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Teilnehmer der Großdemonstration des Aktionsbündnis #AlarmstufeRot zur Existenznot der Veranstaltungswirtschaft.

© Kira Hofmann/dpa-Zentralbild/dpa

Update

Bankrott, Verzweiflung, „Katastrophe“: Der zweite Lockdown macht Gastronomen und Veranstaltern Angst

Bund und Länder haben deutlich strengere Corona-Maßnahmen vereinbart. Bei Wirten und Künstlern ist die Not schon jetzt groß. Trotzdem gibt es auch Befürworter.

Castus spielt Dudelsack, er ist der Kopf der Mittelaltermusikgruppe Corpus Corax. Er habe Angst vor dem Winter, sagt er. Im Sommer konnte seine Band kleinere Konzerte mit 150 Leuten spielen. Jetzt geht das nicht mehr. „Ich will nicht zum Arbeitsamt müssen“, sagt er und wünscht sich mehr finanzielle Hilfen für Soloselbständige.

Er steht vor dem Neptunbrunnen am Alexanderplatz, hinter ihm warten die Wägen im Demozug der Großdemonstration des Aktionsbündnisses „Alarmstufe Rot“. Es besteht aus Verbänden und Initiativen der Veranstaltungsbranche.

Auf den Wagen steht „Rettet die Veranstaltungsbranche!“ und „Wir sind systemrelevant“. Teilnehmer halten Transparente in die Luft, auf denen steht „Kultur mit Corona kannste dir Spahn“ und „Stoppt die Pleitewelle“.

Trotz stetig steigender Coronazahlen ging das Aktionsbündnis am Mittwoch in Berlin-Mitte auf die Straße, um für Maßnahmen zur Rettung der Veranstaltungsbranche zu demonstrieren. Über 4000 Teilnehmende zogen der Berliner Polizei zufolge vom Alexanderplatz über das Regierungsviertel zum Brandenburger Tor. Erwartet hatten die Veranstalter „eine fünfstellige Teilnehmerzahl“, 6000 Teilnehmer waren bei der Polizei angemeldet.

Zusätzlich fuhr ein Autokorso mit 284 Fahrzeugen vom Olympischen Platz in Charlottenburg zum Brandenburger Tor, wo gegen 15 Uhr die Abschlusskundgebung stattfand.

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Die Versammlung verlief ruhig, die Hygienemaßnahmen wurden weitestgehend eingehalten – auch wenn nicht immer der Mindestabstand gewahrt wurde.

Die Spandauer Straße in Mitte war wegen des Demozugs bereits seit ca. 10.30 Uhr in beide Richtungen zwischen Karl-Liebknecht-Straße und Rathausstraße gesperrt. Auch die Straße des 17. Juni und die Ebertstraße vor dem Brandenburger Tor bleiben bis zum Abend unbefahrbar. Die BVG musste die Buslinie 100 zwischen Spandauer Straße/ Marienkirche und Nordische Botschaften / Adenauer-Stiftung umleiten. Die Linie X10 fuhr nicht zwischen dem S-Bahnhof Halensee und Zoologischer Garten.

„Wir sind keine Coronaleugner und Schwurbler“

„An dieser Stelle möchte ich mich schon mal bei allen Berlinerinnen und Berlinern entschuldigen, dass wir die Stadt lahmlegen“, sagte der Präsident des Berufsverbands „Discjockey“ Dirk Wöhler bei einer Pressekonferenz am Mittwochvormittag.

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Die Demonstration sei jedoch die einzige Möglichkeit, auf die Situation der Branche aufmerksam zu machen. „Die Liebemeines Lebens wird mir genommen“, sagte der DJ, der die Demonstration mitorganisierte.

Dirk Wöhler, Präsident des Berufsverbandes "Discjockey", vor dem Brandenburger Tor.
Dirk Wöhler, Präsident des Berufsverbandes "Discjockey", vor dem Brandenburger Tor.

© Foto: Jörg Carstensen/dpa

Auch das Augsburger Figurentheater fürchtet um seine Existenz. Der Familienbetrieb in der 7. Generation hat die letzten Monate mit Soforthilfe überbrückt. Jetzt hat die vierköpfige Familie, die am Mittwoch auch auf der Demonstration mitlief, Existenzängste. „Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll“, sagt die Familie.

„Dass Angela Merkel einen Lockdown erwägt, zeugt von Ignoranz gegenüber unseren Bemühungen und Hygienekonzepten“, sagte einer der Veranstalter bei der Demo. Man habe zeigen wollen, wie große Versammlungen mit Hygienekonzepten auch während einer Pandemie durchgeführt werden können.

„Indem die Politik Veranstaltungen verbietet, stellen sie uns in eine Ecke mit Superspreadern“, ruft ein Redner. Dabei betonten die Veranstalter, dass sie nicht gegen die Coronamaßnahmen demonstrieren, dass sie keine „Coronaleugner und Schwurbler“ seien.

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Roland Kaiser: „Die Branche darf nicht zum Kollateralschaden werden“

Das Aktionsbündnis fordert dafür jedoch eine Ausweitung der finanziellen Überbrückungshilfen. Bisher sind diese auf 50.000 Euro im Monat für jedes Unternehmen gedeckelt. Dies reiche für viele Veranstaltungsunternehmer jedoch nicht, ihre Fixkosten, etwa für Personal, zu decken.

Außerdem wünscht sich die Initiative eine rückwirkende Übernahme ihrer Ausfälle in den vergangenen acht Monaten, eine Ausfallabsicherung für abgesagte Events und eine Flexibilisierung des Kurzarbeitergeldes.

Der Sänger Roland Kaiserbei der Pressekonferenz vor der Groß-Demo.
Der Sänger Roland Kaiserbei der Pressekonferenz vor der Groß-Demo.

© Jörg Carstensen/dpa

Viele Beschäftigte aus der Veranstaltungsbranche würden sich bereits beruflich umorientieren. Das beobachtet auch der Schlagersänger Roland Kaiser, der das Aktionsbündnis unterstützt. „Ich habe Angst um viele Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich auf Touren zusammengearbeitet habe, um die jungen Künstler am Anfang ihrer Karriere“, sagt Kaiser. Die Branche dürfe nicht zum Kollateralschaden im Kampf gegen das Coronavirus werden.

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Ungefähr zur selben Zeit, als auf der Bühne der Abschlusskundgebung Schlagersängerin Geraldine Olivier und Sänger Campino von den Toten Hosen Solidarität und finanzielle Hilfen für die Veranstaltungsbranche forderten, sickerten Informationen aus der Schalte von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder durch: Beschlossen wurden Lockdown-Maßnahmen, die bereits ab dem 2. November gelten sollen.

Theater-, Opern- und Konzerthäuser sollen bis Ende des Monats schließen, Amateursport ausfallen und Profisport nur noch ohne Zuschauer stattfinden. Geht es nach dem Bund, sollen auch alle Gastronomiebetriebe bis Ende November schließen – mit dem Vorbehalt einer Überprüfung der Maßnahmen nach zwei Wochen.

Gastronomen fürchten erneute Einbußen während zweitem Lockdown

Auch der Berliner Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) war am Mittwoch auf der Straße. Thomas Lengfelder, der Geschäftsführer des Berliner Dehoga-Verbands, sagte, die Stimmung in der Branche sei eine „Katastrophe“, ein Lockdown werde ein Drittel der Betriebe die Existenz kosten.

Dabei sei die Stimmung in den Berliner Hotels sogar noch schlechter, denn mit Auslastungen um zehn Prozent sei ein wirtschaftlicher Betrieb undenkbar – und man müsse annehmen, dass die Zahl der Gäste im Lockdown weiter sinke.

Antonio Bragato von der Enoiteca Il Calice in Charlottenburg sieht den drohenden neuen Lockdown als das Ende einer „Aufholjagd erste Sahne“: Man habe im Sommer die Verluste durch die erste Sperrphase zu einem großen Teil ausgleichen können und werde nun vermutlich erneut zurückgeworfen.

Er hoffe aber, dass die Einschränkungen nach spätestens vier Wochen aufgehoben werden können, um der Gastronomie wenigstens noch ein kleines Weihnachtsgeschäft zu ermöglichen. Letztlich komme es darauf an, welche Entschädigung der Staat gewähre, „denn warum sollen wir in der Gastronomie wieder allein die Zeche zahlen?“ Bragatos Ferienprogramm für die Belegschaft: Schulungen und Renovierungsarbeiten.

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Einen guten Sommer hat das im Frühjahr wieder eröffnete „Rutz Zollhaus“ in Kreuzberg hinter sich, wie überhaupt alle Restaurants mit Terrassen bis zuletzt viel vom Einbruch aufholen konnten. Nun aber sei die Unsicherheit groß, sagt Pia Kindermann, die stellvertretende Restaurantleiterin. Man werde sich am Freitag mit allen Beschäftigten der Rutz-Gruppe zusammensetzen und über das weitere Vorgehen entscheiden.

„Relativ entspannt“ nimmt hingegen Björn Swanson die Lage, der Inhaber des brandneuen kleinen Restaurants „Fält“ im Schöneberger Vorberg-Kiez. Er hat erst am 1.Oktober eröffnet, spricht aber von „guten Reserven“, mit denen er einen Monat überstehen könne, das Restaurant sei von Beginn an bestens angenommen worden. Mit seinen Leuten hat er bereits begonnen, ein Lieferprogramm zu entwickeln, und auch eine Kooperation mit nahen Bäckereien ist in Arbeit.

Viele Schausteller in Berlin stehen vor dem Bankrott

In einem offenen Hilferuf wandten sich die Schausteller in Berlin an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Sie befürchten, dass ein zweiter Lockdown ihre Branche „erneut deutlich härter treffen“ werde.

„Mit der Absage von Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkten oder Volksfesten bzw. mit der Beschränkung auf Besucherzahlen, die eine wirtschaftliche Durchführung nicht rechtfertigen, ist auch die letzte Chance vertan, dass die Schausteller vor der Winterpause noch einmal aus eigener Kraft Geld verdienen“, heißt es in dem Brief.

Ein Jahr ohne Einnahmen und keine Perspektive auf Besserung in den kommenden Monaten bedeute für viele Schaustellerfamilien den Bankrott.

Corona-Leid der Berliner Theater: „Ich wüsste nicht mehr, was ich machen soll“

„Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen verzweifelt“, sagt Adolfo Assor. Der Schauspieler betreibt seit mehr als 30 Jahren das „Garn-Theater“ in Kreuzberg als Ein-Mann-Betrieb. Vor der Corona-Zeit hatte Assor fünf bis sechs Vorstellungen in der Woche. Nach der Wiedereröffnung im vergangenen Juni habe sich die Zahl seiner Auftritte bereits halbiert. Das kleine Theater mit 33 Plätzen biete nach Corona-Bestimmungen nur noch Platz für höchstens zwölf Gäste.

„Letztes Jahr hatte ich ein volles Haus“, sagt Assor, „und jetzt reichen die Einnahmen gerade so noch zum Überleben. „Sollten die Regelungen wieder ganz scharf werden, wüsste ich nicht mehr, was ich machen soll.“ Dennoch will der 75-Jährige versuchen, seine Arbeit, so gut es geht, fortzusetzen. „Ansonsten kann ich den Laden ja gleich schließen.“

Das Prime Time Theater in der Müllerstraße in Wedding noch vor der Pandemie.
Das Prime Time Theater in der Müllerstraße in Wedding noch vor der Pandemie.

© Kitty Kleist-Heinrich TSP

„Natürlich ist es beschissen, aber auch verständlich – sollte es wieder zu einer Schließung kommen“, sagt Johanna Magdalena Schmidt, die stellvertretende Intendantin  des „Prime Time Theater“ in Wedding. Das Theater stehe „voll und ganz“ hinter den erforderlichen Maßnahmen. Gut gehe es den zehn Angestellten des Theaters dabei dennoch nicht. Das Theater hatte sich unter Corona-Auflagen von 230 auf 44 Plätze verkleinern müssen und für alle Kurzarbeit angemeldet. „Dadurch sind wir zwar abgesichert, müssen aber noch laufende Kosten wie etwa Miete zahlen.“

Schmidt blickt trotzdem zuversichtlich in die Zukunft: „Wir werden das überstehen.“ Die stellvertretende Intendantin wünscht sich, dass die Politik mit Kurzarbeitergeld oder Corona-Hilfen die in Not geratenen Betriebe auch weiterhin finanziell unterstützt. „Ansonsten wünschen wir uns auch sehr, dass sich alle an die Corona-Regeln halten.“

Tragödie für die Komödie am Kudamm?

Der Geschäftsführer des Privattheaters „Komödie am Kurfürstendamm“, Martin Woelffer, wünscht sich mit Blick auf die neuen Regelungen, dass die Politik zwischen gefährlicheren und weniger gefährlichen Orten differenzierte. „Partys und private Feiern sind dabei anders zu gewichten als Theater.“

Nicht zuletzt dank guter Hygiene-Konzepte fühlten sich Menschen im Theater sicher. Das Publikum hatte sich gerade wieder daran gewöhnt, unter den Corona-Auflagen auszugehen. „Eine zweite Schließung würde die Menschen wieder verunsichern.“ Dabei brauchten viele gerade in der Corona-Zeit „Urlaub von ihrem Alltag“. „Ins Theater gehen streichelt auch die Psyche“, sagt Woelffer.

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Den Betrieb würde eine weitere Schließung teuer zu stehen kommen. „Die Saalkapazität ist aktuell auf nur 300 Gäste statt 1000 Gästen reduziert.“ Ein weiterer Lockdown kostet das Theater jeden Tag 10.000 Euro.

Für die etwa 50 Angestellten und insgesamt 120 freien Schauspieler wäre das „eine höchst existenzbedrohliche Situation“. Woelffer hofft auf eine Ausfallentschädigung vom Staat, sollte es wieder zur Schließung kommen. „Wenn Kultur erhalten werden soll, kostet das den Staat.“

Vor allem die Bundesregierung solle den Versprechungen mehr Taten folgen lassen. Für den Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linke) findet Woelffer Lob: „Herr Lederer tut sehr viel für die Berliner Kultur.“

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