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André Krigar und Diether Münchgesang bevorzugen die Pleinair-Malerei. Aber so hoch wie im Steglitzer Kreisel kommen selten.

© Sven Darmer

Baustelle Steglitzer Kreisel: Warum diese drei Berliner Künstler ihre Bilder in 120 Metern Höhe malen

Der künftige Wohnturm Steglitzer Kreisel wurde für eine Woche zum Kunstort. Drei Maler schufen vom Wind umpfiffen Bilder der Baustelle.

Rasselnd kriecht der offene Arbeitsfahrstuhl nach oben, vorbei an den ehemaligen Türöffnungen, vorbei auch an den Nummern der Stockwerke. Die Bauleute, die den Steglitzer Kreisel zu einem Wohnturm umwandeln sollen, haben sie praktischerweise an die gegenüberliegenden rohen Wände gesprüht.

23, 24, 25 – wir sind da, viel höher ginge es ohnehin nicht. Einen kurzen Blick in den Abgrund des Schachts riskieren? Aber bitte den Helm festhalten.

„Grundsätzlich entsteht jedes Bild unter einem bestimmten Risiko“, hatte der vorwiegend im Freien seiner Kunst nachgehende Maler André Krigar vor Jahren einmal erklärt.

Damals hatte er schon den Bau der Cargolifter-Halle, heute Heim der „Tropical Islands“, begleitet, eine Seereise auf der „Gorch Fock“ in Öl festgehalten und andere ausgefallene Orte für seine Pleinair-Malerei besucht, sich aber kaum vorgestellt, dass er einmal hoch über seinem Heimatbezirk, rund 120 Meter über Straßenniveau, seine Staffelei aufbauen würde.

Gerade er, dem doch Höhe so gar nicht bekommt. Der es daher auch tunlichst vermieden hat, sich dem hinter seinem Arbeitsplatz lauernden, durch Mauern und Bauzäune doch hinreichend gesicherten Abgrund allzu sehr zu nähern. Warum er sich aber nicht wie sein Kollege Diether Münchgesang mit einem sehr viel tiefer gelegenen Stockwerk begnügt hat, kommen wir später.

30 Bilder und eine Woche Höhenluft

Gut eine Woche haben sich die beiden Berliner und der Finne Heinrich Ilmari Rautio auf der momentan wohl höchsten Baustelle Berlins mit ihren Staffeleien, Leinwänden, Farbtuben und Pinseln umgetan und rund 30 Bilder geschaffen, Münchgesang 17 eher kleine Formate, während Krigar größere Leinwände bevorzugte und neun Werke schuf.

Über ihre Hochhaus-Arbeiten wollen sie, sobald ein Verlag gefunden ist, ein Buch herausbringen, später soll eine Ausstellung in der Steglitzer Galerie Classico folgen.

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Ihr verdanken sie indirekt das Kreisel-Projekt, wie Krigar erzählt. Ein Mitglied der Leitung der Consus RE AG, Eigentümer des Gebäuderiesen, habe die Galerie besucht, gefallen an seinen dort gezeigten Werken gefunden und ihn eingeladen, die luftige Baustelle zu malen. In Abstimmung mit der Galerie seien seine Kollegen dazugestoßen.

Beide erfüllten auch sie die Bedingung, wirklich an Ort und Stelle zu malen, nicht etwa nach fotografischer Vorlage. Schließlich sollte keine topografische Abbildung der Stadt entstehen, sondern die authentische Erfahrung, die besondere Atmosphäre des Ortes vermittelt werden, jeweils durch das Rost der individuellen Wahrnehmung gefiltert, da sind – der Finne ist bereits abgereist – Krigar und Münchgesang sich einig.

"Wir bauen die Stadt neu im Modell."
"Wir bauen die Stadt neu im Modell."

© Sven Darmer

Nun ist solch eine Baustelle kein klassischer Kunstort mit entsprechendem Publikum. Umso schöner daher die von den Malern gemachte Erfahrung, mit wie viel Hilfsbereitschaft und Verständnis sie empfangen wurden.

Warum nicht einfach fotografieren?

„Warum machst du dir die Mühe und fotografierst nicht einfach?“ – solche Kommentare hat Krigar bei seiner Arbeit schon wiederholt erlebt, im Kreisel dagegen nicht.

Sicher, anfangs habe es viele Fragen gegeben, aber bald hätten die Leute vom Bau gemerkt, dass auch ihre Kunst harte Arbeit sei, auch sie dabei Hitze, Kälte, Wind und Staub zu ertragen hätten. Na ja, und die Höhe. „Was wir hier tun, ist eben gar nicht so ganz anders“, beschreibt es Münchgesang.

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Aber was genau war nun der Reiz, auf solch einer luftigen Baustelle, vom Wind umpfiffen, zu Farbe und Pinsel zu greifen? Gut, die Aussicht ist spektakulär, in der Ferne winzig die ehemaligen Radarkuppeln des Teufelsbergs oder der Grunewaldturm, in der anderen Richtung Potsdamer Platz und Fernsehturm und dahinter geht es immer noch weiter, über die Stadtgrenze hinaus.

Unter uns schließlich die Schloßstraße, der Backsteinbau des alten Rathauses, die Stadtautobahn und dahinter das Gymnasium Steglitz. Münchgesang hat dort lange Jahre als Kunstpädagoge gewirkt, es ist auf einem seiner Bilder trotz des wild anmutenden Farbenspiels leicht zu identifizieren.

Aber fotorealistisch ist das nicht mal in Ansätzen. Alt- und Neubau haben sich, verglichen mit dem Original, leicht gegeneinander verschoben, und selbstverständlich sei das gewollt, bestätigt Münchgesang.

„Wir bauen die Stadt neu“

„Was denken Sie, wie viele Gebäude auch ich hin- und hergeschoben habe“, pflichtet Krigar bei. „Wir bauen die Stadt im Modell neu.“ Hätte es einen Touristen mit Kamera hier nach oben verschlagen, so würde der sich wohl über die vielen den Blick behindernden, auf Fotos störenden Bauzäune ärgern.

Für Münchgesang mit seiner sehr pastosen Malweise kamen sie gerade recht, um seine Kreisel-Aussichten durch ein Gittermuster zu strukturieren, bis es, wie er sich ausdrückt, zu flimmern beginnt, ein willkommener ästhetischer Effekt. Andererseits: „Wenn man schon mal auf einer Baustelle malt…“

Im Steglitzer Kreisel sollen nun unter anderem Luxuswohnungen entstehen.
Im Steglitzer Kreisel sollen nun unter anderem Luxuswohnungen entstehen.

© Kai-Uwe Heinrich TSP

Krigar dagegen reizte gerade der „Sprung von der Nähe zur Ferne“. Sonst versuche er, den Betrachter von vorne in den Raum hineinzuführen wie in einen Schacht. Diesmal nun musste er zwei Welten zusammenbringen, sie durch Farben verzahnen.

Ein Ocker hier, ein Blau dort, die an anderer Stelle wieder auftauchen, mit sich selbst korrespondieren, Nähe und Ferne verbinden: vorne die Baustelle, samt der Kabel, die ins Motiv hängen, hinten die Stadt, der dunstige Horizont.

„Abbilder einer zeitgemäßen Veränderung“

Aber über diese technisch-ästhetische Herausforderung hinaus, sieht Krigar im Umbau des Kreisels wie in ihren dies festhaltenden Bildern eine Symbolhaftigkeit, etwas Zeittypisches.

Exemplarisch nicht allein für das aktuelle Baugeschehen in der Stadt, sondern zugleich für die derzeitigen Veränderungen, die Revision der Planungen aus den siebziger Jahren mit ihrem – im Namen „Kreisel“ noch präsenten – Traum von der autogerechten Stadt.

Einst sollten Autos das Büroungetüm umrunden, nun entstehen dort Wohnungen. So gesehen sind für ihn die entstandenen Arbeiten nicht nur schöne Bilder, was ihm zu wenig wäre, vielmehr „Abbilder einer zeitgemäßen Veränderung“, oder wie Kreisel-Kollege Münchgesang es ausdrückt, Arbeiten „am Puls der Zeit“.

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