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In vielen Familien wird auf die Zahnpflege der Kinder zu wenig Wert gelegt.

© picture alliance / Achim Scheide

Barmer wertet Daten für Berlin aus: Nur 35 Prozent der Kita-Kinder waren regelmäßig beim Zahnarzt

Viele Eltern gehen mit ihren Kindern nicht zum Zahnarzt. Ähnlich wie bei der Masernimpfung: Könnte ein Pflichttermin vor dem Kita-Besuch helfen?

Zwei Drittel der Berliner mit Kindern im Kita-Alter gehen mit ihnen kaum zum Zahnarzt. Das teilte die Barmer am Mittwoch mit. Den Daten der Krankenkasse zufolge waren von 2010 bis 2018 nur 35 Prozent der Zweieinhalb- bis Sechsjährigen jährlich bei einer Zahnkontrolle, 15 Prozent der Berliner Kita-Kinder haben jahrelang gar keinen Zahnarzt besucht.

Dieser Trend hat sich Ärzten zufolge 2019 fortgesetzt – und könnte im Pandemiejahr 2020 noch drastischer ausfallen. Mediziner fast aller Disziplinen berichten, dass im ersten Halbjahr 2020 weniger Patienten aller Altersgruppen in Berlins Praxen kamen.

Die Barmer-Experten erklärten, dass insbesondere Kinder einkommensschwacher Familien selten zum Zahnarzt gehen. Dabei seien solche Vorsorge-Besuche keine Geldfrage, sondern ab dem sechsten Lebensmonat eine Kassenleistung, sagte Berlins Barmer-Chefin Gabriela Leyh. Falsch sei die verbreitete Annahme, dass Zahnpflege bei Milchzähnen nicht so wichtig sei: Zwar fallen Milchzähne aus, waren sie zuvor aber kariös, schädige dies auch die nachwachsenden, bleibenden Zähne.

In der Medizin werden häufig die Zähne im schon bleibenden Gebiss von Zwölfjährigen verglichen. Nach den Abrechnungsdaten der Barmer waren in Berlin von 2010 bis 2018 mehr als 36 Prozent der Zwölfjährigen wegen Karies beim Zahnarzt – das ist mehr als im Bundesdurchschnitt. Demnach seien wenige Kinder massiv von Karies betroffen. Bei zehn Prozent der Kinder, die 2018 wegen Karies behandelt wurden, fielen 85 Prozent der Behandlungskosten an.

Vor Kita-Besuch verpflichtender Zahnarzt-Termin?

"Es sind die Kinder aus einkommensschwachen Familien, die am häufigsten Füllungen und Wurzelbehandlungen bekommen und nur schwer mit Präventionsangeboten zu erreichen sind", sagte Leyh. "Zu diskutieren wäre, ob ähnlich wie bei der Masernimpfung, die Eltern in der Kita einen Besuch beim Zahnarzt nachweisen oder regelmäßig darauf hingewiesen werden sollten."

Leyh verwies auch auf die Gesundheitsämter. Bei den von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CSU) angekündigten Milliardeninvestitionen in den öffentlichen Gesundheitsdienst müsste auch an die "Schwächsten unserer Gesellschaft" gedacht werden.

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Die Versicherten der Barmer können als weitgehend repräsentativ gelten. Für die aktuelle Studie habe die gesetzliche Kasse die Daten zudem so gewichten lassen, dass sie den Bevölkerungsschnitt abbilden. Kritik gibt es dennoch: Man könne davon ausgehen, dass 80 Prozent der Kinder in Deutschland kariesfrei seien, schreibt das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) in einer Stellungnahme zu den Barmer-Daten. Das IDZ ist die Forschungseinrichtung von Bundeszahnärztekammer und Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung.

Einschulungsuntersuchungen fielen wegen der Coronakrise aus

Auch die Coronakrise könnte die mangelnde Zahngesundheit verschärfen. Wie berichtet wurden Tausende Kita-Kinder in Berlin dieses Jahr nicht von den Gesundheitsämtern untersucht. Die Amtsärzte haben sich in der Pandemie auf den Infektionsschutz konzentrieren müssen. Damit entfielen auch die Zahnkontrollen kurz vor der Einschulung. Umso wichtiger sei es, appellierte Barmer-Landeschefin Leyh, dass Eltern mit ihren Kindern zum niedergelassenen Zahnarzt gingen.

Die Barmer-Experten warnen zudem vor der Molarenen-Inzisiven-Hypermineralisation, ein MIH abgekürztes Zahnleiden. Bei den umgangssprachlich auch Kreidezähnen genannten Leiden handelt es sich um eine gelb-bräunliche Verfärbung des Zahnschmelzes, der dabei deutlich schmerzempfindlicher ist.

Nicht nur die Zahngesundheit unter Kita-Kindern gilt als problematisch. So ergaben die Einschulungsuntersuchungen 2017, dass 35 Prozent der Fünfjährigen im kognitiven Bereich "grenzwertige" oder "auffällige" Befunde zeigten, 2005 waren es 25 Prozent. Auch bei der Auge-Hand-Koordination waren die Zahlen schlecht: Mehr als 30 Prozent aller Kinder vor der Einschulung hatten Probleme beim Einsatz von Schere und Stift - das waren fünf Prozent mehr als 2005.

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