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Wer in Berlin bauen will, trifft auf Widerstand.

© Getty Images/iStockphoto

Bauprojekte in Berlin: Weniger Bürgerbeteiligung wagen!

Berlins Wirtschaft klagt: Partizipationsprozesse erschweren Bauprojekte immer mehr. Der Senat hält dagegen. Ein Fehler, schreibt unser Autor in seinem Essay.

Man kann Eulen nach Athen tragen, Kohle nach Newcastle bringen – oder die Bürgerbeteiligung in Berlin stärken. Letzteres hat sich der Senat vorgenommen: Auf seine Initiative entwickelt eine Arbeitsgruppe, der zwölf Leute aus Politik und Verwaltung und zwölf zufällig ausgewählte Berliner angehören, neue „Leitlinien für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Stadtentwicklung“. Vor wenigen Wochen wurden erste Zwischenstände präsentiert: „Jede soziale und gesellschaftliche Gruppe soll zum Mitreden animiert werden“, fasste diese Zeitung damals zusammen. Ziel der Übung: die Bevölkerung enger bei großen Bauvorhaben einzubinden.

Und damit wären wir dann wieder bei den Eulen und Athen: Denn wo in Berlin ein Bauvorhaben ruchbar wird, das über einen neuen Briefkasten hinausgeht, formiert sich ohnehin Protest. Ob Neubau oder Nachverdichtung, wann immer jemand nur ankündigt, eine Schippe Sand wohinzuwerfen, bildet sich eine Bürgerinitiative dagegen.

Am Lützowufer heißt es panisch, „eine Bauwelle rollt durch unser Viertel“, an der Karlshorster Ilsestraße warnt die Gruppe „Rettet den Ilse-Kiez“ vor Verdrängung durch Luxuswohnungen, im Wrangelkiez spürt die Initiative „Bizim Kiez“ eine „enorme solidarische Energie, die gegen den Angriff der Immobilienwirtschaft und der Konsumgesellschaft“ eingesetzt werden kann. „Bizim Kiez“ brachte es fertig, 30 000 Euro Projektmittel beim Senat zu beantragen, um sie für den Protest gegen die vom Senat geförderte Ansiedlung von Start-ups einzusetzen. Der Antrag scheiterte. Sogar im vermeintlich spießigen Spandau gibt es Knatsch wegen der Wasserstadt. BI „Spandau-Haveleck“ ist auf den Barrikaden. Man könnte die Liste lange fortsetzen ...

Aufforderung zur Blockade

Die Wirtschaft warnt deshalb mittlerweile vor den Folgen, die die neuen Partizipationsleitlinien für das Geschäft haben könnten: „Die Politik will offenbar ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommen, Entscheidungen zu treffen“, sagt Susanne Klabe, Geschäftsführerin des Berliner Landesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW). „Diese Aufforderung zur Blockade, die man dem Papier entnehmen kann, führt dazu, dass Stadträte und die Senatorin bald jede Verantwortung fürs Nichtgelingen und Nichtbauen auf die Bürger abwälzen können.“

Das mag leicht überzeichnet sein. Doch würde realisiert, was gerade vom Arbeitskreis erdacht wird, dann betriebe die Stadt eines Tages tatsächlich die Infrastruktur, aus der heraus der Protest gegen sie organisiert würde. Da fällt es schon kaum noch ins Gewicht, dass „für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen spezielle Formate eingesetzt werden“ sollen.

Während offensichtlich ferngelenkte Kinder mit Transparenten auf Demonstrationen bei vielen Beobachtern einen leichten Missbrauchsekel gegen die Eltern hervorrufen, sollen hier nun also kleine Berliner, die noch nicht wählen dürfen, demokratische Prozesse mitbestimmen dürfen – eines Tages auf ausdrücklichen Wunsch des Senats.

Das hier soll kein Traktat für chinesische Verhältnisse werden. Dass Anwohner nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden können, ist natürlich richtig und ein elementares Prinzip demokratischer Staaten. Nur gilt wie so oft: Die Dosis macht das Gift. Wenn man Partizipationsrechte beliebig ausweitet, steht am Ende nicht die vollendete Demokratie, sondern der blockierte Staat.

Mit Geld vom Senat

Vor diesem Hintergrund ist es schon bemerkenswert, wenn die vom Senat mit der Leitlinienentwicklung beauftragte Arbeitsgruppe in ihrem Zwischenpapier schreibt: „Es sollen auch diejenigen Bürgerinnen und Bürger angesprochen werden, die sich selten beteiligen oder die indirekt von einer Planung betroffen sind. Dafür sollte der Zugang über quartiersnahe Organisationen genutzt werden, die diese Menschen erreichen oder deren Interessen sie aktiv im Beteiligungsprozess vertreten können.“

Während der Senat bei „Bizim Kiez“ noch den Irrsinn verhinderte, dass da jemand mit Geld vom Senat gegen den Senat protestiert, lässt er nun den Grundstein dafür legen, dass genau das bald in institutionalisierter Form so läuft – falls jedenfalls die „quartiersnahen Organisationen“ eines Tages Wirklichkeit werden sollten. Welches Interesse der Senat außerdem daran haben könnte, schlafende Hunde zu wecken und aus desinteressierten Kiezbewohnern engagierte Protestler zu machen, erschließt sich auch nicht ohne Weiteres.

Andreas Fleischer, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg: „Nun selbst Kinder, indirekt betroffene Menschen, zahlreiche Gremien und Konferenzen mitentscheiden lassen zu wollen, geht in die völlig falsche Richtung.“ Das Wachstum der Stadt erfordere schnelle Entscheidungen. „Wir müssen mehr und schneller bauen“, sagt Fleischer, andernfalls setze Berlin seine Attraktivität und Anziehungskraft aufs Spiel. „Können Investoren nicht verlässlich planen, weil sie mit ständigen Änderungen und vor allem langen Vorlaufzeiten rechnen müssen, werden sie sich zurückhalten.“

Piefig und provinziell

Aufhorchen lässt außerdem auch dieser Satz im Arbeitsgruppenpapier: „Unter Bürgerinnen und Bürgern verstehen wir in diesen Leitlinien alle Menschen, die in Berlin wohnen oder arbeiten.“ Damit ist klar: Eine Gruppe fällt raus, und zwar eine, die ein dicker Spieler auf dem Berliner Immobilienmarkt ist: diejenigen, die nach Berlin ziehen wollen.

Und genau das macht die ganze Leitliniensache so piefig und provinziell. Während die Stadt sich am laufenden Band für ihre internationale Sogwirkung feiert, denkt eine vom Senat eingesetzte Arbeitsgruppe in Kategorien, die passend für Oberzentren in Mittelgebirgen sind, die gegen Einwohnerverluste kämpfen.

Es reicht bei einer Stadt, die jährlich um rund 40 000 Einwohner wächst aber eben nicht, nur an die zu denken, die bereits da sind. Mal davon abgesehen, dass der Anspruch, alle Berliner zu vertreten, auch nicht wirklich eingelöst werden wird, wenn das Arbeitsgruppenpapier nicht sofort nach seiner Fertigstellung weggeheftet wird: Wer nach Familienzuwachs seine Wohnung in Mitte verlassen will und sich nach Schöneberg oder Charlottenburg orientiert, wird nach der Partizipationslogik des weisen Kreises im Wunschkiez auch als fremd und nicht beteiligungsrelevant betrachtet.

Stand jetzt sind die vom Senat gewünschten neuen Leitlinien zur Bürgerpartizipation also nicht mehr als ein Programm zum Schutz der „Happy Few“, die in den begehrten Kiezen bereits untergekommen sind und unter sich bleiben wollen. Dass diese Gruppe ihr Partikularinteresse mit dem Schlagwort „Verdrängung“ verteidigt, ist völlig legitim. Wenn der Senat aber nur diese Partikularinteressen berücksichtigt und sich nicht als Manager einer schnell wachsenden Stadt begreift, ist das nicht mehr legitim. Er hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Staat funktioniert und Berlin seiner Sogwirkung gerecht werden kann. Wenn er stattdessen Blockade organisiert, ist das eine Kapitulation. Oder ganz schlicht schlechte Politik.

Jan-Philipp Hein

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