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Es ist Fällsaison in Berlin: In der gesamten Stadt müssen hunderte Bäume weichen. Oft aus guten Gründen.

© Paul Zinken/dpa

Baumfällungen in Berlin: Im Herbst fallen die Blätter, im Winter die Bäume

Mal sind es einzelne Bäume, mal Dutzende, die derzeit an Straßen und in Parks gefällt werden. Anwohner sind regelmäßig empört, obwohl die Bezirksämter oft gute Gründe für ihr Tun anführen können.

Die drei Männer, die auf der Großen Sternallee im Tiergarten gerade einen kerngesunden Ahornbaum kleinsägen, sind auf empörte Passanten vorbereitet: Wenn wieder einer kommt und fragt oder gleich schimpft, holen sie routiniert den Zettel aus ihrem Bezirksamtsauto, der übers "Parkpflegewerk" informiert und über die Notwendigkeit der Eingriffe, damit das Gartendenkmal ein Park bleibt und nicht zum Wald wird. Von "Lichtungen, Wiesenräumen, Sichtbezügen" ist die Rede, von zu wenig Licht unter den hölzernen Emporkömmlingen und davon, dass es dann eben erst mal "gewöhnungsbedürftig" aussehe.

Wer derzeit durch die Stadt geht und die Mitteilungen der Bezirksämter verfolgt, kann annehmen, dass die Holzfällerbranche boomt in Berlin. Mal trifft es nur zwei, drei, mal ein Dutzend Bäume. In der Tempelhofer Borussiastraße sind es 13, am Wikingerufer in Moabit werden es wohl 32, am Seekorso in Kladow rund 40, an der Leonorenstraße in Lankwitz gleich 120, im Tiergarten hier und da ein paar: Bäume, die in diesen Tagen gefällt werden. Zurück bleiben hässliche Stümpfe und traurige bis wütende Nachbarn, die den Eindruck haben, dass abgeholzt wird wie lange nicht, und um den Charakter manchen Ortes fürchten. Wie passt das zur 2012 gestarteten Stadtbaum-Kampagne des Senats? Und wie erst zur rot-rot-grünen Koalitionsvereinbarung, die die Ausweitung der Aktion auf 10.000 neue Bäume in fünf Jahren verspricht?

Im Video sehen Sie die Baumfällungen im Leonorenpark und die Proteste dagegen:

Mittlerweile kommunizieren die Bezirke die Fällungen mit den Anwohnern

Christian Hönig, Baumschutzreferent beim Umweltverband BUND, bezeichnet die aktuelle Fällsaison als "Hölle auf Erden", meint damit aber eher sein persönliches Arbeitspensum, weil er in vielen Konflikten vermittelt. Valide Zahlen, wie viel tatsächlich gefällt und gepflanzt wird, sind nicht zu bekommen. Solange die – ebenfalls im Koalitionsvertrag erwähnten – bezirklichen Baumkataster noch nicht komplett sind und unklare "Bestandskorrekturen" die jährlichen Statistiken schwanken lassen, fehlt ein plausibler Überblick über die tatsächliche Entwicklung des Baumbestandes an Straßen und in Parks.

Aber wenn der gestresste Baumfreund Hönig einen Grund zur Sorge sieht, dann eher im Neubauboom als im Geschehen entlang der öffentlichen Straßen. "Nach meinem Eindruck hat sich die Qualität der Pflege verbessert", sagt Hönig. Voreilige Fällungen intakter Bäume oder Radikalschnitte zur Vermeidung späterer Pflegekosten gebe es kaum noch. Und die ständigen Mitteilungen der Bezirke sieht Hönig positiv: Bisher hätten die Ämter oft in Hauruck-Aktionen gefällt und damit erst recht die Nachbarn verärgert. "Jetzt trauen sie sich zum ersten Mal, das zu kommunizieren und zu begründen."

Beispielhaft für die neue Transparenz steht Reinickendorf, wo nach Auskunft des Bezirksamtes in der aktuellen Fällperiode 164 Straßenbäume wegen Baumaßnahmen und 129 "im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht" gefällt werden mussten oder müssen. Kontrolliert würden die Bäume von Gärtnern des Bezirksamts, gefällt von privaten Firmen. Baustadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU) berichtet von guten Erfahrungen mit der Information der Anwohner und versichert auf Nachfrage, dass auch geschädigte Bäume nicht "auf Vorrat" gefällt, sondern dann öfter kontrolliert würden.

Manchem versetzt es einen Stich, wenn er einen Baum ohne für ihn erkennbaren Grund fallen sieht
Manchem versetzt es einen Stich, wenn er einen Baum ohne für ihn erkennbaren Grund fallen sieht

©  Stefan Jacobs

Standard sind mindestens jährliche Kontrollen. Wenn die fachkundige Betrachtung Schäden vermuten lässt, würden Rinden- oder Bodenproben genommen, sagt Derk Ehlert, Naturexperte bei der Senatsverwaltung für Umwelt. "Nach meinem Eindruck sind die Bezirke sehr zurückhaltend und fällen im Zweifel so wenig wie möglich, solange sie die Standsicherheit verantworten können", sagt er. Ein Problem sei, dass viele Straßenbäume nach dem Krieg gepflanzt worden seien und jetzt als stattliche Schattenspender ihre Altersgrenze erreichen, die in der Stadt mit Tausalz, Sommerhitze, Hundeurin und begrenztem Platz für die Wurzeln schneller erreicht ist als in intakter Natur. Und was dann nachgepflanzt wird, sieht unvermeidlich mickrig aus; die Beschaffung ausgewachsener Bäume hat einst schon Fürst Pückler ruiniert.

Pappeln können schon nach 40 Jahren problematisch werden, weil sie viele morsche Äste produzieren und mit ihren großflächigen flachen Wurzeln Geh- und Radwege ruinieren. Das gilt ähnlich für Robinien. Häufigste Art unter den ungefähr 440 000 Berliner Straßenbäumen bleibt auf absehbare Zeit die Linde.

Mindestens einmal im Jahr müssen die Bäume überprüft werden

Komplettiert wird die Tristesse nach Fällaktionen häufig von den stehengebliebenen Stümpfen, die je nach Fälltechnik auch einen knappen Meter hoch sein können – und damit als Unfallquelle taugen wie jüngst an der Südostallee in Treptow, wo Donnerstagabend ein 29-Jähriger Opelfahrer beim Aufprall auf einen solchen Stumpf schwer verletzt wurde. Diese Stümpfe stehen oft monate-, teils jahrelang. Nach Auskunft von Ehlert wird die Entfernung der Stubben jeweils in großen Paketen ausgeschrieben, weil das Herausfräsen so teuer sei. Eine Anfrage ans zuständige Bezirksamt zur Südostallee blieb am Freitag unbeantwortet.

Für die große, von Anwohnern scharf kritisierte Fällaktion in Lankwitz wurde am Freitag das Gelände umzäunt, auf dem eine Flüchtlingsunterkunft errichtet werden soll. Zur Rodung am – seit Jahren wegen Abrutschgefahr gesperrten – Wikingerufer an der Spree will die Umweltverwaltung am Dienstag informieren. Viel Zeit zum Fällen bleibt nicht mehr: Von März bis Oktober ist es aus Naturschutzgründen nur in begründeten Ausnahmefällen erlaubt. Und BUND-Baumfreund Hönig sorgt sich ohnehin eher um die Bauprojekte. Denn während eine leere Baumscheibe am Straßenrand wie ein öffentliches Mahnmal wirkt, werden für Neubauten erfahrungsgemäß zuerst die Bäume gerodet und zuallerletzt die Außenanlagen wieder hergerichtet. Bis dahin sei mancher einst dagewesene und zu ersetzende Baum längst vergessen.

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