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Stefan Metze hält regelmäßig die Veränderungen an der Baustelle Ostkreuz fest.

© Kitty Kleist-Heinrich

Baustellenblogger in Berlin: Die Baustelle fest im Blick

Die Spreebrücke in Schöneweide und der Bahnhof Ostkreuz sind für Baustellenblogger perfekte Themen. Jeder Fortschritt wird dokumentiert.

Er freut sich, sie wiederzusehen, seine Brücke. Wie ein im Sprung erstarrtes Tier spannt sie sich über die Spree, die kraftvollen Gelenke leuchten in metallischem Blau. Vor allem liebt er diesen zarten Schwung, der sich nur zeigt, wenn man ihr nahe kommt. Niemand kennt die neue Spreebrücke in Schöneweide so gut wie Detlef Zabel, 47-jähriger Glasermeister aus Treptow. Rund 20 Mal hat Zabel das Bauwerk erkundet, seit er im Februar 2015 auf das Vorhaben aufmerksam wurde, durch Zufall, bei einem Spaziergang. Dem Senat, der die Brücke baut, war die Sache nicht mal einen feierlichen Spatenstich wert.

Hunderte Fotos und ein Video sind seitdem entstanden, die besten hat Zabel ins Netz gestellt, auf seine Homepage detlefzabel.de. Dort kann jeder mitverfolgen, wie die Minna-Todenhagen-Brücke, wie sie inzwischen heißt, Monat für Monat herangewachsen ist. Das Werden einer Flussüberspannung, die den Fluss an keiner Stelle berührt, zehntausende Arbeitsschritte vom ersten Fundament bis zur letzten Markierung. Alles, was später kein Autofahrer mehr beachten wird, der in wenigen Sekunden die 420 Meter lange Brücke passiert, hat Zabel fotografiert und beschrieben. Dokumentiert, wie er sagt. Das macht ihn stolz und auch ein wenig glücklich.

Baustellenblogger dokumentieren jeden Fortschritt ihrer Baustelle. Zum Beispiel an der Spreebrücke.
Baustellenblogger dokumentieren jeden Fortschritt ihrer Baustelle. Zum Beispiel an der Spreebrücke.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Detlef Zabel ist Baustellenblogger, Mitglied einer noch recht jungen Gilde von zumeist Männern, die miterleben wollen, wie eine neue Stadt entsteht, das Berlin des 21. Jahrhunderts. Einmal im Monat besucht er seine Brücke, macht neue Fotos, stellt sie ins Netz und beschreibt, was gerade passiert. Seit zwei Jahren geht das so. „Mich fasziniert die Technik“, sagt Zabel, und seine Augen hinter der randlosen Brille bekommen neuen Glanz. Der Höhepunkt war das Einschieben der 2500 Tonnen schweren Brückenteile über den Fluss. Davon gibt es ein Video auf seiner Seite. Sechs Stunden haben sie daran geschnitten, sein Sohn und er. Aber das war’s wert, sagt er. Und er fühlt sich inzwischen auch seinen „Lesern verpflichtet“.

Vorbild für Zabel war der ostkreuzblog.de des jüngeren Kollegen Stefan Metze. Metze fing vor elf Jahren an, die Bauarbeiten der Bahn rund ums Ostkreuz zu verewigen. Er wollte die „krassen Veränderungen“ in Berlin dokumentieren. In der DDR sei jahrzehntelang nur ein bisschen „Flickschusterei“ vorgenommen worden, jetzt werde geklotzt, und irgendwann wird es auch wieder vorbei sein, weiß Metze. Deshalb möchte er nichts verpassen, und er versteht kaum, dass die meisten Menschen diese wichtige Phase der Stadtwerdung achtlos an sich vorbeiziehen lassen, allenfalls meckern, wenn wieder Schienenersatzverkehr ist. „Man muss sich doch für seinen Lebensraum interessieren.“ Als Metze seine Leser zum Mitmachen aufrief, sei die Resonanz nahe null gewesen. „Die Leute konsumieren ja lieber.“

Detlef Zabel. Sein Lieblingsmotiv ist die Spreebrücke in Schöneweide.
Detlef Zabel. Sein Lieblingsmotiv ist die Spreebrücke in Schöneweide.

© Thomas Loy

Sie kennen den Dokumentationsort seit der Kindheit

Metze ist mit den Jahren ein Bahnversteher geworden, er hilft dem Konzern auch, die Vorgänge auf der Baustelle zu erklären. Wenn sich alle fragen, warum mitten zwischen den Gleisen plötzlich eine Brücke gebaut wird, schreibt die Bahn nur „Ab 2017 beginnt der Richtungsverkehr“. Metze bloggt Fotos und erklärt, dass mal die S 3 von Erkner über die Brücke fahren wird und untendurch die Züge nach Lichtenberg rollen. Die Bahn hat immerhin einen Infocontainer aufgestellt, in dem ein „Bürgerbeauftragter“ besorgte Anwohner empfängt. Der Senat hätte hier auch einiges zu erklären, findet Metze, kümmere sich aber nicht.

Der Bahnversteher ist zugleich Bahnkritiker. Am Ostkreuz betreibe jede Bahngesellschaft einen eigenen Fahrkartenautomaten, für Touristen sei das kaum nachvollziehbar. Dass für den Regionalbahnsteig der RE2 kein Dach vorgesehen wurde, findet er ärgerlich. Auch dem „Minimalismus“ beim Bau neuer Stationen kann er wenig abgewinnen. „Früher waren die Bahnhöfe Kathedralen.“ Da hätte niemand gewagt, seine Kippe auf die Gleise zu schnipsen.

Der Aufwand an Material und Zeit fürs Bloggen ist über die Jahre kaum mehr zu beziffern, rund 10 000 Euro im Jahr, schätzt Metze. „2006, als ich anfing, gab es noch Klapphandys, da war auch das Bloggen noch ganz neu.“ Neben neuen Kameras hat er sich auch eine Drohne zugelegt, um bessere Überblicksbilder posten zu können. Seine Fangemeinde dankt es ihm, es laufen Kommentare von Exil-Berlinern aus Frankreich oder Australien ein.

Metze – 37 Jahre, Jeans, Kapuzenpulli – bloggt auch professionell, er hat eine Agentur für Online-Marketing. Nach der Schule fing er aber erst mal als Maler und Lackierer an, daher weiß er, wie es auf dem Bau zugeht, dass sich die Arbeiter manchmal wie Affen im Zoo vorkommen, auch deshalb grenzt man sich gerne mit Bauzäunen von der Außenwelt ab. Er versuche nun, diese getrennten Sphären wieder zu verknüpfen, Verständnis zu erzeugen für die harte und schwierige Arbeit. Bauprojekte fallen vor allem durch Zeitverzögerungen und Kostenexplosionen auf. „Es würdigt keiner mehr, was dort geleistet wird.“ Der Grund sei mangelnde Kommunikation. Metze hält dagegen.

Genau wie Zabel weiter südlich in Schöneweide. Beide verbindet, dass sie ihren Dokumentationsort schon aus der Kindheit kennen. Metze wuchs in der Victoriastadt auf, gleich neben dem Ostkreuz, Zabel in Baumschulenweg. Neben der heutigen Brücke lag sein Rodelberg. Nach der Schule, als kleiner Junge, habe er sich immer an die Baugrube für die neue Kaufhalle gehockt und zugeschaut. Dabei muss es ihn erwischt haben, die Faszination für das Werden und Wachsen, wo andere nur Staub und Krach wahrnehmen

„Andere neugierig machen“

Zabel hat sich auf die Baustelle gewagt, das Tor stand offen. In gepflegten Straßenschuhen klettert er eine steile Betonrampe hinauf, schon steht er vor der frisch gegossenen Brückenfahrbahn. Eine Kette von Stahlträgern hält die Schalung fest. „Das habe ich so noch nicht gesehen“, sagt Zabel und genießt schweigend. Wieder so ein besonderer Moment im Prozess des Entstehens, der bald vergessen sein wird. Er hebt seine Kamera ans Auge und hält ihn fest.

Zabel und Metze zweifeln nie, dass ihre selbstgestellte Aufgabe sinnvoll ist. „Andere neugierig machen“, darum geht es, findet Zabel. Vielleicht interessiert sich dann mal wieder ein Jugendlicher fürs Handwerk, denn die Nachwuchssorgen seien groß, sagt Zabel

Wenn die Brücke fertig ist, wird er sich was Neues suchen müssen. Zabel liebäugelt schon mit dem geplanten zweiten Hotelturm am Estrel. Soll das höchste Gebäude der Stadt werden. Metze fährt erst mal in die USA, macht Urlaub, und bloggt natürlich darüber. Zabels nächstes Blog-Projekt ist eine Reise zum Nordkap.

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