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Engagement als Lebenswerk. Barbara John ist seit Jahrzehnten für den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Einsatz.

© imago/Christian Ditsch

Barbara John über Verantwortung in Krisenzeiten: „Die Hilfsbereitschaft ist wachgeküsst worden“

Während der Coronapandemie erfuhr das Ehrenamt und die Nachbarschaftshilfe eine neue Dimension. Barbara John, Präsidentin des Berliner Päritätischen, im Interview.

Barbara John prägt die Stadt seit Jahrzehnten auf ihre Weise. Die frühere Ausländerbeauftragte des Landes Berlin ist unter anderem seit 2003 Vorsitzende des Paritätischen Landesverbands Berlin und neben vielen anderen Tätigkeiten auch Ombudsfrau für die NSU-Opfer und sie wurde von der Bundesregierung in die Fachkommission für Rahmenbedingungen der Integration berufen.

Gerd Nowakowski, Autor des Tagesspiegel-Newsletters „Ehrensache“, sprach mit der Tagesspiegel-Kolumnistin über das bürgerschaftliche Engagement in Zeiten der Coronapandemie.

Frau John, in der Nachbarschaftshilfe sind digitale Plattformen und unorganisierte Menschen in sehr kreativer Weise und ungeahnter Vielfalt und Stärke tätig. Bringt das traditionelle Wohlfahrtsverbände und Organisationen in Bedrängnis?
Menschen sind unterschiedlich. Weil wir verschieden sind, brauchen wir vielfältige Angebote. Es wäre ganz unparitätisch, zu sagen, ein Verband hat allen zu passen. Menschen entscheiden, was sie brauchen, an wen sie sich wenden wollen und zu wem sie Vertrauen haben. Nicht wir. 

Wichtig ist, dass auch der Staat diesen Grundsatz sozialer Arbeit nicht vergisst. Soziale Dienstleistungen wieder zu verstaatlichen, wie es hier und da geschieht, beschädigt Subsidiarität und Wahlfreiheit. Ohne einen staatlichen Rahmen und Sozialgesetze lässt sich heute kaum noch soziale Arbeit ausüben. Soziale Leistungen sind systemrelevant – beispielsweise Pflege, Kitas, Heime für Menschen mit Behinderungen. Soziale Arbeit ist körperlich und mental anspruchsvoll und anstrengend. Die Einkommen bilden das nicht ab.

Was muss nach der Pandemie von der aktuellen Erfahrung bleiben, dass sich die Menschen in so beeindruckender Weise engagiert haben – sowohl die Organisationen als auch Nachbarn und Kiezbewohner?
Die große Hilfsbereitschaft in der Zivilgesellschaft, die ist richtig wachgeküsst worden durch die Umstände. Das bleibt erst mal erhalten. Es ist sichtbar geworden, dass die Menschen gar nicht erwarten, dass der Staat alles regeln kann, sondern dass sie sich verantwortlich fühlen und anpacken.

[Wer noch mehr über ehrenamtliches Engagement in Berlin erfahren will: Der neue Tagesspiegel-Newsletter Ehrensache erscheint monatlich, immer am zweiten Mittwoch. Hier kostenlos anmelden: ehrensache.tagesspiegel.de]

Was den Lockdown angeht, da hat der Staat verfügt, verboten und geboten. Was das Alltagsleben angeht, im Rahmen der notwendigen Beschränkungen, das haben die Bürger erfunden und praktiziert, ein öffentliches Dienstleistungswunder. Mach einfach mit und übernimm Verantwortung, das ist das Prinzip einer starken Zivilgesellschaft, wie wir es gerade jetzt erleben. Staat und Bürokratie sollten sich das merken.

Das bedeutet, dass man die Rahmenbedingungen entsprechend gestaltet, damit die Menschen auch erfolgreich Verantwortung übernehmen können?
Ja – stärker einbeziehen über Organisationen, die nicht parteipolitisch strukturiert sind. Die Zivilgesellschaft ist von vornherein liberaler und offener und kein closed shop, wie das in den Parteien oft der Fall ist.

Die Systemrelevanz der professionellen Helferinnen und Helfer wird sich hoffentlich in besseren Arbeitsbedingungen niederschlagen – und was ist mit dem Einsatz der Ehrenamtlichen?
Zumindest sind die Aufwendungen zu erstatten. Ein Beispiel: Wir verteilen an Helferinnen und Helfer BVG-Karten, damit sie auch bei kleinem Einkommen ehrenamtlich mobil sein können. Die bürokratischen Bedingungen sind so umständlich, dass man für die Abrechnung dieser kleinen Summen mehr Zeit benötigt, als der ehrenamtliche Einsatz dauert. Was uns im Verband wichtig ist: Ehrenamt und Hauptamt arbeiten zusammen. Ehrenamtliche gehören voll dazu. Wir sehen sie nicht nur bei ihrer Arbeit, wir feiern gemeinsam und wir ehren sie.

Stärkt die Krise die demokratische Gesellschaft, oder spaltet sie diese in unbekümmerte Junge und gefährdete Alte, für die man all die Einschränkungen verfügen muss?
Das wird sich zeigen. Oft ist es ja eine Krise, die Verborgenes ans Licht bringt. Etwa, dass das Lebensalter ein Kriterium sein kann über Leben und Tod zu entscheiden. Was ist das denn? Vielleicht gilt das auch für die Hautfarbe, das Geschlecht oder eine Behinderung. Das gab’s ja alles schon mal. Über moralische Prinzipien, die bedingungslos für alle gelten, müssen wir unbedingt weiterreden. Denn die Pandemien und andere Schrecken kommen wieder.

Ist diese Coronakrise in besonderer Weise eine Bewährungsprobe für den Paritätischen Wohlfahrtsverband?
Wie für alle. Wir erleben in allen Organisationen eine schmerzhafte Umstellung der Arbeit. Anstatt mit Menschen von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, muss jetzt das Telefon oder die Video-Konferenz herhalten. Da haben natürlich gerade Ältere Schwierigkeiten, die über diese Technik nicht verfügen. Trotzdem laufen die Beratungen weiter, über Telefon oder online, und es gibt Kontakte über Einkaufshilfen. Wir können auf viele Träger zurückgreifen, die so etwas anbieten.

Außerdem verteilen wir seit Wochen täglich viele Spenden, die wir erhalten – Handschuhe, Masken, Schutzkleidung an Mitarbeiter von Pflege- und Seniorenheimen, aber auch an Obdachlose und Bedürftige. Aber wir haben günstige Voraussetzungen, die uns helfen.

Babara John, Präsidentin des Berliner Paritätischen.
Babara John, Präsidentin des Berliner Paritätischen.

© picture alliance / dpa

Die haben wir nicht geschaffen für die Coronakrise, sondern einfach aus unserem Selbstverständnis heraus, dass Sozialarbeit im Paritätischen Wohlfahrtsverband vor allem Netzwerkarbeit ist. Das heißt, dass es keine autoritären und hierarchischen Strukturen von oben herab gibt. In diesem Netzwerk wendet man sich nicht erst von unten an eine zentrale Führung, sondern an andere Mitglieder. 

Mit vielen Verbänden, die auch gegensätzliche Ideen haben, kann die gemeinsame Arbeit nur gelingen wenn alle wissen, dass die Meinungen und Arbeit der anderen anerkannt werden. Verschiedene Organisationen sind anfangs oft bei Themen unterschiedlicher Meinung – aber alle sitzen gemeinsam in einer Fachgruppe und müssen das irgendwie aushandeln und sich aushalten. Die Arbeit des Paritätischen Dachverbands ist es, dieses Netzwerk zu organisieren und zu stärken, auch durch Qualifikationsangebote.

2020 ist das Jubiläumsjahr für den Paritätischen Wohlfahrtsverband: Ein guter Grund, aber kein guter Zeitpunkt zum Feier des 70. Bestehens?
Es wird leider keine öffentliche Feier geben. Das Jubiläum bedeutet aber für uns, sich zu erinnern, warum wir in 70 Jahren von 12 auf 780 Mitgliedsorganisationen gewachsen sind. Und wir können darüber nachdenken, was eigentlich unsere Arbeit in dieser Stadt ausmacht und wie wir mit Berlin verbunden sind.

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