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Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland, spricht während einer Veranstaltung des Brandenburger Landtages zum Gedenken an das Kriegsende vor 77 Jahren.

© Soeren Stache/dpa

Bei Gedenken zum 8. Mai: Melnyk fordert Mahnmal in Berlin für ermordete Ukrainer im Zweiten Weltkrieg

Botschafter Melnyk kritisiert, die Ukraine sei „fast komplett abwesend in der Topografie der deutschen Erinnerung“. Die sei bisher auf Russland fixiert gewesen.

Andrij Melnyk kann also doch den versöhnlichen diplomatischen Auftritt, ohne verbale Attacken wie zuletzt gegen Kanzler Olaf Scholz (SPD): Der von manchem in der Regierung von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und im Landtag befürchtete Eklat blieb jedenfalls aus: Klare Worte fand der ukrainische Botschafter dennoch auf einer Gedenkveranstaltung des Landtages am Sonntag in Potsdam anlässlich des 77. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa, die nun mitten im Krieg Russlands gegen seine Heimat stattfand.

Er forderte, endlich mit einem Mahnmal in Berlin an die Millionen ermordeten Ukrainerinnen und Ukrainer während des von Nazideutschland verfolgten Vernichtungskrieges zu erinnern. „Mein Heimatland ist fast komplett abwesend in der Topografie der deutschen Erinnerung“, sagte er. Das gelte auch für den Unterricht, für die Schulbücher. Namentlich wandte er sich an Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), der Kanzlergattin, die nicht anwesend war: „Tragen Sie Sorge, die klaffenden Wissenslücken zu schließen!“

Melnyk erinnerte daran, dass die Ukraine im Zweiten Weltkrieg einen hohen Blutzoll entrichtet habe, mit acht bis zehn Millionen Toten, davon fünf Millionen Zivilisten. Von elf Millionen ermordeten Juden in Europa seien drei Millionen Ukrainer gewesen. Daraus resultiere eine besondere Verantwortung Deutschlands, sagte er. „Diese Zahlen sind in der deutschen Öffentlichkeit kaum bekannt.“

Die Erinnerung seien bisher auf Russland fixiert gewesen, das für sich das Monopol des Befreiers vom Nationalsozialismus beanspruche. Melnyk kritisierte die „gescheiterte deutsche Russland-Politik der vergangenen Jahrzehnte.“ Deutschland habe lange die Augen gegenüber dem verbrecherischen Kreml-Regime verschlossen. Auf aktuelle Differenzen etwa um Waffenlieferungen ging Melnyk nicht ein.

„Die Verbrechen des Naziregimes sind und bleiben beispiellos“, sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke. „Um so fassungsloser macht es uns, dass in diesem Jahr der Krieg in die Mitte Europas zurückgekehrt ist.“ Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern seien Leidtragende eines verbrecherischen russischen Angriffskrieges. Europa erlebe die größte Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg. Wer nach Brandenburg komme, erhalte jede erdenkliche Hilfe. „Herr Botschafter, daran können Sie uns messen!“

Landtagspräsidentin „Dialog kann nicht auf Twitter stattfinden“

Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) nannte den Dialog zwischen Ukrainern und Deutschen gerade jetzt wichtig, „selbst dann, wenn wir möglicherweise nicht bei allen Themen einer Meinung sein sollten“. Sie erinnerte daran, dass in den Reihen der Roten Armee viele Ukrainer gekämpft hatten, ihr Leben ließen. Der Angriffskrieg schmerze so sehr, „weil Russen, deren Urgroßväter zu den Befreiern gehörten, in brutaler Weise ein Volk überfallen haben, das selbst zu unseren Befreiern vom Nationalsozialismus zählte“.

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Was jetzt zu tun sei? Es gebe „keine einfachen Antworten“, sagte Liedtke: „Schwarz- Weiß-Denken lässt die Vielfalt der Möglichkeiten außer Acht“. Und sie fügte hinzu: „Und bitte – der Dialog kann nicht auf Twitter stattfinden.“ Nötig seien Ausstiegszenarien, über die militärische Verteidigung hinaus: „Kriege werden nicht gewonnen, sie müssen beendet werden.“

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Im Rückblick gestand Liedtke ein: „Ich denke, wir waren nachlässig im Umgang mit dem hohen Gut des Friedens und zu unentschlossen, wer zu Europa gehört, zu uninteressiert an den Problemen osteuropäischer Länder.“ Das beklagte auch die Wiener Historikerin Kerstin Susanne Jobst: „Europa weiß bis heute erschreckend wenig über die Ukraine.“

Die Gedenkveranstaltung, der die AfD bis auf eine Abgeordnete fernblieb, endete mit einer Botschaft der Hoffnung, es erklang die „Ode an die Freude“, die Europa-Hymne: „Alle Menschen werden Brüder.“

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