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Das viertägige Performancefestival zu Fanfiction findet in der Pappelallee 15 in Prenzlauer Berg statt.

© Thilo Rückeis

Ballhaus Ost: Erstes Fanfiction-Festival in Berlin

Was passiert, wenn Fans ihre Lieblingswerke weitererzählen? Im Prenzlauer Berg widmen sich Künstler vier Tage lang dem Subgenre.

Wenn ein Fan seinem Objekt der Begierde nahe sein will, kann er Devotionalien sammeln oder Bilder des Idols mit sich herumtragen. Er kann dem Team, der Band, dem Menschen hinterherreisen, versuchen, dem, der oder den Angebeteten persönlich nahezukommen.

Er kann aber auch versuchen, das Gefühl kreativ zu verlängern, das sein Lieblingsbuch, -film oder die Lieblingsmusik auslöst: „Fanfiction“ nennt man von Fans hergestellte, oft literarische Werke, die Handlungen mit den Lieblingsfiguren weiterführen oder neu und anders erzählen. Millionen von Fans beteiligen sich an diesem Subgenre, aus dem bereits Weltbestseller hervorgingen: E.L. James hausbackenes Spielzimmerdrama „50 Shades of Grey“ entstand als Fanfiction von Stephenie Meyers Vampirsaga „Twilight“.

Inspiriert von Christa Wolfs Roman „Ein Tag im Jahr“

Das erste „Fanfiction Festival“, das noch bis Sonntag im Ballhaus Ost Sujets rund um das „Fan-Sein“ bespielt, arbeitet sich auf spielerische Weise am Thema ab. „Wir haben den Künstlern gesagt: Es gibt Fanfiction. Beschäftige dich damit und guck, was das bei dir auslöst“, erklärt Anne Brammen, eine von vier künstlerischen Leitern und Leiterinnen.

Brammen trägt ein Kostüm der japanischen 90er-Jahre-Manga-Heldin Sailor Moon, gelbe Perücke, weiter Rock, Oberteil mit Schleife. Sie erzählt, dass der Choreograf Christoph Winkler die Idee für das Festival hatte. Sie selbst, sagt Brammen, sei zwar früher Sailor-Moon-Fan gewesen, hatte die Vorliebe aber fast vergessen – und umarmt sie jetzt wieder.

Die Hamburger Theatergruppe "Meatfiction" geht humorvoll an das Thema heran.
Die Hamburger Theatergruppe "Meatfiction" geht humorvoll an das Thema heran.

© Thilo Rückeis

Ähnlich persönlich ist der Zugang vieler Mitwirkenden des Theater-und Performance-Treffens. Am Eröffnungsdonnerstag spielt die Schauspielerin und Autorin Nele Stuhler sich unter der Regie von Laura Eggert und der Dramaturgie von Sonja Risse an ihr Idol Christa Wolf heran.

Das Stück „Ein Tag im Jahr von Nele Stuhler“ imitiert komisch und intim Christa Wolfs Roman „Ein Tag im Jahr“, in dem die Schriftstellerin alle 27. September zwischen 1960 und 2000 dokumentierte. Im großen Saal des Ballhauses bewegt sich Hannah Müller, die den Text von Stuhler durch Performance umsetzt, zwischen einem Schreibtisch und drei Stationen eines improvisierten T-Shirt-Druck-Ateliers. Während sie Banales, Amüsantes und Privates aus ihrem eigenen 27. September 2018 referiert, und immer wieder den Zusammenhang zum Ballhaus-Theaterauftrag transportiert, bedruckt sie weiße Shirts mit dem Konterfei Wolfs.

Verschiedene Zustände des Fan-Seins

Ebenfalls einen humorvollen Ansatz findet die Hamburger Theatergruppe „Meat Fiction“ in ihrer Performance mit dem Titel „Warum schreist du so, ich bin doch hier“, die alle zehn Minuten eine Anfangskonstellation wiederholt, und doch andere, neue Fortsetzungen findet.

Es geht um eine Frau im Hotelzimmer, um einen Hausmeister namens „Merch“ (wie Merchandising), um einen Harry-Potter-Fan und um eine falsche Palme, die als Karnevalsdeko von der Decke hängt. Mit Verve schwingt das Stück durch verschiedene Zustände des Fan-Seins, bleibt mal hier und mal da hängen, improvisiert und albert herum – und schätzt sich selbst mit der Zehn-Minuten-Länge ganz gut ein: Viel länger möchte man den sympathischen, fegenden, singenden und Kartentricks vorführenden Performern auch nicht unbedingt zuschauen.

"A Hey A Ma Ma Ma!"; Das Festival blickt auch kritisch auf kulturelle Klischees und Stereotypisierungen.
"A Hey A Ma Ma Ma!"; Das Festival blickt auch kritisch auf kulturelle Klischees und Stereotypisierungen.

© Thilo Rückeis

Bewegungs- und Kulturklischees brechen

Ein Tanzperformance im Saal durchdringt das Thema dagegen fast wortlos: In „A Hey A Ma Ma Ma!“ beschäftigen sich die Tänzer Michael Gagawala Kaddu und Robert Ssempijja aus Uganda zunächst mit der titelgebenden Background-Zeile aus einem Song der Band Dream Academy – „Life in a Northern Town“ war 1985 der einzige Hit der britischen Band.

Die Zeile des Chorus, die vage afrikanisch klingen sollte, erfuhr 1997 durch die Verwendung in einem House-Track und dem dazugehörigen Clip eine weitere Stereotypisierung: Im Video, das die Tänzer vorab auf die Leinwand projizieren, kriechen als Löwen, Tiger und diffuse „wilde Tiere“ verkleidete dunkelhäutige Tänzer auf allen Vieren durch eine Steppe. Mehr Klischee geht kaum – Gagawala und Ssempija gelingt es jedoch, genau diese Bewegungs- und Kulturklischees zu brechen.

„SelfFanFic – ein Exorzismus“

Am Ende des ersten Abends erlebt das kichernde Publikum noch die Premiere des Videoessays „SelfFanFic – ein Exorzismus“. Die Schauspielerin und Performerin Tina Pfurr hat darin die inhaltsleeren „Hey Ihr Lieben! Heute hab ich mich kaum geschminkt!“-Videoposts der Sängerin Jennifer Weist von der Band Jennifer Rostock zusammengeschnitten – um sich ihre eigene Faszination dafür auszutreiben. Pfurr sei „obsessed von Jennifer Weist“, heißt es im Begleittext des Werks, das aber ebenso schnell ermüdet, wie der Originalblog es vermutlich tut: Viel mehr, als dass Blogger zuweilen dummes Zeug posten, und man selber so schlau ist, das zu bemerken, ist aus dem Essay nicht herauszulesen. Hier wird die „Fanfiction“ nicht fiktional, sondern fade realistisch inszeniert. Wenn das die echten Rostock-Fans (und Follower) wüssten, OMG!

Fan Fic Festival bis 17. 3. im Ballhaus Ost, Pappelallee 15. Programm: www.ballhausost.de. Tickets ab 10 Euro.

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