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Farbig gestaltete Plattenbauten stehen an der Frankfurter Allee im Bezirk Friedrichshain.

© Wolfgang Kumm/dpa

Baustau verzögert Fertigstellung: Neue Zahlen zeigen, wie dramatisch der Wohnungsmangel in Berlin ist

Weil es in Berlin mehr Haushalte als Wohnungen gibt, steigen Mieten und Preise. Und auch das Umland hat Wachstumsschmerzen.

Nicht nur Mieten und Kaufpreise sind in der zu Ende gehenden Dekade drastisch gestiegen. Auch die Kosten der Instandhaltung schossen doppelt so schnell in die Höhe wie die Verbraucherpreise. Deshalb leiden auch Immobilieneigentümer unter den kräftig steigenden Ausgaben fürs Wohnen.

Besonders betroffen vom Wohnungsmangel ist, wer nach 2015 einen Mietvertrag abschloss: Er zahlt im Durchschnitt zwei Euro mehr je Quadratmeter nettokalt als langjährige Mieter. In Berlin ist die Wohnungsnot inzwischen so dramatisch, dass sich inzwischen sogar mehrere Haushalte ein und dieselbe Bleibe teilen.

Immer mehr Menschen fliehen ins Umland

Diese Fakten zum Wohnungsmarkt präsentierten am Mittwoch die Chefs vom Bundesamt für Statistik (Destatis) in Wiesbaden und vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. Solche gemeinsamen Auftritte sind selten. Doch die Wohnungs- und Neubaukrise betrifft ganz Deutschland, und Berlin zählt neben Frankfurt/Main und Leipzig zu den besonders stark betroffenen Städten.

Mit weitreichenden Folgen, weil immer mehr Menschen vor den teuren Mieten ins Umland flüchten und in die Städte pendeln, womit Staus und Umweltschäden zunehmen. Schuld daran ist der „Baustau“ wie Destatis-Präsident Georg Thiel sagt.

Bauunternehmen fehle das Personal

Mit Baustau benennt der Chefstatistiker die viel zu geringe Zahl der in Deutschland fertig gestellten Wohnungen (2018: 287.000) gemessen am Bedarf (375.000 jährlich). Dass trotz der kräftig wachsenden Bevölkerung zu wenig Wohnungen fertig werden, liege nicht am Willen, denn die Bauämter genehmigen viel und seit Jahren mehr als gebaut wird.

„Aufträge im Wert von 9,1 Milliarden Euro wurden nicht umgesetzt“, sagt Thiel. Den Bauunternehmen fehle das Personal. Zwar hätten diese seit 2009 die Zahl ihrer Beschäftigten um 25 Prozent erhöht – aber das ist wenig gemessen an der um fast 300 Prozent gestiegenen Zahl der Aufträge.

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Jörg Fidorra vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg zeichnete die Entwicklung seit den 1990er Jahren auf dem Berliner Wohnungsmarkt nach: Vom Boom kurz nach Fall der Mauer und Wiedervereinigung mit einer durch staatliche Förderung bedingten „Spitze“ bei der Bautätigkeit im Jahr 1997 bis zum Tiefpunkt im Jahr 2006, als stadtweit nur noch 3100 Wohnungen entstanden. Damals fehlte der Bedarf, weil die Bevölkerung nicht mehr wuchs, erklärte der Statistiker.

Erst im Jahr 2007 nahm die Bautätigkeit erneut an Schwung auf, bis im Jahr 2015 schon 11.000 Wohnungen fertig wurden und das „Niveau der Nachwendejahre“ wieder erreicht war. In Berlin halte der Anstieg an, während im Bundesgebiet insgesamt die Kurve bereits wieder abfällt.

Eine „deutliche Unterversorgung“

Alles gut also? Nein, denn die wichtigste Kennzahl, die die langen Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen sowie steigende Mieten und Preise erklärt, ist diese: Für 1000 in Berlin registrierte Haushalte gab es im Jahr 2015 nur 952 Wohnungen – eine „deutliche Unterversorgung“ nennt Fidorra das. Das war vier Jahre zuvor noch anders (997 Wohnungen für 1000 Haushalte).

Warum die Berliner zusammenrücken und sich teils schon Wohnungen teilen müssen, ist bekannt: 327.000 Menschen mehr leben in der Stadt (2018) als sieben Jahr zuvor (2011) – das ist so, also ob alle Bewohner von „Bonn oder Münster komplett“ nach Berlin umgesiedelt würden. Der Zuzug „schwächt sich seit 2017 ab“, sagte der Chefstatistiker auch. Aber das entspannt die Lage vorerst nicht – und hat Folgen für die ganze Region bis weit ins Brandenburger Land hinein.

Denn in die Hauptstadt ziehe es vor allem junge Leute in den Zwanzigern und sie bleiben bis in ihre Vierziger. Zum „Nestbau“ verließen viele Familien Berlin Richtung Umland und müssen pendeln zu ihren Jobs in die City. Weil die Verkehrswege dafür nicht ausgelegt sind, entstehen lange Staus. Um diesen zu entgehen, führen Pendler teils schon um fünf Uhr in der Früh statt um sieben. Kurzum „das führt zu großen Problemen im Personennahverkehr“, sagte Thiel.

Und der Mietendeckel?

Und wie wirkt sich der Mietendeckel aus? Dazu wollten die Statistiker nichts sagen, weil sich mangels Fakten keine validen Aussagen treffen lasse. Schon die naheliegende Erklärung, dass es an Baufirmen fehlt und deshalb viel mehr Wohnungen genehmigt als fertig werden, relativierte Thiel so: „Vermutlich gelingt es den Firmen nicht, Personal zu gewinnen.“

Er lieferte eine aufschlussreiche Zahl dazu: Auf dem Höhepunkt des Baubooms der 1990er Jahre hatten Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern insgesamt rund 700.000 Beschäftigte – heute sind es nur rund 470.000. Hinzu komme, dass es an Personal in den Bauämtern fehle. Ein Indiz dafür sei das Angebot des Berliner Senats, den Bezirken bei der Abarbeitung der Bauüberhänge zu helfen.

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