weil auch die verkaufte Fläche um vier Prozent kleiner war und das beim Verkauf umgesetzte Geld sogar kräftiger stieg (plus neun Prozent), errechnet der Gutachterausschuss sogar einen um sieben Prozent gestiegenen mittleren Kaufpreis für solche Objekte.

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Eindeutiger Verlierer im ersten Halbjahr sind die Wohn- und Geschäftshäuser, die typischen Berliner Mietkasernen wie es auch heißt. Hier korrigierte der Gutachterausschuss den mittleren Kaufpreis um elf Prozent nach unten.

Rössler warnt aber auch hier vor voreiligen Schlüssen: "Bei knapp 150 verkauften und quer über die Stadt verteilten Objekten muss man sich mit Trendaussagen zurückhalten." Zumal im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres überdurchschnittlich viele teure Neubauten im Innenstadtbereich verkauft worden waren.

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Überraschend sank auch die Zahl der verkauften Eigentumswohnungen um ein Fünftel gegenüber dem vorangegangenen Halbjahr. Am Angebot kann das nicht liegen: Internetvermittler wie Immoscout melden, dass die Zahl der zum Kauf angebotenen Eigentumswohnungen zuletzt kräftig stieg. Gut möglich, dass sich Kaufinteressenten zurückhalten wegen ihrer ungewissen Einkünfte und Job-Perspektiven infolge der Pandemie.

Eigentumswohnungen werden teurer

Keinen Einfluss hat das alles auf die Wohnungspreise, im Gegenteil: Der Gutachterausschuss errechnete ein Plus von sechs Prozent im Durchschnitt. Gemessen an den vergangenen Jahren ist das wenig. Aber dieser Trend dürfte verlässlich sein, angesichts von rund 6500 verkauften Wohnungen in den ersten sechs Monaten des Jahres.

Hat also Corona oder die Einführung des Mietendeckels den Immobilienmarkt in seinen Grundfesten erschüttert? "Die Leute sind verunsichert und halten sich seit Einführung des Mietendeckels mit dem Kauf von Renditeobjekten zurück", sagt Rössler.

Hinzu komme, dass in manchen Fällen wohl auch Preise verlangt würden, "die der Markt nicht hergibt". Aber die im Ausschuss einlaufenden (noch nicht veröffentlichten) Verkaufszahlen aus dem dritten Quartal lassen derzeit nicht auf eine weitere Zuspitzung der Lage in diesem Jahr schließen.

Wohnraum länger leer stehen zu lassen, ist verboten

Ganz erstaunlich findet der Chefgutachter, dass die Preise unbebauter Grundstücke und der Markt für Eigenheime nicht von der Korrektur erfasst seien. Hier hätte Rössler stärkere Zurückhaltung erwartet, weil viele Berliner in Kurzarbeit wechseln mussten oder vor ungewissen wirtschaftlichen Perspektiven stehen.

„Von einer Beruhigung auf dem Wohnungsmarkt zu sprechen wäre verfrüht, aber wir vermuten, dass der Mietendeckel wie auch die Corona-Pandemie erste Spuren auf dem Berliner Immobilienmarkt hinterlassen haben“, sagte der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. „Es ist nicht auszuschließen, dass Eigentümer von bislang vermieteten Eigentumswohnungen nun lieber verkaufen würden, doch scheint es kaum selbstnutzende Käufer für die vielen Angebote zu geben“, sagte Wild.

Der Berliner Mieterverein wies vor diesem Hintergrund verkaufswillige Eigentümer darauf hin, dass es verboten ist, Wohnraum länger als drei Monate leer stehen zu lassen.

Dass auch die Zahl der Kauffälle von Eigentumswohnungen zurückgeht, bedeutet für die Mieterschützer nicht dass es auch ein sinkendes Interesse an der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gebe. „Deshalb fordern wir das Bundeskabinett auf, morgen mit der Novelle des Baugesetzbuches auch das Umwandlungsverbot auf den Weg zu bringen“, sagte Wild.

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