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Robert Schrödel (2. von links) bei einer Preisverleihung mit Fußballer Lothar Matthäus (links) in Berlin im Jahr 2013.

© Sven Darmer/Davids

Bankrott, Betrug und Untreue: Der tiefe Fall des Berliner Unternehmers Robert Schrödel

Robert Schrödel half Kliniken, nachhaltiger zu wirtschaften. Er schaffte Jobs, man ehrte ihn mit Preisen. Doch er wollte Luxus – und fing an zu betrügen.

Es war nicht die Fahrt in Schlangenlinien samt Crash auf dem Ku’damm, die Robert Schrödel im Oktober 2020 in die JVA Moabit brachte. Er hatte zwar ein Fahrzeug gerammt, war mit einem Mann in Streit geraten und sei dann so aggressiv geworden, dass Passanten die Polizei riefen, hieß es. Die Beamten hätten ihn nach Behandlung der Schnittwunden im Franziskus-Krankenhaus in Tiergarten aber wohl wieder laufen lassen – wenn sie nicht erfahren hätten, dass die Staatsanwaltschaft längerfristige Pläne mit ihm hatte. Es bestand Fluchtgefahr.

Diese Autofahrt im Rausch war nicht die erste dieser Art und nur der Auftakt zum Showdown eines mehrjährigen Roadtrips, nur einer von vielen Höhepunkten in einem zeitweise filmreifen Ganovenstück: Robert Schrödel, früher einer der schillerndsten Unternehmer Berlins, ist der Held dieser Geschichte – allerdings keiner wie Robin Hood.

Der 63-Jährige sitzt weiterhin in Moabit und ist mittlerweile zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Berlin sah es Ende Januar als erwiesen an, dass Schrödel sich der Insolvenzverschleppung, Bankrotts in zwei Fällen, Betruges in sieben und Untreue in 467 Fällen schuldig gemacht hatte. Die Vorsitzende Richterin bescheinige Schrödel ein Vorgehen mit „außerordentlicher Dreistigkeit“. Er dürfte bald in eine andere Haftanstalt verlegt werden, weil er das Urteil akzeptiert hat. Es ist somit rechtskräftig.

Schrödel hatte, so heißt es in der Urteilsbegründung, zwischen Januar 2014 und August 2017 Gesellschaftsvermögen seiner Aktiengesellschaft Pioneer Medical Devices AG und des von ihm kontrollierten Vereins DIAM e.V. für private Zwecke – unter anderem für Reisen und Bälle – „abgezwackt“, wie das Gericht erklärte.

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Weil der Angeklagte ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte, fiel seine Strafe milder aus. Auch wurden einige Anklagepunkte fallengelassen (Az: 526 KLs 13/20). Monate vorher hieß es noch, Schrödel habe „unter Täuschung über die tatsächliche Werthaltigkeit mehrere Aktienpakete in Höhe von insgesamt mehr als zehn Millionen Euro an drei geschädigte Käufer betrügerisch veräußert, wie die Staatsanwaltschaft sagte. Das Gericht stellte nun einen Bruchteil des Schadens fest.

Einer dieser Betrogenen war der russische Unternehmer Alexandr Kaplan. Er gab Schrödel rund fünf Millionen Euro für eine Beteiligung an seiner Medizintechnikfirma: „So einem Gauner bin ich noch nie begegnet“, behauptete Kaplan in einer TV-Doku über Schrödel, und zeigte ihn an. „Mein Alarmsystem war leider ausgefallen. Was für ein Typ!“

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Dieser Typ, Robert Schrödel, wird am Silvestertag 1957 in Bayreuth geboren, jener fränkischen Stadt, die fast jedes Jahr eine beträchtliche Anzahl der oberen Zehntausend zu den Festspielen des Komponisten Richard Wagner lockt. Auch Schrödel sucht die Nähe zur gesellschaftlichen Elite, wenn auch nicht am Grünen Hügel. Erst studiert er ab 1975 Betriebswirtschaft auf Diplom in Nürnberg mit den Schwerpunkten Organisation, Personalwesen und Marketing. Dann betreibt er ein „Pharmakologisches Grundstudium“ in München. Die Jahre 1985 bis 1992 arbeitet Schrödel beim Pharmakonzern Schering in Berlin.

Ab Mitte der 90er Jahre wird es unübersichtlich in seinem Lebenslauf

1993, im Alter von 36 Jahren, macht er sich selbstständig. Laut Handelsregister gründet er in Potsdam die „Nowak & Schrödel GmbH Integrative Konzepte Wirtschaft, Umwelt, Gesellschaft“. Von diesem Zeitpunkt an, beginnt es unübersichtlich zu werden in seinem Lebenslauf. Kritiker glauben: Das war Teil seiner Betrugsmasche.

Jemand, der es gut mit ihm meint, aber nicht genannt werden will, behauptet, Schrödel hatte keine Masche, keinen Masterplan: „Er hat sich gesagt: Ich arbeite hart. Mir steht das Geld zu. Er hat irgendwann aber die Kontrolle verloren und in Kauf genommen, dass Dritte geschädigt werden“. Zudem sei Schrödel körperlich krank. Doch selbst ein schwerer Hüftschaden und zwei Operationen am offenen Herzen beim Deutschen Herzzentrum Berlin bewahrten ihn am Ende nicht vor dem Zugriff der Justiz.

„Robert S.“, so wird er in einer sehenswerten Dokumentation „Justiz am Limit – Der Kampf gegen Wirtschaftskriminelle“ von ZDF und Handelsblatt genannt, gründete ab Ende der 1990er-Jahre ständig neue Firmen: Sie heißen Berlex, Vanguard, Pioneer Medical Devices, BYOS Interventional oder Bionicor Innovation. Das ZDF hat den 44-Minuten-Film im Januar in seinem Info-Spartenkanal versteckt. Er ist aber noch in der Mediathek abzurufen. In der Doku geht es um das Rätsel, wie Schrödel so lange mit Betrügereien durchkommen konnte. Eine These im Film: Das war so nur möglich in Berlin, weil die Justiz der Hauptstadt noch unterfinanzierter und speziell mit Wirtschaftsdelikten überforderter ist als andernorts.

Schrödel versteckt sich nicht, sucht das Rampenlicht

In seinen Zeiten als Vorstandschef versteckt sich Schrödel nicht, im Gegenteil. Mit schulterlangem Haar und getönter Brille ist er auf Events leicht wiederzuerkennen. Er lässt sich mit Ministern fotografieren, demonstriert sein Können als Jazz-Schlagzeuger und lässt sich attraktiven Frauen begleiten und öfter in einem Bentley durch die Stadt fahren, Autofarbe weiß, der Chauffeur schwarz.

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Letzteres ist sogar Freunden zu viel schlechte Show – schreckte aber nicht jeden Geschäftspartner ab. „Er war ein wenig sonderlich, exzentrisch. Es war schwierig zu sagen, ob er wirklich Geld hatte“, erinnert sich der russische Geschäftsmann Kaplan in der ZDF-Doku an die ersten Treffen 2015. „Aber er machte den Eindruck reich zu sein. Und das war ihm wirklich wichtig“.

Schrödel schwimmt damals auf der Welle der boomenden Medizintechnikbrache: Es waren Goldgräberjahre rund um die Jahrtausendwende. 1999 stiegt der Dialyse-Spezialist Fresenius Medical Care in den Aktienleitindex Dax auf, 2009 auch die Muttergesellschaft Fresenius. In dieser Zeit werden die Ratiopharm-Eigner zu Milliardären. Schrödel nicht. Er wird 2007 von der Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) als „Entrepreneur des Jahres“ in der Kategorie Dienstleistung gekürt. Da hatte er vor Gericht aus Angst vor Gläubigern schon gefälschte Urkunden zu seiner angeblichen Zahlungsunfähigkeit präsentiert – während er fast zeitgleich viele Tausend Euro für Geschenke in Läden von Gucci und Bulgari lässt und an einem Charity-Golfturnier teilnimmt.

2009 wird Schrödel auch öffentlich der Bilanztrickserei und des Betruges beschuldigt und vom Aufsichtsrat seines eigenen Unternehmens, der Vanguard AG, entlassen. Das machte Schlagzeilen, weil sein Berliner Unternehmen zwischenzeitlich mit einem Wert von immerhin 250 Millionen Euro bewertet worden war. Konkreter Straftaten überführt wurde Schrödel aber nicht. Seine Anwälte greifen jeden an, der es wagte, ihm etwas Illegales zuzuschreiben. Auch der Tagesspiegel hatte 2009 nach intensiver Korrespondenz mit einem Medienrechtsanwalt eine sogenannte Gegendarstellung Schrödels abgedruckt, in der es wörtlich hieß: „Es stimmt nicht, dass Objekte und Posten, die in den Büchern standen, nicht existierten. Falsch ist auch, dass ich Rechnungsempfänger erfunden habe.“

Robert Schrödel (Mitte) bei der Eröffnung eines Werks in Aschersleben mit dem damaligen Landesminister Hartmut Möllring (CDU, links) und dem damaligen Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP, rechts).
Robert Schrödel (Mitte) bei der Eröffnung eines Werks in Aschersleben mit dem damaligen Landesminister Hartmut Möllring (CDU, links) und dem damaligen Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP, rechts).

© Jens Wolf / dpa

Er sieht und inszeniert sich als Opfer, das vom Establishment verdrängt werden sollte. Man nehme ihm sein Lebenswerk, die bis heute existierende Vanguard AG. Er attackiert Leute wie Marcus Bracklo, der als damaliges Mitglied im Aufsichtsrat auf Ungereimtheiten gestoßen war und die mittlerweile aus der Insolvenz gerettete Vanguard AG als Vorstandschef führt. Die Firma residiert nicht mehr an der feinen Friedrichstraße, sondern in einem Business-Park an der B1 in Berlin-Mahlsdorf.

Bracklo wirkt heute noch angefasst, wenn er am Telefon über die turbulenten Zeiten spricht. Es habe viele Jahre gedauert, das Unternehmen mit seinem eigentlich sehr erfolgversprechenden Geschäftsmodell zu sanieren. „Wir sind nach vielen Jahren der Sanierung auf gutem Wege“.

Das Geschäftsmodell seiner Firma passt heute sogar noch besser in die Zeit

Das Konzept von Vanguard und der späteren Firma Pioneer soll Schrödel in den USA entdeckt haben. Und es passt heute sogar noch mehr in die Zeit als vor zwölf Jahren: Denn die Vanguard AG betreibt sogenanntes Remanufacturing von medizinischem Gerät. Die Firma bereitet nicht nur OP-Besteck aus Metall auf, das sich verhältnismäßig leicht sterilisieren lässt, sondern komplexe Teile aus Kunststoffen, die bis zu 50 Prozent der Kosten einer Operation ausmachen können und in der Regel noch im OP-Saal in der Mülltonne landen: Kanülen und Katheter zum Beispiel. Vanguard versetzt sie in einen fast neuen Zustand und liefert sie den Kliniken zurück. Die sparen Geld – und die Welt Ressourcen. Wenn bald noch, wie erwartet, die EU-Regulierung mitspielt, könnte das der Durchbruch für Firmen wie Vanguard werden.

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War Schrödel nur zu früh am Markt? Er wollte schnellen Erfolg: Privat ließ er sich nieder am Hundekehlesee in Grunewald, ein Ort der auch wegen seiner Geschichte zu ihm passt. Bis Ende des 19. Jahrhunderts führten um den See noch Spazierwege. Doch dann verkaufte der preußische Forstfiskus zwölf große Grundstücke am östlichen Seeufer an zahlungskräftige Bauherren, weiß Wikipedia. Diese hätten sich gegen die Gründung Groß-Berlins im Jahr 1920 gewehrt, „da die ansässigen Unternehmer, Bankiers, Professoren und Künstler auf die Steuervorteile der Landgemeinde Grunewald nicht verzichten wollten“.

Schrödel bewohnte mit seiner Ehefrau an diesem See eine neu gebaute Villa. Eine Etage diente nur dem Wellness-Vergnügen. Es gab einen Pool, Sauna, Duschen. Und mit ihrer Einbauküche im Wert von rund 200.000 Euro gewannen die Schrödels auch mal einen Preis.

Zugleich zog es das Paar immer wieder in die Ferne: Nach Marokko, mit einem Privatjet nach Dubai. Die Hochzeitsfeier vor etwa zehn Jahren verbrachten die Schrödels komplett in Weiß auf der Inseln Santorin in der griechischen Ägäis. Auch alle Gäste sollten Weiß tragen, erinnert sich eine Teilnehmerin. Sie sollten mit Palmenzweigen wedeln und dem Paar in einer Prozession folgen. Hosianna in der Höhe! Auch flog das Paar gern nach Saint-Barthélemy in der Karibik, von Kennern nur St. Barts genannt. Dieses Eiland ist von sehr Reichen dieser Welt geschätzt wegen der weißen Strände und der vielen Designerläden rund um den Jachthafen der kleinen Hauptstadt Gustavia.

Warum bekommt Berlins Justiz den Fall so spät in den Griff?

Die ersten Hinweise auf Straftaten wurden im Jahr 2007 öffentlich, doch die Justiz bekam das Phänomen Schrödel der sich aus der Firmenkasse bedient haben soll und Geschäftspartner getäuscht haben soll, lange nicht richtig zu fassen. Einmal wurde ein Verfahren gegen eine Zahlung eingestellt. Es dauerte also bis zur jenen Autofahrt im Herbst 2020 beziehungsweise das Urteil im Januar, um Schrödel einzuhegen.

Warum so lange? Sebastian Brux, der Sprecher von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), sagt, er könne zu einzelnen Verfahren nichts sagen. Die These, Berlins Justiz sei „Typen“ wie Schrödel nicht gewachsen, will er so auch nicht stehen lassen. Die mit Wirtschaftsstrafrecht befasste Hauptabteilung 4 der Staatsanwaltschaft sei gut aufgestellt, sie verfüge über 50 Staatsanwält:innen, zehn Rechtspfleger:innen, acht Wirtschaftsreferent:innen und 33 Serviceteam-Mitarbeiter:innen. Sie habe „Hervorragendes geleistet“, indem sie unter anderem 77 Immobilien aus der Organisierten Kriminalität abgeschöpft hätten.

Aber sind das nun viele oder wenige Wirtschaftsstrafverfolger und Immobilien in einer 3,8-Millionen-Stadt? Das bleibt ebenso unbeantwortet wie Anfragen bei der Staatsanwaltschaft zu dem Fall. Auch die Kanzlei, die ihn vor Gericht vertreten hatte, äußert sich nicht. Dabei gibt es noch viele Fragen.

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